kungsleden (2023) – rakt fram 20/25
tag 20: stabburet – ammarnäs (19.7.)
was ich schlaf hier nenne …
… scheint 1 seltsame mischung aus traum+wachrhythmen mit mehreren umdrehungen in der minute/stunde zu sein. ich rede nicht vom normalen schlafrhythmus, bei dem man bis zu 10x aufwacht, ohne was davon zu merken. ich rede auch nicht vom erwachen durch magenschmerzen zur leberzeit, + auch nicht von der mir bisher unbekannten wolfsstunde, die ich statt mit hormonen immer mit der notwendigkeit des fensteröffnens + frische luft hereinlassens in verbindung gebracht habe.
anscheinend ist während meines schlafes draußen in der freien natur unter freiem himmelszelt mitn tieren nebenan + dem dunklen unbekannten der genetisch verankerte schutzmechanismus aus früher zeit aktiviert, um mein überleben zu sichern. der körper schickt ständig signale: zu unbequem/hell/kalt/hungrig. irgendwas ist immer. trotzdem machts spaß + ists schön, hier draußen zu sein. aufs hotel freu ich mich aber auch. so bin ich.
I found idyll – it’s cold!
bis 4 uhr halt ich diesmal durch, dann mach ich aufm weg zum utedass die 1. schönen sonnenaufgangsbilder. mit jedem dygn (24-stunden) spür ich die kürzer werdenden tage. bald bin ich 3 wochen unterwegs. 4 wochen ist midsommar her. um 22:21 uhr ist die sonne etwa untergegangen. um 1:48 uhr geht sie wieder auf. noch immer wird es nicht wirklich dunkel, der horizont dämmert in dauerschleife. dass es um 4 uhr morgens so hell ist wie mittags, aber erkennbar noch nicht so weit ist, liegt nur am tiefen sonnenstand.
zwischen raststuga, utedass, sjö (see) liegt mein tält (zelt) friedlich in 1 idyllischen szenerie. wie immer, wenn ich hier draußen bin. vielleicht sieht man an der helle des blauen himmels die kälte, die jetzt auf jeden fall frost. selbst in der hütte herrschen tiefe temperaturen – jemand hat die tür offen gelassen – hoffentlich doch nicht ich?! ich tue mich schwer mitm aufwärmen + zähle meine letzte verpflegung durch. ich freu mich aufn supermarkt + 1 schönen brunch.
tabu tuba taub
es sind nur 11–12 km bis ammarnäs, ich kann mir zeit lassen – aber wenn ich bis 9/10 uhr ankomme, könnte ich vielleicht noch ans frühstücksbuffet im stf. es ist eh zu kalt zum verweilen + das herrliche wetter lädt auch mehr zum wandern ein als im zelt im schlafsack zu liegen. also packe ich meine sachen + als ich um viertel vor 6 das nächste bild von der sonne überm glitzersee mache, siehts aus, als wärs später vormittag.
die hände werden mir gar nicht warm. sie sind seit tagen taub mit zwischendurch mal beweglich. gefühlt im nachhinein sag ich das. weil ich später zur ärztin gehe mit der frage, ob das was neurologisches sein könnte oder doch hauptsächlich der anstrengung + dem druck des rucksacks auf die schultern geschuldet sein könnte. sie gibt mir 3 monate im fitnessstudio zur überprüfung – tatsächlich ists jetzt verschwunden.
bissl hatschen dou i schou (bisschen hatschen tu ich schon)
was ich im nachhinein auch wohl überdramatisiere, ist das gefühl mitm fuß. weil er am ende kaputt, leg ich das gefühl des kaputt_seins aufn weg, anstatt nachfühlen zu können wies war im prozess des kaputt_gehens. wenn ich heute in ammarnäs ankomme, werde ich der freundin 1 nachricht hinterlassen, mit dem resümee, dass es jetzt nicht mehr ums ankommen ginge, sondern darum, überhaupt gehen zu können. anscheindend kämpfe ich seit einzwei tagen mit der panik, der fuß könne versteifen.
ich weiß es auch jetzt noch nicht + ich mags nicht mehr googeln ecosian, zwischendurch tat ichs wohl aus verzweiflung: die angst, 1 fußgelenk könnte aufgrund der hohen belastung von sich aus versteifen, um dem druck standhalten zu können. aus angst, ich könnte einst hatschen wie die, die mit hüftheben nur den körper von 1 gelenk ins andere hebeln, um vorwärts zu kommen. jetzt weiß ich, der fuß hat sich mit wasser gefüllt, was das gefühl des klotzes auslöste. aber nicht wissen will ich, ob das mitm versteifen wirklich hätte passieren können. ich wills nicht wissen, weil ich nicht mehr so weit gehen will.
solen går med mig (die sonne geht mit mir)
unbelievable wie blau der himmel heute scheint nach all den regnerischen tagen. dank der kälte ists wundervoll + noch kenne ich die aussichten nicht. während ich den 1. sanften aufstieg wage, schieße ich zigtausend fotos, auf denen man jetzt nur sieht, wie langsam ich vorankomme + wie schön die sonne steigt + langsam von schlierschleierwolken in dunst gehüllt wird. die landschaft ändert sich kaum.
nach wenigen km lege ich 1 pause an 1 abhang ein mit blick übern vindelälven fürs frühstück. den plan, rechtzeitig im stf fürs buffet anzukommen, lass ich fallen – was soll das.
über_aus_sichten
obwohl ich mich an die schwedischen aussichtsverhältnisse gewöhnt habe, die zuweilen nach langen, gemächlichen aufstiegen auf erträgliche 800-900 m höhen selbst aufm gipfel durch umstehende birken wenig aussicht bieten, bin ich gerade bei diesem wetter etwas enttäuscht, vorm abstieg nach ammarnäs nicht noch 1 perfektes foto vom videlälven machen zu können. als obs das bräuchte!
auch den nächsten utsikter auf der letzten etappe von ammarnäs nach hemavan, die wieder signaturled (also besonders ausgezeichnet, in jedem sinne des wortes), die mir als die “schönste etappe” des ganzen kungsledens angepriesen wird, trauere ich 1 zeitlang hinterher, da sie in dunst/nebel/regen vergehen werden. dabei bin ich aber so klug in 1 moment des stillschweigens tief in mich hineinzuhorchen + zu merken, wie voll ich schon bin von all den erlebnissen + wie guts ist, nochmal auf ganz andere weise gehen zu können (gehen im regen, nicht ausharren in hütten). es ist ja nicht so, als ob ich 1 woche urlaub geplant hätte + die wirds mir verhageln. nein. ich bin 4 wochen unterwegs. 4 wochen zu fuß. 450 km.
über_ab_steigen
beim abstieg den rutschigen steinpfad hinunter nach ammarnäs, wo mir 1 frau mit mehreren hunden entgegenkommt, die sie auf die seite zerrt, um mir den weg frei zu machen – tack ska du ha! -, schließe ich bewusst fürs linksrechts die augen, um die leere, die sich die zivilisation mit motorsägen/äxten/hacken inmitten der wälder zu eigen gemacht hat, nicht zu sehen. es ist 1 dilemma: wir können einfach nicht maß halten in unserer eroberung, wir müssen alles ganz vernichten.
beim 1. hinweisschild, das mir die nächstgelegene lunch-station anzeigt, freu ich mich aber schon wieder auf die menschen, die hier was geschaffen haben, wo ich einkehren kann. da es aber in die entgegengesetzte richtung weist, kehre ich der frühzeitigen magenfüllung den rücken + ziele aufs stf zu, wo der supermarkt in der nähe.
über_as_phalt
auf der asphaltstraße fühlen sich meine füße jetzt wirklich wie 2 betonklötze an. ich weiche mehreren riesigen maschinen, die bauteile herumkutschieren, aus, begegne zum 1. von 3x dem opa, der wie alle hier mitm quad mit ohrenschützern auf der mütze + walkietalkie in den handschuhen unterwegs ist, und habe noch etwas hoffnung, eine*n/zwei/drei der früheren reisegefährt*innen wiederzutreffen, die ich seit menschengedenken nicht mehr gesehen.
der weg zum stf zieht sich 1 ewigkeit, auf der ich nur 1 mann mit seinem hund treffe, der mich freudig begrüßt, hon hälsa på mig: was der mann sagt, verstehe ich erst viel später. beim stf steht 1 riesengruppe trailrunner*innen vor der tür, die mit leichtem bis nicht vorhandendem gepäck auf tour gehen, wie ichs gern würde, aber nicht kann, wie ich auch allgemein nicht/nur schweren herzens ohne gepäck ausm haus gehe, + seis nur für 1 spaziergang im park.
jag lär mig svensk! … förlåt! (ich lerne schwedisch! … entschuldigung!)
am empfang ist der mitarbeiter etwas überfordert, weil ich mit ihm schwedisch reden will. entweder spricht er auf englisch/gar nicht/oder so schnell schwedisch, dass ich nichts verstehe. ich weiß, das ist in jeder sprache so: wenn jemand kommt mit brocken deiner muttersprache, weißt du nie, wie deutlich/wenig/flüssig du reden kannst, damit d. andere dich versteht. aber versuchs halt wenigstens!
mit ihm habe ich meine größte freude: erst ist kein einchecken jetzt möglich, nur später, dann krieg ich nicht die erhoffte entschuldigung/entschädigung für die überbuchung, dann ists doch früher möglich als gedacht, dann ist keine bettwäsche in der hütte/das bett nicht bezogen. am ende kennen wir uns so gut, dass wir geknirscht lächelnd nur aneinander vorbeilaufen, immer in der angst, irgendwas könnte noch sein.
varför? (wozu?)
ich lasse den rucksack hinterm tresen stehen, kaufe 1 snack + google mich durch die “stadt”. ich finde kein restaurant, in das ich mich gerade so, wie ich bin, ungeduscht, setzen mag, die tauben spröden finger mitn schmutzigen zu langen nägeln krieg ich aufm klosett kaum sauber. also geht ich zum supermarkt, 1 kleiner laden, bei dessen schmalem angebot ich ebenso überfordert bin wie in den riesigen Läden mit der millionenauswahl.
als ich meinen korb zusammengepackt habe, ereignet sich das nächste schwedisch-debakel an der kasse. anscheinend ist die typische reaktion auf schwedisch sprechende ausländer*innen hier im ort das verstummen. es zieht die grenze zwischen “wir hier” = schwedisch + “denen da” = tourist*innen = englisch fast so deutlich wie das reagieren mit 1 unverständlichen maximal schnellen dialektalen redefluss, der dir zeigen soll: du verstehst mich nicht, was willst du denn?
hurra!
als ich draußen alles, was ich habe, esse: brot, garnelenaufstrich, gemüse, eis, schokolade, chips, kaffee, bier – kommt das pärchen mit hündchen an. ja hallo! das gibts ja nicht! nach 1 üppigen einkauf bringen wir uns aufn stand: sie sind mit dem austria-deutschen-duo auf der abkürzung weitergezogen, wo sie sich später getrennt haben, weil die beiden 1 etwas höheres tempo eingelegt hätten, um dem herannahenden wetter zu entfliehen + früher in hemavan anzukommen, um die hochzeit, die 1 von beiden als bräutigam besuchen sollte, nicht zu verpassen.
schade, die beiden werde ich nicht wiedersehen. auch das pärchen mit hündchen macht nur kurze pause, sie gehen heute weiter, sichtlich beziehungsbeschädigt nach 3 wochen weitwanderung. ich wünsche ihnen viel glück, bin aber nicht erstaunt, als ich später nur 1 von beiden namen in 1 übernachtungsbuch am ende der letzten etappe lese, wo ich versuche herauszufinden, ob die anderens auch geschafft haben. wer aber zeltet, schreibt sich hier nicht ein. ich werde aber noch 2 überraschungstreffer landen.
ich bin schon ganz schön heruntergekommen
am see sitzend verdaue ich alles, was mir im magen liegt, hinterlasse der freundin 1 nachricht + erzähle ihr, dass neben mir 1 frische birne liegt, die ich mir gekauft: das frische obst nach all der trockennahrung. die müsse ich jetzt auch noch essen, nicht nur die trockenkekse. denn übern nächsten berg schlepp ich sie nicht. während ich ihr alles aufspreche, was passiert, muss ich mich ständig kratzen, weils überall juckt, seiens die mückenstiche, die neuen, seiens die verheilenden wunden.
sobald man unter stromseilen läuft, weiß man, die zivilisation ist nicht weit entfernt. aber nicht nur mitm abstieg vom berg/hügel kommt man herunter, auch im land bin ich weit gen süden gekommen, die letzte etappe steht an. vor mir kurvt der opa mitm quad noch 2x auf+ab, dann gehe ich zurück zum hotel + sehe mir ein paar bilder durch, die ich den lieben daheim schicke mit 1 überlebensnachricht. natürlich gehe ich weiter. natürlich schaffe ich das.