kungsleden (2023) – rakt fram 12/25
tag 12: tsielekjåhka – pieteälven (11.7.)
ab_marsch
am nächsten tag brech ich vor allen anderen wieder früh auf. aber jetzt ists bisschen heftig. vorm frühstück überquere ich um 7 uhr die brücke, da schaut der andere wanderer, den ich gar nicht genau sehe, kurz ausm zelt. ich grüße noch, dann bin ich schon am anderen ufer. gestern abend um 21:14 uhr hab ich noch das letzte bild geknippst + 1 mitten in der nacht um viertel vor 1. ich habe wenig geschlafen + bin schon wieder unterwegs, weil die innere uhr so eingestellt. aber der fuß macht nicht mit.
ich verfranse mich ein bisschen im gestrüpp + bin kaum 1/2 stunde unterwegs, da fühlt sich der fuß ganz schwammig an, als ob ich keinen widerstand mehr hätte beim auftreten. ist was passiert? ermüdungsbruch jetzt doch? ich erinnere mich an die schwester, die damals mit dieser diagnose ankam, die ich noch gar nicht kannte: marschfraktur. jetzt bin ich schon drauf eingestellt+vorbereitet – aber wirklich? passierts jetzt tatsächlich? (zeit für 1 kleine panikattacke.)
früheroderspäter
vor ein paar jahren hab ich mir die zehe gebrochen beim nachts auf die toilette gehen + barfuß an der duschwanne anstoßen. beim renovieren der wohnung vorm einzug haben sie die badewanne herausgerissen + mitten in den kleinen raum 1 duschwanne gehockt. tatsächlich bin ich wie lange erwartet auch irgendwann dagegengerannt, aber schnell wieder hinlegen, drüberschlafen: “schlaf dich gesund”, sagt die mutter, wenn wir krank sind. meist hilfts. auch am morgen bin ich einfach in die sportschuhe rein. wer 1 problem hat, kann auf sowas keine acht geben.
der wochenablauf mit dem samstäglichen langlauf von 20/25 km war damals gesetzt. da bin ich ja noch nicht mal die 30 km brandenburgstrecken mit halb gehen/halb laufen. marathontraining. viel laufen, viel essen. dauernder energieumsatz. auch das gehört zur essstörung: nicht nein sagen können, wenn die kolleg*innen meinen, man laufe so viel+gut, da könne mans mal mitm marathon probieren. am ende wars 1 gute entscheidung, wenn ich auch nicht unter 5 stunden kam: mitm 1. marathon hab ich die hiv-infektion öffentlich gemacht – 15 jahre aufn tag genau marathonlauf nach hiv-infektion? komm, da muss man doch 1 content createn = was posten (zum glück hab ich auch das: geschafft. keine ahnung, was ich gemacht hätte, wäre ich nicht angekommen). kurz danach das portrait bei der dah.
es ging aufwärts, auch mitm schreiben: der br hatte grad mein hörspiel ausgewählt+produziert: da kann man doch nicht mit 1 essstörung daherkommen. da kann doch keine zehe das programm unterbrechen! da läuft man nur rund im extrem. nach 20 km war aber klar, dass das geröntgt gehört, weil alles blau angelaufen war …: stauchbruch. so fühlte sichs auch an. so fühlt sichs jetzt an: als ob man durchtritt durchn fuß. als ob er nachgibt.
es geht immer noch schlimmer
jetzt ists 1 tatsächlich 1 humpeln, 1 richtiges. alles, was vorher war, ist nichts dagegen. da kam schmerz im laufe des tages, wurde besser nach pausen. jetzt gehts von anfang an los + fühlt sich unsicher an. gerade jetzt auf dieser etappe! es war so klar. ists vielleicht der alte bruch? abers ist nicht die gleiche stelle. der schmerz ist in den letzten tagen gewandert wie ich. der fuß schmerzte mal an der sohle wie zu beginn, dann an der seite. jetzt also oben vor der 4. zehe. vielleicht ists nur 1 kompensationsschmerz?
er wird aber unerträglich. als mir 1 mann mit leichtem rucksack im sportdress entgegenkommt, schäme ich mich so mit meinem humpelstilz, dass ich die tränen verberge + lächle + schnell vorbeigehe. ists 1 jogger auf 1 schnellen tour? 1 sámi auf der suche nach seiner herde? weiter oben treffe ich 1 einsames ren. wir liefern uns 1 schaulaufen, weil ich mag nicht reinlaufen + das rentier nicht davonlaufen. wir ziehen um uns herum unsere kreise. dann bin ich irgendwann hinter ihm + sehe zurück. es legt sich aufs schneefeld, wos vorher lag. sonnt sichs? kühlt sichs von unten? liegts da zum sterben?
ich sehe was, was du nicht siehst
stimmungskongruente erinnerung funktioniert auch im gegenwärtigen denken: wenn man nicht gut drauf ist, interpretiert man das geschehen um sich herum auch eher negativ. in der picture-story-excercise kann man herausfinden, welche motiviation eine*n treibt: macht, anschluss, leistung? was mich innerlich bewegt, das lese ich in andere hinein. ich sehe das rentier eher sterben als sich sonnen + weine ein bisschen.
mit großer anstrengung komme ich aufn suoŋergårsså hinauf + mache 1 pause. ich sitze einfach da + schaue vor mich hin. ich stiere sinniere. wie ich gestern schon 1 traurige figur am ende meiner kräfte für den wanderer, der mir den zelplatz am tsielekjåhka wies, abgegeben haben muss, muss ich nun in 1 hoffnungsloseren form dem wanderer abgeben, der jetzt den hügel heraufkommt. ists der von der brücke von vorhin ausm zelt?
“Ich saz ûf eime steine“
als er mich fragt, wies mir gehe, sage ich zögernd: “… ok.” er siehts aber + bleibt stehen + fragt nach, ich solle gerne erzählen, was los sei. ich hab mich nicht genug um mich gekümmert, jetzt kommt 1 fremder + kümmert sich. vielen dank! + gleichzeitig: oh weh! ich erzähle ihm, dass ich probleme mit schmerzen im fuß hätte + noch nicht einschätzen könne, wies werde. er nennt mir die 3 dinge über schmerz, die er weiß:
- in kaltes wasser tauchen
- übern kopf halten, um die zirkulation anzutreiben
- ibuprofen
ich lache, 2 davon kenne ich. nur das mitm überkopf werde ich noch ausprobieren. schmerzmittel kann ich aber tagsüber nicht nehmen. zu groß ist die angst, ich könnte über die grenze laufen, dass ichs nicht spüre, wenns zu viel ist. dabei wusst ich ja drum, habs gespürt + bin trotzdem weiter. weil das weiter müssen im kopf größer war als dass der schmerz im fuß dagegen angehen konnte. jetzt sagt er mirs aber deutlich.
and how are you?
ich frage den schnellen wanderer, wies ihm gehe. ganz gut, er habe sein auto in hemavan stehen, komme aus norwegen + habe nur 3 stunden autofahrt nach hause. in hemavan? ja, er sei hoch nach abisko gelaufen + jetzt aufm rückweg. aufm rückweg? ja, er laufe hoch+runter. er ist der einzige, den ich kennenlerne, der den weg in 1 rutsch 2x geht. hoch+zurück. da hocke ich mit meiner ermüdungsbruchgefahr + er läuft in sportschuhen mitm leichtrucksack über 900 km. in jäckvik wolle er pause machen: auch das helfe, wenn man sich vorstelle, was dort auf eine*n warte: der supermarkt, das vandringshem (wander*innenunterkunft), die waschmaschine.
kaum ist er wieder unterwegs, verspüre ich den drang, weiterzulaufen. komischerweise gehts besser. ist der schmerz nur in meinem kopf? hat die sorge des anderen was in mir beruhigt? egal, was passiert, hier bleibst du nicht wirklich liegen. da findet dich schon jemand, der hilfe holen kann. hier draußen werd ich die furchtbaren fiesen gestalten meiner kindheit+jugend nicht treffen. nicht die großstadtgestalten, die durchgedreht jeden anficken, der ihnen in den weg kommt. keine blöden menschen, auf die ich keine antwort habe. hier sind nette leute unterwegs wie aufm olavsleden. wander*innen – 1 spezielle kategorie.
gehts noch?
meine güte – das dürfte eigentlich nicht sein, man dürfte sich so nicht auf 1 solche tour begeben. nicht von anfang an mit dieser übertrainiertheit auf 1 schwere(r)-rucksack-reise. jetzt bin ich aber da, jetzt lauf ich weiter. muss ich mich halt besser auf die krücken stöcke stützen. wieder mehr pausen machen. kneippen. vorm nächsten bach kommen mir noch 1–2 jogger*innen entgegen, 1 gruppe soldat*innen + 1 pärchen. ganz schön was los auf der tour, die nur die hartgesottenen gehen, die sich auskennen mit schmerz. die weitergehen mit schmerz. auf 1 skala von 1-10: wie schätzen Sie ihr schmerzvolumen ein?
beim marathontraining war eigentlich schon klar: du läufst das nicht, wenn du nicht damit klarkommst, dass was weh tut. wir sind “1 lebendiger organismus” sagt ulrich bahnsen. im gegensatz zu 1 alten fahrradkette repariert er sich selbst. wenn du dir was kaputtläufst, hast du die chance, dich wieder herzuflicken. wenn ich die tour beendet habe, bekomme ich 1 diagnose mit 2–3 knochenmarksödemen, 1 plantarfasziities + 1 fersensporn. mal sehen, ob sich das mit intervallfasten + ketosereparaturvorgang wieder gesunddoktern lässt. ich büße es, aber ich bereues nicht, dass ich weiter ging. es war wichtiger als alles andere.
schmerzangepasstes verhalten
natürlich hätte ich aufgehört, wenn wirklich was so schlimmes passiert wäre wie 1 richtiger ermüdungsbruch, ders laut orthopädin nicht war, nur kurz davor. oder wie das, was der älteren wanderin passiert ist, die ich später treffe. vielleicht. vielleicht halte ich aber einfach doch ganz schön was aus. vielleicht brauch ich den schmerz, um drüberzugehen. vielleicht war das rock bottom, von wo ich jetzt aufstehen + alles anders machen kann.
“schmerzangepasstes verhalten” ist die antwort der orthopädin auf die frage nach dem, was man zur heilung tun soll. ich kneippe im bach + lege kurz darauf 1 lange mittagspause ein. das habe ich noch gar nicht gemacht. ich bin also gar nicht so blöd. ich hör schon auf mich + den fuß + ändere die strategie. ich krabble den abhang hinunter, hole wasser ausm fluss, kraxle wieder hinauf, koche mir suppe (!), lege den schlafsack heraus, ziehe das mückennetz über + lege mich hin. ich nicke ein+weg. bis 1 windstoß mich aufweckt: da hängt 1 riesenwolke über mir + kündet gewitter an.
stopp+go
so schnell hab ich noch nie gepackt, so schnell ändert sich die motivation, so schnell spürt der fuß nichts mehr, weil jetzt 1 anderes zentrum das sagen hat: der präfrontale kortex. jetzts gehts drum, nicht nass zu werden. ich strauchle mit meinem gepäck durch die engen strauchbedeckten pfade, hinauf+hinab, sehe kaum die einzelgestalt, die mir entgegenkommt. kann nicht drauf achten. ich bin fixiert auf die wolken: wohin sie ziehen, wos schon regnet – jetzt kann ichs schon einschätzen. als ich die karte prüfe, habe ichs gefühl, dass das an mir vorbeidurften könnte.
als ich mir sicher bin, ziehe ich die durchgeschwitzte jacke aus. jetzt muss ich nur noch den zeltplatz finden, der mir im buch angekündigt. es gibt ja keine festen plätze mehr, es gibt vorschläge+empfehlungen, z.b. am see gistojávratj. aber da irre ich nur umher in den felsenformationen. direkt am see haben sichs riesenameisen gemütlich gemacht, vermutlich genügend gefüttert von herumirrenden wander*innen.
wo ist jetzt dieser f* zeltplatz?
eigentlich wollte ich nicht so weit gehen, aber nun gehe ich doch zum fluss, dessen name das ende dieser tagesetappe trägt, dem pieteälven, da solls noch 1 kleinen platz geben. als ich in die nähe komme, ist klar, dass das 1 sehr geschützter platz sein muss: viele der früheren möglichkeiten am flussufer zu zelten, sind überschwemmt. der piete ist 1 älv, 1 strom, wie die elbe, kein å, kein kleiner fluss. der reißende strom setzt alles unter wasser, was nicht …
auch an seinem ufer vor den 2 hängebrücken: västra+östra (westlich+östlich) irre ich umher, finde aber keine gute zeltgelegenheit. weiter unten, wo 1 wartehäuschen an 1 bootsanleger steht, steht 1 mann mit seinem boot. ich ziehe also über die brücke + gebe schließlich auf, den zeltplatz zu finden. ich gehe einfach weiter, es wird schon irgendwann etwas kommen.
es ist, wies mit der liebe sein soll: wenn man aufgibt, kommt sie daher. der zeltplatz ist an 1 selbstgebauten feuerstelle, 1 abfalltonne + 1 utedass zu erkennen. der wanderer mitm leichtzelt, vermutlich der, der mich aufgemuntert, liegt schon unter der plane. ich schäme mich ein bisschen, weil ich vorher so 1 jammergestalt abgegeben habe + nun hier genauso weit gekommen bin. ich schäme mich vor ihm, nicht vor mir.
“müde bin ich, geh zur ruh”
wieder baue ich fluchs das zelt auf 1 zu großen stelle auf + bereues später, doch erst muss ich mich + meine sachen waschen. ich traue mich aufgrund der eiseskälte nicht, mitm kopf unterzutauchen + auch nicht zu weit in die strömung zu schwimmen, aber ich schaffes nackig in den fluss zu steigen + mitm ganzkörperkneippen auch die seele zu erfrischen + zu beleben. schnell anziehen, kochen, essen, ins zelt. als ich liege, kommen weitere wander*innen, die 1 platz suchen + im platzregen aufbauen müssen. am ende sind aufm kleinen stück baum+felslosen terrain selbst die gehwege mit zelten besetzt. vielleicht fünfbissechs. vielleicht sind wir mit mir 7.
weil sich draußen aufhalten nicht so angenehm ist, mach ich mirs im zelt gemütlich. ich kuschle mich in der nicht unterzukriegenden merinowollunterwäsche in den warmen schlafsack. die fake-daunenjacke hab ich stets dazu an, meist 1 schlafmütze + oft auch die handschuhe. ich weiß nicht, wann ichs letzte mal in den 2 büchern gelesen habe, die ich mitschleppe. mit der tour hab ich genug zu tun. immer drauf achten, dass alles da ist. kurze anfälle, wenn was fehlt oder nicht auffindbar. was ich vergesse darüber ist der geburtstag der jungs der freundin, die meine zahlen nur umgedreht in ihren urkunden stehen haben. ich kanns mir hinterher erklären, aber schmerzen tuts doch, wie sehr ich mit mir + der welt beschäftigt bin, dass ich alles hinkriege, dass sowas dann ausm speicher fällt. alles, was ich grad tun kann, ist liegen+lauschen aufs rauschen des älven.