wolsier – prietzen (sternenpark westhavelland)
von wolsier nach prietzen, 14,7 km
2023/08
mit sternenpark westhavelland, nsg gülper see
was bleibt:
- die 1. nachtwanderung seit mehr als 1 jahr (wenn man die nächte in schweden bei mitsommernachtssonne nicht zählt, weil über 4 wochen kein stern am firmament sichtbar, nur licht licht licht)
- der betrunkene fußballfanmob in der vollbesetzten bahn, der 1 schwarzafrikaner, der sprunghaft den zug verlässt, (nicht zu wiederholende) parolen + aufgeheizte anfeuerungsrufe hinterhergrölt, dem ich nichts entgegenzusetzen weiß außer dem bösen blick des vaters, dem ich immer ähnlicher sehe+werde, je dicker ich mich fresse (die metonymie dieses verbs für den gesichtsausdruck: nichts passender als das)
- die fahrgäste im bus, die sich über den kleinbus aufregen, nachdem der große seine fahrt beendet oder wie sie überlegen, andere fährt, sich über die abstammung 1 jungen fahrgastes unterhalten, während er aussteigt, und meinen, dass der fahrer das fernlicht anschalten sollte, ohne es ihm zu sagen
- dieser typische brandenburger busfahrer selber, der auf meine frage “fahren Sie auch nach wolsier?” (betonung auf wolsier, nicht auch), nachdem der kleinbus 1 andere route als die in der app beschriebene eingeschlagen hat, nach kurzem innehalten + schnaufen antwortet “ja erst muss ich nach spaatz!” – ja danke, dass wollte ich nur wissen, sage ich + sezte mich hin, während ich spaatz 1x von spatz über spaß durchdekliniere + erst aufatme, als der bus wieder in die entgegensetzte richtung nach wolsier fährt. als ich kurz vor mitternacht aussteige, muss ich die stopptaste drücken, damit die tür aufgeht, direkt neben dem fahrer, ich bin aber so entpannt durch das fitness+sauna-programm nach 4 wochen kriechen auf knien über zeltplanen+plätze, dass ich ihm auf sein “tschüss!” noch danken + 1 gute nacht wünschen kann, worauf ich zur antwort bekomme: “ja!”
- die dunkelheit, die mich überfällt wie 1 warme welle, 1 drübergeschwappt muss man stehenbleiben + sich erholen, orientieren – wo gehts denn hin?
- in den sternenpark westhavelland zu den perseiden/laurentiustränen in der nacht vom 12.-13.8., die zum glück 1 wochenendsnacht dieses jahr, wo alle unterkünfte namens “unterm sternenzelt”, “unterm sternenhimmel”, “hof der stille” + “kreativhof” ausgebucht sind + die autos neben den fahrradwegen im graben kauern, um unterm himmelszelt auf wunschmöglichkeiten zu lauern
- die grellen fernschweinwerfer der großen+kleinen wagen, die zu gottloser stunde auf den schmalen schnurgeraden wegen inmitten der baumlosen prärie kilometerweit ihre leuchtkegel werfen – da ist kein entkommen, wenn nicht 1 seltener busch am rand zum verstecken einlädt
- der kaputte fuß, der argwöhnisch durch den grandiosen dämpfungsschuh auf sein ruherecht pocht, das hätten wir ihm versprochen, aber unsere disziplin zum einhalten der schonungs+fastenzeiten ist so schwach wie unsere sucht nach den körpereigenen cannabinoiden, dopaminen + adrenalinen stark ist
- die 1. sternschnuppe wie 1 halluzination im himmel, der man nicht glaubt, weil mans nicht glauben kann, weil man die nächte erinnert, die man bis zur augenstarre in die glocke gestiert, ohne 1 funken am horizont zu erblicken, wie einzementiert ins gedächtnis, da braucht es noch zwei, drei, vier, zehn schnuppen oder mehr braucht es mit langem schweif, mit kurzem glühwürmchenzickzack, mit plötzlichem aufblitzen->verzischen, mit weitwurf+tropfenfall, bis man es glaubt: erzürnter entzündelter kometenstaub rieselt da über den köpfen in die atmosphäre + verglüht, bevor er uns was anhaben kann
- wir zählen nicht, wir freuen uns nur: das gibt es also wirklich: lauter sternschnuppen, 1 nach der anderen: 1 reger regen (in der erinnerung werden es mehr + mehr …)
- wir gehen ein, zwei autos aus dem weg, die uns so blenden, dass wir für minuten nachtblind sind + lachen erschreckt auf, als 1 auto im schwarzen graben neben uns durch 1 helle stimme auftaucht “da war einer!”
- wir rasten hinter der autoparade in der wiese, wo gerade noch das gewitter nach warnung für oberflächliche nässe gesorgt hat, bevor der nebel von den entwässerungskanälen aufsteigt + die abkühlende nacht für nachschub sorgt, indem sie all unser hab+gut mit 1 klammen tauschicht einsprüht, davon merken wir nichts in der hängematte, die wir mangels bäumen auf den boden legen, die füße mit der hornhaut über den blasen in den sommerschlafsack legen, und von unten die breze mit den radieschen verspeisend nach oben blicken: so sieht der himmel aus – was wir leider nicht richtig sehen können, weil wir kurzsichtig, astigmatisch, mit falschen kontaktlinsen behaftet bei aufkommendem nebel + vorrüberziehenden wolken
behinderteingeschränkt sind - jahrelang haben wir die tour rund um das gülper naturschutzgebiet herum geplant + verändert, um auf 1 begehbare länge bzw. mit übernachtung + haveldurchschwumm auf 1 wochenenddistanz oder mit schulbusinanspruchnahme auf 1 hinreichende erreichung zu bekommen – und nun hat uns die schwedenwanderung mit ihrer humpelnden pilgerkonsequenz 1 strich durch die karte gezogen, dass wir nur die hälfte 1 üblichen wanderung + das nur mit aufwand + genesungseinbußen schaffen können, aber wie sagte stephen graham schon 1926 in der “kunst des stilvollen wanderns“, das mir die freundin vor schweden geschenkt hat, wo ich es im nachhinein betrachtet schon hätte gelesen haben sollen: qualität geht über quantität + also machen wir stundenlang pause, während autos nebel+wolken flüchten + mit abgas+licht die nacht verschmutzen, um zum nächsten picknickpunkt zu gelangen: wir sind froh, dass die füße uns bis hierher getragen haben + den kleinen rest werden sie bis 8:26 uhr morgen früh, wenn der 1. bus zurückfährt, auch schaffen
- der 1. wunsch gilt dem wohle der schwester + ihrer familie, der 2. bereitet mir bereits sorgen: was ist jetzt am wichtigsten?, der 3., nachdem der 2. noch nicht gefüllt ist, stress: was soll ich mir überhaupt wünschen? dreht die erde den klimawandel zurück, weil ich zufällig 1 licht am horizont gesehen? überlegt sich der russische diktator das nochmal mit der welteroberung, wenn ich ihm 1 schnuppe opfere? muss ich wie timm thaler das lachen einbüßen, wenn ich mir das banale böse in den beutel wünsche? kriege ich die FOMO (fear of missing out), wenn ich 1 wunsch zum wohle der menscheit getan, dass keine*r mehr kommt, der noch für das ziel im leben gedacht war? bei der 4. schnuppe, vielleicht der 5., streiche ich das zählen + verschenke die wünsche: ich hab schon alles – oder vielleicht: nur eines noch: dass es noch ein wenig leichter gehen möge, das leben, dass es nicht so häufig 1 anstrengung sei, dass es mir von der hand (vom fuße?) gehe, dass mich die schuld nicht dauernd einholte, wenn ich was nicht kann, nicht schaffe, mich nicht so fühle, ablehne, wünsche, erhoffe: dass ich einfach in 1 sternschnuppennacht rausgehen + mir was schönes wünschen kann, ohne all das in frage zu stellen
- ich möchte gerne gesund werden (im kopf/soweits geht/wieder/ein bisschen mehr/überhaupt/richtig einmal/auf 1 skala von 10 stufe 7/geheilt/psychisch einwandfrei/jung/bio_age 27/komperativ gesünder/gefühlt/geHsund/gescheit/…)
- die blinkenden sterne, die neben den feststehenden, sich nur mit der erddrehung verschiebenden himmelskörpern mit fluchtgeschwindigkeit kreuz+quer das firmament durchziehen: flugzeuge, satelliten, ufos + die kleinen flecken auf unserer netzhaut, die mit der bewegung des auges mitgehen
- das aufstehen + weitergehen wegen einsetzender kälte durch wind + das abwechselnde ausweichen/verstecken vor autos, rückwärtsgehen, rotlicht einschalten, am straßenrand stehenbleiben, genervt vs. unsicher sein – dem einzelnen auto weiche ich lieber aus, wenn es zu viele werden, nervt es mich
- die frage: hast du keine angst?, die ich immer mit 1 rückfrage beantworte: vor was?
vor 6 wochen hätte ich vielleicht noch alles anders geplant oder gemacht, aber 1x allein den kungsleden laufen: was soll schon passieren?
on the other hand: nachts im (frei zugänglichen, nicht extra ausgewiesenen) sternenpark zu den perseiden unterwegs: da sind es die leute gewöhnt, dass menschen nachts auf der straße sind – vielleicht eher im auto, aber auch sonst. (laut sternenpark-beobachtungstipps haben auch hier die besucher*innen probleme mit jägern, das beruhigt mich irgendwie, wenn auch der vorschlag, 1 warnweste zu tragen, nicht ganz meinen geschmack trifft) - das eintönige dröhnen “bumbumbum” der feiernden bei gülpe, das zur dämmerung nachlässt, bis es verschwindet + erst wieder im vogelschutzgebiet am see unterbrochen auftaucht wie 1 fernes weheklagen 1 im winde hängenden trommel: die vögel+gänse beunruhigt es allerdings (wer sagt ihnen, dass es nur 1 depp ist, der keine rücksicht nimmt auf das geflügel+gefieder?)
- der vollbesetzte campingplatz von gülpe mit gruschgeräuschen aus den wohnwägen + das weit+breit einzige auto mit eingeschaltetem licht am wegesrand auf langer gerader spur erkennbar vor+nach_her + die unangebrachte frage, was es dort macht, wenn keine sterne gucken? würden Sie klopfen+fragen? ich tus heute nicht.
- der fuß, der sich gefühlt von mir entfernt, je weiter ich gehe: als ob er nicht mehr zu mir gehört, ich humpele auf 1 tauben stumpf wie josef + in den fingern schrumpeln+schrumpfen mir die nervenenden ein: parästhesie + hypästhesie, damit lassen sich die stöcke kaum greifen: mein körper führt 1 beschwerliches eigenleben, das hartnäckig gegen meine gehirnwünsche aufbegehrt, aber vielleicht lässt er sich mit muskeltraining+saunieren beschwichtigen
- die leuchtenden lichtglocken der orte + industrieanlagen reihum, keine so groß + zugleich so weit entfernt wie das gigalomanisch blinkende berlin
- die fotos, die das handy macht, in der nachbetrachtung besser, als gedacht – viele weiße punkte! nur die milchstraße lässt sich nicht einfangen, vielleicht ist es aber auch nur 1 milchiges wolkenband gewesen
- der sichelmond am schwarzen himmel wie 1 nackte glühbirne an der decke, die man gern abschirmen möchte, aber 1 tolles motiv, was die kamera nicht so sieht, so lange es nacht
- die orange-rot-violett-blau-palette der dämmerung, die in der erinnerung zusammenschmilzt mit den verschiedenen farben, in die das handy den sonnenaufgang taucht, so dass wir irgendwann nicht mehr wissen, wie es wirklich mit den augen gesehen aussah, sondern nur noch das erinnern, was die kamera daraus gemacht hat – in wirklichkeit war mehr silber
- die vereinzelten menschen in schlafsäcken am gülper see, der schlafende im vogelbeobachtungsturm, wo wir frühstücken wollten + das leere aussichtshäuschen ein paar hundert meter weiter, wo wir unsere füße wieder in den schlafsack stecken + nach 1 guten morgen zu 1 der anderen besucher*innen, die kurz hereinschaut, noch 1 halbes stündchen schlafen
- die spinnen + ihre netze am vogelbeobachtungsturm, in den wiesen, an den hölzern, überall + all die vögel + schwärme + schwäne, die mit der aufgehenden sonne den schattigen platz vor dem turm verlassen mit nils, der immer noch nicht zu ende gelesen genom sverige reist
- die quasi 1 stunde später gefühlt schon hochstehende sonne + all das licht nach der langen nacht, die am ende doch nur 4,5 stunden währte von bushaltestelle bis dämmerung + die handykamera, die glücklich über all die belichtung, dass sie prächtige bilder produziert
- der leere kleinbus, der an der haltestelle prietzen mit den ausgelegten faltblättern “muslime gegen rassismus” tatsächlich am sonntag nur wenig verspätet um 8:29 uhr kommt + nun den richtigen baufahrplan in der app ausweist, die mit dem übereinstimmt, was der grantige fahrer gestern gefahren, nur heute beherbergt der bus eine*n ganz legeren busfahrer und mich, den einzigen gast seit abfahrt in großderschau über spaatz, das im tageslicht aussieht wie prietzen, nur dass die kirche 1 grauer steinbau ist, bis hohenauen + das vornehmen, in zukunft mehr bus zu fahren, weil das die mischung der busfahrer*innen, die wir kennen, begünstigt + sie vom typ zur diversen gruppe werden lassen könnte + nachhaltig die leeren busse
bevölkertbemanntbesetzt + der wunsch, man möge doch 1 zukünftige finanzierung für das deutschlandticket finden, weil fitnessstudio + brandenburgtickets jede woche in unserem lohn nicht drinstehen - all die wünsche, die sich im nachhinein beim schreiben des textes hereinschleichen durch 1 hintertür, die das leben im augenblick nicht braucht
- die matratze am straßenrand zurück in berlin wie die ständige erinnerung an den josef + der hund mit dem eingebundenen fuß im bus nach hause: I so feel you!
- der kleine ausschnitt im süden von gülpe, den wir jetzt kennen, + die restliche große nicht begangene fläche zwischen rathenow + havelberg, die uns noch fehlt: I’ll be back!