st. olavsleden 2022 (tvärtom) 16/27
st. olavsleden
trondheim – sundsvall, 650 km
tag 16: röde – rödosundet (5.9., 34,5 km)
weil ich nicht gefragt habe
wo das abwasser hinkommt, schütte ich es in die büsche. das nächste mal fragen.
schnell runter zum utedo bei der frostkälte, aber der ausblick über den see ist mehrere fotos + 1 video wert. die hände danach erforen, aber den moment hab ich mir aus dem >30 km tag gestohlen, an dem nur kurze pausen geplant sind. nach heute wieder nur kürzere etappen, damit sichs ausgeht.
wenn der kopf zumacht, macht der körper zu. der hals ist eng + will die flüssigkeit nicht schlucken. ich versuche es mit kleinen übungen, aber wichtiger ist das aufbrechen vor dem erwachen der leute.
die lebensmittel im kühlschrank vergesse ich für 100 m, dann laufe ich zurück. die steigung abseits bekannter wege zählt komoot nicht mit.
die strahlende sonne für 1 kurzes stück weg auf der straße, wo viel morgenverkehr, den ich mit der sprachnachricht für natascha mit aufnehme. beim abhören klingt er nicht so stressig, wie er gefühlt ist, wenn man was sagen will, aber das motorrauschen abwarten muss. ich bin froh, von ihr gehört zu haben, einschätzen zu können, wies geht + auch mich mitteilen + revue passieren lassen zu können. ich sage: ich habe keine zeit zu prozessieren + verkürze um 1 etappe.
was ich verloren habe + wiederfand
die handschuhe tappat, du tapp! die merino liner, die ich dauernd küsse, weil sie so 1 segen sind. ich suche überall im rucksack, dann sage ich wie die mama: da kann ich jetzt auch nicht helfen. später finde ich sie unter der mütze, die ich trage. ich wunderte mich schon, dass sie so schief saß. ich hatte sie dauernd am kopf.
beginne 1 liste mit dingen, die ich verloren habe + z.t. wiederfand
- der deckel (weg)
- die stöcke (stehenlassen + zurückgeholt)
- die flasche (verloren + zurückgeholt)
- die handschuhe (versteckt)
ich lache laut+gewollt. ich lache es weg. ich danke dafür, es tut gut.
die uhr ist 1 fessel um mein gelenk mit ihrem gewicht. wird mein arm schon taub? ich wickele sie um die rechte seite zur abwechslung + finde sie untragbar schwer. die linke hand merkt, was die rechte tut, + meint, sie solle sich nicht so haben. an was man sich alles gewöhnt, wenn es nur lange genug dauert.
wie sprunghaft das wetter, nur tvärtom wie letztes mal: als der nebel vom sonnenschein weggefegt, heute rächt sich das grau am blau. am nahtlosen ufer die vielen häuser eingefügt+genäht wie kleine pailletten. wenn sie die lampen anzünden, glitzert es.
next level stempelkissen
ich stempele jetzt, wenn es geht, in mein buch. beim nächsten öffentlich zugänglichen kasten ist das stempelfach so trocken, dass ich mir vorstellen kann, wie leute – auf nummer sicher – 1 extrakissen mit einpacken. nur keinen abdruck auslassen.
primitive gegenwart: ich kann mir nichts schöneres vorstellen, als jetzt hier gehen im moment. mit jedem schritt, linksrechts, die unterschiedlichen geräusche der fußabdrücke auf asphalt + stein + matsch + moder. wiese, schotter, feld.
im abgelegenen gelände überholt mich 1 quadfahrer mit stinkendem quad + winkt. ich winke zurück. es stört mich gar nicht so sehr wie es mich gestört hätte früher. 2 wochen nach der reise werde ich in brandenburg auf 1 wanderweg gehen, der für radfahrer gesperrt ist + beim anblick der radfahrer gequält zu boden blicken, nicht grüßen können. da bin ich schon wieder angekommen in der stadt, die mich wie 1 rasender tiger verschlingt. in seinem magen gährts. wir kochen+brodeln alle in säure, wir kämpfen um unseren platz, wer zu boden fällt, wird zersetzt, wir halten uns wankend kaum aufrecht auf zerstampften leibern.
ich mache nicht viele fotos, bin in mich gekehrt. bis zum supermarkt, da blühe ich auf. im laden gibt es die schokopralinen des ladens, der geschlossen, als ich vorbei, weil nur 1 tag in der woche 2 stunden auf. ich kaufe mir 1 herz für später + kaffee für jetzt. die maschine funktioniert nicht. det funkar inte, kan du göra det? reparieren heißt was? ich translate das angezeigte wort – es heißt: spülen. 1 frau richtet die maschine, ihr kollege holt mir kaffee aus der mitarbeitendenmaschine. tack tack! 1 muffin macht alles besser. draußen auf der bank in der kälte wird der kaffee schnell kalt. hier kommen sie mit den traktoren zum einkauf vorbei.
neben dem mülleimer liegt 1 plakat der moderata samlingspartiet abgerissen auf dem boden, es sagt: „nu får vi ordning på sverige“, das ist lustig, weil ichs übersetze mit „nun machen wir ordnung in schweden“. aber das übersetzungsprogramm sagt: „nun ist schweden an der reihe“. ich finde meine version besser, wenn sie am boden liegt.
es dauert nicht lang, da hat die sonne wieder gewonnen + auf 1 endlosen schotterpiste wird mir so warm, dass ich mich bis aufs lange unterhemd ausziehe. ich hab noch 1 kurzes drunter, aber immerhin. nach trondheim sind es über 300 km – ich sehe immer im rückblick, was ich schon ging.
weil mir das wasser ausgeht auf der langen etappe, die ungewohnt warm geworden nach dem frostigen start, hoffe ich auf die olavsquelle, die mir im reiseführer angekündigt + auf die ich sehnsüchtig warte. vorher an 1 bach gebe ich auf, weil ich nicht ranreiche über die böschung ans wasser. aber die quelle ist trocken. obs nur am zeitpunkt liegt? an 1 haken hängen wie zur farce kleine bierkrüge herum zum schöpfen.
wir machen 1 pause + trinken den schokodrink, den wir uns schwerwiegend aus dem supermarkt noch in den rucksack gesteckt. dann wird die etappe einfach nur lang. wenn autos auf der schotterpiste vorbeipreschen, staubt es lang+weit hinter ihnen her. staub ist auch nur nebel, trocken.
zwischendurch die seen: das wasser trinken wir doch nicht? später wird mir die wirtsfamilie erzählen, dass sie aus dem see das trinkwasser beziehen + durch 1 filter laufen lassen – es wäre auch so trinkbar, aber sie machen es trotzdem. wasser aus dem see? die kirche, die ich nur aufsuche in der hoffnung auf 1 toilette ist geschlossen. vergesse ich hier im friedhof nach wasser zu sehen oder muss ich so sehr aufs klo, dass ich es nicht aushalten, noch etwas fließen zu sehen? auf dem weg nach unten das letzte stück kommen mir lauter frauen entgegen, es scheint, als wären sie hier auf 1 seminar + gerade ist pause.
ich fange die sonne überm see in tausend varianten ein. dann mache ich doch nochmal kurz rast, weil auch 5 min. den rucksack absetzen + die füße entlasten schon genügen, um 1-2 km wieder erfrischt zu sein.
wer bin ich, wenn du dabei bist?
die wirte sind nett + zurückhaltend zurückgezogen. ich werde noch sanfter+scheuer als ich eh schon bin, wenn ich wo einkehre. spieGEle ich das nur? ich schwinge jedenfalls sofort mit im ruhigen takt. wenn jemand meine geschichte kennt, wird er mich nicht mit dieser person in einklang bringen. aber je mehr ich da bin, desto sicherer werde ich.
astrid zeigt mir alles + redet schwedisch mit mir. sie hat die geduld für den, der lernt. ihr mann rickard verschwindet schnell wieder + bringt später das wasser. die stuga ist wie in der stalltjärnstugan 1 kleines gebäude im hof in mitten vieler anderer (gewächs)häuser. ich darf die toilette+dusche im haupthaus benutzen. ob ich wäsche hätte? ich will abdanken, aber besinne mich, was hab ich gelernt? ich sage, ich denke drüber nach. es gibt 1 kochplatte + wasserkocher. die heizung drehe ich nur leicht herunter.
als ich zurückgehe, sage ich: ja. wir stecken die wäsche ins sport-kurzprogramm, das wir erst im handbuch suchen müssen, sie haben sonst nur ylle. dann frage ich, ob ich jederzeit auf die toilette gehen könne? astrid sieht mich verständnisvoll an. sie sagt ja, sie hätten zwar auch 1 utedo … – ich schlage zu + sie zeigt es mir, ich bin erleichtert. so störe ich niemanden, wenn ich nachts 3x raus muss. im nachtkästchen finde ich 1 wirklichen nachttopf + bin so froh darüber, dass ich nicht ganz spinnert bin. ich benutze ihn nicht. das utedo ist gleich nebenan. ich lege 40 sek auf die 310 drauf für die wäsche.
als ob ich je 1 chance gehabt hätte, zu unterbrechen + was anderes zu machen.
nachts liege ich wach. der unterschenkel ist verkrampft, ich versuche es mit massage. den massageball habe ich zuhause gelassen wegen der paar gramm gewicht. ich habe angst, der körper macht zu. sorgen machen ist mein ding, das wetter, die herbergen, das ankommen, alles. nur den körper plane ich nicht ein. morgen nach östersund keine 20 km, das muss mich retten. nach brunflo ebenso. ich habe doch rechtzeitig?!
ich importiere in die uhr alle etappen bis zum ende. jetzt fängt es an, das gefühl: ja, ich könnte ankommen. ich könnte es schaffen. am 16. wäre ich in selånger. dann noch bis sundsvall 8 km, da könnte ich noch 1 pause machen. am 17. ankommen, schöne zahl. (schöne zahl?!) ich könnte anfangen, das ankommen einzuplanen. nicht mehr: mal schauen, wie weit ich komme. sondern ankommen wollen. was macht das mit mir?