st. olavsleden 2022 (tvärtom) 4/27
st. olavsleden
trondheim – sundsvall, 650 km
tag 4: stjørdal – borås (24.8., 23,2 km)
schon 1 tag später als gedacht
guri hat mir 1 tablett voll frühstück gebracht + auf ihrer rechnung 150 kronen für alles zusammen, für die nacht soll ich zahlen, was ich will. ich drücke ihr 300 nok in die hand, bin für 1 augenblick ganz glücklich + die nächsten stunden damit beschäftigt, ob es nicht zu wenig war. die alte frage der schuld. dabei überbucht in der grillhütte. es hilft mir nicht zu fragen, was andere täten, nur meine schuld allein muss abbezahlt werden. ich schwanke zwischen 100+200 und lege letztlich noch 200 nok aufs tablett, das lunchpaket eingerechnet. das habe ich gestern gezahlt für ü/f. dann zähle ich noch auf: handtücher, nachspeise, wasser, bettlaken, zimtschnecke + komme mir doch wieder knausrig vor.
claudia ist frühmorgens zum flughafen aufgebrochen, sie wollte sich nicht fahren lassen – sie ist wie ich. anja ist noch da, sie hat noch bisschen zeit. wir plaudern über gruppenarbeit+dynamik sowie die unmöglichkeit, alle zufrieden zu stellen. die freude muss aus den leuten selbst kommen. die erinnerung an die mutter + den fehlenden lebenswillen nach dem hirnschlag. an die reha + leute zwischen zu viel programm + kein angebot am wochenende. wir verabschieden uns viel entspannter als wir uns begrüßten, weil wir uns ein wenig kennengelernt haben. wir sehen uns in den anderen.
ich mache noch 1 abstecher
zum strand. das hab ich eingeplant, zusammen mit 1 durchquerung des markts, weil hier im ort ja auch das sportgeschäft ist, wo ich die gamaschen holen will (die schuhe werdens schon machen) + bis borås, wo guris mama+bruder die stuga vermieten, ist es nicht so weit, da ist noch platz. ein bisschen werde ich angst haben, dass auch hier überbucht sein wird + ich keinen platz finde, da guri die organisation für beide stugor übernommen hat – nur ist da keine stadt mit anderen optionen drumherum.
am strand schicke ich sprachnachrichten an die familie + natascha, checke nochmal die hotelkosten in stiklestad + buche überstürzt 1 zimmer für 130 €. (nicht kronen.) plötzlich tun sich so viele möglichkeiten auf, der weg geht weiter. mit jeder neuen unterkunft ist 1 streckenabschnitt mehr gesichert + 1 nächste recherche kann begonnen werden. es ist 1 erfolgserlebnis, das süchtig machen kann. boka boka boka. an den körper denke ich gar nicht mehr, der vor ein paar wochen noch am ende seiner kräfte in der reha rastete. später schaue ich nochmal, ob das hotel günstiger wird, aber es war das letzte zimmer + ich werde mich ärgern, dass ich nicht gleich den nicht-stornierbaren festpreis gebucht habe – wo sollte ich sonst hin? rundherum ist alles ausgebucht.
schattenwerfer*in
editionas kündigt 1 online-publikation an – das gedicht hab ich vor monaten eingeschickt. seit anfang des jahres schreibe ich nicht mehr. bin ich wirklich fertig mit allem? habe ich alles weg+leergeschrieben? aufgearbeitet? natürlich könnte ich noch 1 gedicht schreiben. + noch 1 + noch 1 + … aber wozu? in die zukunft muss ich schauen. was wartet da? nichts. was erwarte ich? beim lesen gefällt mir der text + ich weiß nicht, warum ich aufhören sollte/wollte, nachdem ich welzers wälzer gelesen habe. vielleicht mache ich auch im schreiben nur 1 sabbatical. ich sage die publikation zu, ich wüsste nicht, was ich korrigieren sollte.
im laden kann ich gamaschen kaufen. ich bin sogar in der lage, nachdem die verkäuferin sagt, sie hätten nur lange, nachzufragen, ob sie nicht auch kurze hätte. sie holt die kiste + wir kramen uns durch die modelle. es gibt 2 verschiedene kurze + ich kaufe das günstige. ich zahle bar, weil wohin sonst mit dem geld? 2 der nächsten unterkünfte muss ich eh mit karte zahlen. hoffentlich kommt bald der neue abrechnungszeitraum.
noch 1 supermarkt, noch 1. noch 1 eis. noch 1 yoghurt. müsliriegel. was ich jetzt nicht esse in die muskeln, schleppe ich nachher auf den hüften. socken brauch ich nicht, die werden schon halten. (da weiß ich noch nicht, dass ich später versuchen werde, die plastikverwobene wolle auf herd zu trocknen.)
für den yoghurt setze ich mich sogar hin. dann ists aber schon spät + die sonne brennt. 1 riegel auf die hand, jetzt aber los.
schreiben auf gerader strecke
fühle mich gut, wahnsinnswetter, voller magen, gespräche geführt, schulden bezahlt. wie wäre es ohne die tasche voll geld? 7 jahre vermögenswirksame leistungen in 1 sommer vertan. und ich bekomme 1 monat keinen lohn. auch das habe ich abbezahlt: die abwesenheit in der arbeit. vielleicht wäre ich nicht hier. kann mir nicht vorstellen wieder wie mit 20 ohne geld mit dem interrail nach spanien an den strand zu fahren. jetzt weiß ich auch, dass es nicht mein ding ist, aber auch so: ich bin lieber unterwegs (ohne sorgen). unbeschwert. mit dem sicherheitseuro in der tasche. was wäre wenn? wie wäre es dann?
die wenigen autofahrer*innen sind so aufmerksam, dass sie langsamer werden vor eine*m + mit großem abstand vorbeifahren. wer den glauben an die menschheit verloren hat, soll wandern gehen. ich erschrecke nicht mehr, wenn ich andere sehe. aber sehe mit entsetzen das erschrecken der menschen.
schattenspringer*in
zu den kratzwunden der katze hat sich 1 sonnenbrand auf der nase gesellt. sonst gehts ganz gut, vor allem, wenns vom asphalt weg in den wald hineingeht. an jedem bach halten wir an. wir zwängen uns in die schmale kalte kühle des schattens der steine zwischen den langen trockenasphaltstrecken. schilder fotografieren wir, um sie später zu lesen, was wir nie tun.
an 1 raststelle hat jemand seine sportschuhe vergessen. die sportschuhe! während ich in der heißen durchs holzdach aufgewärmten stuga raste, kommt der autofahrer zurück, der von hier aus 1 spaziergang gemacht hat. der mann mit dem hund hilft mir, die strecke zu finden. wer spricht wen an? zum 1. mal verstehe ich gut, was die person sagt: “är du svensk?” ach wie nett. verstehen ist auch nur den sinn erraten von dem, was die andere person sagt. man hört laute + versucht daraus wörter zu bilden + ihnen 1 bedeutung zu geben. man braucht nicht jedes wort, um zu verstehen, was gemeint ist, aber manchmal ist 1 entscheidend. inte ikke.
höhenangst
oben auf dem berg 1 schöne vesper. 1 jogger kommt angerannt, grüßt + läuft vorbei, später kommt er zurück + rennt wieder hinab. meine güte – waren sind wir auch so?
denke jetzt schon wieder an die arbeit zurück. bin seit 8 wochen auf freiem fuß. wenn ich da ankomme mit der großen dankbarkeit, dem glauben an das gut werden + der spiritualität des weges, wer wird dann lachen? sind wir so zynisch geworden in der stadt? oder hab ich zu viele ideale, um die wirklichkeit erträglicher zu machen? ich will aber nicht mehr so sein. eng+zugeschnürt, so schmal wie die breite des nicht vorhandenen trottoirs. wer geht wem ausm weg? ich will offen sein + nachgeben, ohne dass es mir als schwäche ausgelegt wird. ich will die ellbogen strecken zum jauchzen <j!uhu!> wenn ich auch kein*e philantrop*in mehr werde: schau sie an: die netten menschen hier.
und der quälgeist im gehirn äfft hinterher: ja aber – so reich, so weiß, so unbeleckt.
ja aber – das land, die weite, die luft.
ja aber – die religion.
der berliner beton hat uns abgehärtet. wir brauchen ihn auch, um farblos mit unseren staubgraugesichtern drin unterzugehen. aber wenn kein regen mehr fällt, tauchen wir nie mehr auf.
was ich lerne über moor, schreibe ich auf. es könnte 1 geschichte werden. oder auch nicht. bei der 3. rast hab ich schon kaum wasser mehr, aber die menschen vor ort haben vorgesorgt + 1 wasserkanister aufgestellt. leider ist er leer. schnaps wäre noch da, aber weiß gott, vielleicht ists auch nur spiritus – lieber nicht aus angebrochenen falschen flaschen trinken. es ist noch so weit! alles ist weiter mit über 10 kg gepäck.
aAsphalt
die skisprungschanze erkenne ich erst, als ich im neuen 3fach modus 1 foto mache. man muss 1 ganz schönen arsch in der hose haben, da runterzufliegen.
am ende bretzelt die sonne uns nieder. wir haben kein wasser mehr, weil wir verwöhnt von der sprudelbachstrecke die reserve verkleinert haben. jetzt komm ich nirgends heran. der privatbrunnen vorm haus plätschert so erfrischend, aber beim versuch ist das wasser warm. wir schütten den rest wieder weg – scheint doch nur 1 kreislauf zu sein, der 1 eimer altwasser vor+zurückspult. was stellt ihr denn alle eure kein-trinkwasser-brunnen auf? für was+wozu? jävla brunnarna! hat uns jemand beobachtet? hat uns jemand trinken/pinkeln sehen?
2 magentabletten zur sicherheit. da waren wir auch schon weiter. irgendwas koppt mich.
1 haus für mich allein
mit der mutter von guri schön schwedisch sprechen. die alte dame, die sich kaum bewegen kann, holt mir noch 1 frisches handtuch, an dem ich mich abwehrend aber dankbar reibe, es ist hart wie eisen. wir verstehen uns gut, nur beim wort marmelade muss ich die translationsapp rausholen. die übersetzung lautet: marmelade.
ich suche mir 1 bett aus. wie macht man das? wonach geht man? sicher nicht wie ich nach der schönsten stelle im haus/raum. anstatt die matratze auszuprobieren, nehme ich das mit aussicht. als ich dusche, kommt der bruder von guri. als er merkt, dass ich im waschraum bin, geht er wieder + kommt später wieder mit dem korb. die ganze familie ist klein+schmächtig, ein bisschen schräg. er kommt aus dem stall + hat 1 laib käse eingepackt + 1 käsemesser, mit dem ich mir große scheiben abschneide.
“du snakker gott”. was er spricht, ist doch kein englisch? wenn man etwas nicht versteht, muss es nicht nur an einem selber liegen. er wiederholt treu die worte, bis ich sie enträtsle: thirty days bis sundsvall. early. ob ich früh gehe? ach, ich bin so trött. aber gut wärs, es ist so warm.
es rechnet sich nicht
das wlan verführt mich dazu, nur noch die nächsten unterkünfte zu recherchieren. wenn ich irgendwie dachte, dass dieser trip einfacher wird, gilt das nicht für diesen punkt der reise. das wäre mit zelt + festen hütten aufm kungsleden anders gewesen. traue ich mich im blokkhuset, der alten verlassenen festung zu schlafen? ausgeschrieben ist sie als mögliche unterkunft. noch den campingplatz anfragen – 30 km sind zu schaffen.
im korb gibts nur knäckebrot. die scheiben sind abgezählt. wie viel käse passt auf 1 knäcke? mache mir noch 1 brot zur nacht. 100 kronen trinkgeld (“tack för dricksen”) – bloß nichts schuldig bleiben. er will das zu viele geld erst nicht nehmen, ich zwinge es ihm auf. meine rechnung geht so nicht auf. ich überschreite die tägliche kalkulation um 100-200 nok, stiklestad wird mich das äquvivalent von 3 tagen kosten. ich kann doch nicht dauernd so viel drauflegen?
ryggskottet
beim hinlegen erleiden wir 1 hexenschuss, den wir mit viel willenskraft + etwas dehnung wieder in den griff kriegen. es sollTE 1 zeichen sein. oder ist es nur das falsche bett? ist es doch zu viel belastung? der rucksack sitzt nicht mehr schief, aber vollgepackt auf beiden brachliegenden brechbaren hüften. zu lange strecke, zu viel sonne, zu wenig pause. schaffen wir das? orkar vi det? ich weiß es nicht. ich weiß grad gar nicht, ob das so 1 gute idee ist. ich weiß aber auch nicht, ob ich wieder aufhören kann. bernt wartet ja auf die sms aus sundsvall. die kolleg*innen warten auf die erholte rekonvaleszente. freund*innen+familie warten auf lebenszeichen.
was er_warte ich? was erwarte ich mir von der tour? sicher keine lösung mehr, das habe ich schon vor der reise abgeschrieben. weil
- wir ja schnell alles ändern mussten wegen corona-infektion
- wir aus der quarantäne nicht rechtzeitig kamen, um vor abreise zum kungsleden fit zu werden + angst hatten, den kungsleden körperlich doch nicht zu schaffen
- wir die reha verlängert haben + nicht mehr viel zeit hatten
- die wandersaison im norden ans ende geht + wir hofften, weiter im süden mehr glück zu haben mit dem wetter
- wirs leichter haben wollten – weniger ballast
- wir was gelernt haben wollten in der reha
- wir kein sabbatical machen wollten mehr, keine große auszeit, sondern einfach urlaub
- wir keine große veränderung mehr anstrebten nach der reha, einfach nur noch ein wenig 1 gute zeit, weit weg, auf dem weg.
was erwarten wir also? vom weg? von uns? was erwarte ich (von) mir?