fagöitsgod
bahnhof gesundbrunnen fällt mir, weil ich alles über ruhe gelernte aus der reha vergessen habe, der schnurlose kopfhörer aus dem rechten ohr, als ich lebkuchen kauend die u8 richtung wittenau einfahren sehe + losrenne, den angebissenen lebkuchen in die einkaufstüte werfe + die ffp2-maske hinter das ohr/unter den buff ziehe, worauf ich ihn sofort verloren gebe, nachdem ich rollrichtung+geschwindigkeit richtig einschätzend ihn zielsicher unter die bahn ins gleisbett kullern sehe, woraufhin ich (wie gerade noch vorgesehen, jetzt allerdings) perplex in die bahn springe, von hinten beiseite geschoben von der tür weggedrängt werde + somit ohne halt in pankestraße weil baustelle bis osloer straße fahre, wo ich in den bus nach hause steigen könnte, wenn ich nicht in der zwischenzeit die alte ideologie des wegwerfens – das im übrigen nichts mit loslassen zu tun hat, sondern dem abschneiden von bedürfnissen + der angst vor der reaktion von menschen, denen man diese bedürfnisse anvertraut – verworfen + durch die neue “ich kümmere mich um mich” oder in diesem falle “meine sachen” – was verständlicherweise nicht verwechselt werden darf mit der gefahr des “ich werde meine sachen” – ersetzt habe + zurückfahre mit halt in pankestraße.
bahnhof gesundbrunnen finde ich nach 1 mehrere minuten + ubahndurchfahrten andauernden + währenddessen von zahlreichen trittbrettfahrer*innen beäugten waghalsigen erkundungsmanöver, bei dem ich über der weißen abstandslinie schwankend + gefahr laufend von den sich aneinander vorbeischiebenden respektive ab+verdrängenden massen angerempelt zu werden, das gleichgewicht zu verlieren + vor die bahn zu geraten, milimeter für milimeter die trilliarden fitzelchen im schwarzen kohlemeer durchforste, erst mit augen, dann mit der taschenlampe, dann mit fotobeweismaterial, den weißen kleinen unscheinbaren scheiß kopfhörer, der mir wie sein*e partner*in schon zigmal aus dem ohr gefallen ist, wobei es jedesmal 1 kurzen schreckmoment + “ohoh”, aber bislang kein “oh nein” gegeben hat.
bahnhof gesundbrunnen erhalte ich, nachdem ich die putzkraft als möglichkeit zur wiederbeschaffung augeschlossen habe + das sonst immer präsente sicherheitspersonal nicht ausfindig machen kann, über die elektronische informationsanlage 1 verhalten positive information bezüglich der rettungs bergungs deppenhilfsaktion, die verlangt, dass ich nach 22 uhr, wenn es etwas ruhiger geworden ist wäre, wiederkehre, um 1 versuch der wiedererlangung zu unternehmen, was ich nach heimfahrt, dusche, essen, liegen liegen liegen, tue, wobei ich zuerst nochmals nachsehe, ob der kopfhörer überhaupt noch an derselben stelle liegt (was er tut), dabei 1 strangen [straintschen] merkwürdigen eindruck bei den wartenden hinterlasse, indem ich mich über den abgrund beuge, nicke + davongehe, um im gesundbrunnencenterrewe, der nicht, wie ich immer wieder falsch vermute im ug sondern 1. og liegt, für das lange wochenende nochmals einkaufe + dabei einerseits 1 dankeschönschokoladenpackung zu den 10,- € bergungslohn erwerbe + andererseits wieder wie immer vergesse, den pfandbon einzulösen.
bahnhof gesundbrunnen, nachdem ich die fehlenden 20 min bis 22 uhr zwischen all den anderen in dauerhaft hockenden, rauchenden, telefonierenden, surfenden, tratschenden, umherstreunenden, in abfallbehälter kramenden, trinkenden, schlafenden gewartet + nochmals die position des verdammten kopfhörers überprüft + die informationsanlage mit den worten “ich habe heute nachmittag 1 kopfhörer im gleisbett verloren + mir wurde gesagt, ich könne nach 22 uhr nochmals wiederkommen, um zu sehen, ob man ihn rausholen könnte, wenn es etwas ruhiger geworden ist wäre” einsteige, damit gleich klar ist, dass es nicht meine idee war + schon jemand mal verhalten positiv auf meine anfrage reagiert hat, + auf die verblüffte reaktion “aha” versuche, beschwichtigend das mein bedürfnis zu reduzieren auf “vielleicht könnte zumindest jemand kommen + sich das ansehen, ob es überhaupt möglich wäre”, woraufhin die dame woanders nachfragt, wozu sie die “bitte warten Sie” ansage einschaltet, die ab jetzt alle 10 sekunden laut aus dem blechsprecher durch den untergrund krächzt + damit regelmäßig die blicke aller wartenden +/oder einfach nur so herumsitzenden auf mich zieht, bis die wirkliche person in der information nach etwa 2 minuten sagt, es würde jemand kommen + ich solle auf jeden fall stehenbleiben + warten, als ob die leute, die sich melden wegen hilfe hier immer wegrumpeln würden, erscheint 1 junger mann mit 1 großen alten zange.
bahnhof gesundbrunnen zieht sich 1 junger freundlicher hilfsbereiter mitarbeiter der bvg 1 warnschutzweste an, nachdem er mit der aufsicht telefoniert + mitgeteilt hat, dass er ins gleis 2 steigen + sich wieder melden würde, wenn er wieder heraus ist, nachdem ich die frage, ob der kopfhörer 1 schnur hätte, mit nein beantwortet habe + er nach 1 blick ins kohlebett die lage eruiert hat, lässt die einfahrende bahn davonfahren + steigt am ende des bahnsteigs hinter 1 verschlossenen tür, der er mit 1 geheimen schlüssel öffnet, in die gleise, kommt die 10-20 m zurück in meine richtung, bückt sich, langt in das unbeschreiblich versaute gleisbett mit der bloßen hand, birgt den hörer, damit er wieder in meinen kopf kann, legt ihn freundlich nickend in meine schamesroten dankbaren hände, geht zurück + kommt heraus, ruft die aufsicht an + gibt bescheid, dass er wieder heraus sei, lehnt die schokolade mit+ohne geld ab, weil er nichts annehmen darf + antwortet auf die frage, wie ich mich bedanken könnte: “Sie können 1 nette mail an die bvg schreiben”, woraufhin ich beschwöre: “das mache ich”, mich noch 3x verbeuge + verdutzt in die falsche richtung laufe, weshalb wir uns nochmal begegnen + ich noch schönen abend, schönes wochenende, feierabend, sonntag + feiertag wünsche + nicht glauben kann, dass jemand mir geholfen hat, meinen trivialen kopfhörer aus dem gleisbett der alle 5 (und nach 22 uhr 10) minuten fahrenden u8 im bahnhof gesundbrunnen der millionenstadt berlin zu befreien + ich ihm das nicht entgelten kann.
bahnhof gesundbrunnen hat die nächste bahn, nachdem mein kopfhörer wieder sicher bei seinem*r partner*in im ladegehäuse steckt, 10 min. verspätung + ich entschuldige mich bei allen fahrgästen an diesem abend, falls diese verspätung wegen mir zustandegekommen ist sei.
danke. und vergellt’s gott.
hier geht’s zum (aktuell von oktober-bis dezember 29,- € berlin AB) abo.
(unbezahlte werbung)
(falls Sie sich fragen, was so ungewöhnlich ich an meiner geschichte finde: einst stand ich in der kälte vor 1 café und meine nun tote freundin sophie ging für mich zurück hinein, weil ich die handschuhe hatte liegen lassen und ich es nicht schaffte, zurückzugehen, um sie zu holen. warum? weil ich mich schämte für den verlust und das bedürfnis nicht ertrug öffentlich zu machen.)
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