kungsleden (2023) – rakt fram – epilog

hemavan – malmö – berlin (25.7.-27.7.)

ich bin noch nicht fertig

morgens bin ich die 1. beim gigantischen frühstücksbuffet, wo mich 1 bedienung bittet, bescheid zu geben, falls es mir an was fehle. ich wüsste nicht was. ich muss mich erstmal durchessen. wer bitte fragt an 1 überbordenden buffet noch nach 1 bestimmten marmeladensorte? als die nächsten gäste kommen, bin ich bereits beim 2. durchgang + als ich mich endlich lösen kann, muss ich die gut gefüllte bauchkugel vorsichtig durch die gänge manövrieren.

im zimmer leg ich mich nochmal 5 min. zum powernapp oder verdauungsnap hin. jetzt fällts mir schwer, zu gehen. die rückfahrt plane ich so lange wie möglich, da ich noch reserven aus den gesparten etappen habe: mitm bus gehts nach umeå, wo ich einst mal urlaub machen wollte, abers verworfen habe zugunsten des näher an der heimat liegenden malmö, auch wenn ich dort schon öfter aufenthalt hatte. die arbeit rückt nun doch näher heran + wenn ich auch noch ein paar tage habe, will ich den traum, wo ich fern des zuhausees (meist daheim in bayern) auf urlaub bin + nicht zurückkomme rechtzeitig, weil ich den bus/zug nicht erwische, die fahrten abgesagt werden/wir uns verfahren, nicht wahr werden lassen.

irgendwann muss auch mal gut sein

(c) kaschpar

warum hab ich diese sprache gelernt? warum bild ich mir ein, nach schweden ziehen zu wollen, gehe aber dieser frage nicht nach, sondern lasse sie im offenen dahinschwinden, bis es unmöglich wird? ich weiß, dass die essstörung solch 1 downer ist, der jede zukunftsplanung verunmöglicht. + ich kann mich an keine zeit erinnern, wo sie nicht, wenn auch nicht aktiv, doch im hintergrund geschlummert hätte. da brauch ich nicht mal hiv, um mir einzureden, dass das alles nicht ginge.

aber die eigentliche frage ist ja: was will ich denn? will ich in 1 anderes land auswandern, weil ich denke, dass die menschen hier freundlicher wären? zumindest die massen weniger + die berührungspunkte ärmer? dafür verarmt man sozial noch schneller da draußen aufm land. will ich denn wieder aufs land ziehen unter die soziale kontrolle? kann ich diese einmal umdeuten zum nachbarschaftlichen vertrauensverhältnis? + wieso sollte ich an meiner jetzigen situation irgendwas ändern, wenn dazu keine not besteht?

change is a challenge

das hirn mag keine veränderung, es mag die routine. + es tut alles dafür, dass wir nichts an unseren gewohnheiten ändern, denn wie wir mags nicht arbeiten, sondern sich im default mode erholen. ists also nur die bequemlichkeit, der bürgerliche luxus, den ich mir erbaut auf der wackeligen vereinstätigkeit, dass ich nichts ändern kann oder mag? ists die zughörigkeit zur selbsthilfe in der aidshilfe, die mich so hält, dass ich an ihrem gerüst nicht zu sägen gewillt bin? weil was bliebe mir dann? dann bliebe nur ich. ich allein.

in schweden gibts diese form von strukturstarker aidshilfe nicht. es gebe ja auch kaum sowas wie hiv, wie mir 1 gastgeberin vom olavsleden beschwörte. wo bind ich mich an in meiner freiheit, damit ich nicht verwehe wie 1 verwelkendes blatt? soll ich ins kloster gehen in schweden + dort schreiben, wies die therapeutin in der reha für mich ersonnen? (!) über was schriebe ich da? ist das nicht die wichtigere frage? was wird aus dem schreiben, wenn dieser beitrag zu ende? wenn der weg gegangen? was wird aus mir?

I’m kind of married to my infection

ich muss los, sonst dreh ich durch. das schlimmste+beste zugleich am unterwegs sein ist die ungebundenheit, die freiheit, die möglichkeit, sich alle anderen perspektiven/lebensmöglichkeiten ausmalen zu können, die im eingebundenen alltag schwer vorstellbar. man ist aber auch überall fremd, auf der durchreise + wies wirklich werden würde, weiß man am ende nur, wenn mans tut oder täte. also hilft alles ruminieren nichts, es funktioniert nur in der praxis. entscheide dich, plane es, setze es um, probiere es aus, mache 1 erfahrung. sonst kommst du zu nichts.

hab ich schon gesagt, dass ich den fitnessstudiovertrag für 2 jahre unterschreibe, heute am 25.07.23!? dass ich mir in 4 monaten 1 sofa bestelle, auf dass ich bis januar 2024 warten muss, bis es mit 2,20 m länge meine halbe wohnung ausfüllen wird? wie ich den rolllattenrost durch 1 tonnenschweren verstellbaren 1,40×2,00 m rost ersetzen will? wie ich plane, die wohnung zu streichen + die fenster zu renovieren? die längslücken im dielenboden endlich mit kork verstopfen? wie ich seit 2015 nach einzug die losen elektrokabel von der badezimmerdecke ignoriere, um keine lampe anzubringen? wie nichts in meiner wohnung gebohrt ist?

ich weiß bescheid

(c) kaschpar

ich muss ankommen, bevor ich weggehen kann. ich muss mein leben annehmen+akzeptieren, bevor ich entscheiden kann, was ich daran ändern möchte. ich kann nicht ewig 1 hintertür offen lassen, durch die die schwedische/branden/mecklenburgische oder welche sonne auch immer scheint, durch die ich aber nie trete, nur um sicher zu sein, falls … könnte ich. es kommt aber kein falls, weil ich zu feige bin für 1 falls. ich bin zu feige für den fall. zu feige zum loslassen. ich halte/hänge/klammere, bis mir die finger abfallen, nicht mehr. 1 freier sprung ist auch kein fall. es ist 1 antwort auf 1 situation – kein fall aus 1 sitzuation.

es kann sein, dass ichs mir leicht mache, dass ich bestimmte wege nicht gehe aus angst, zu scheitern. am ende ganz allein dazustehen, wo das allein, das ich jetzt lebe, mir schon reicht. ich habe meinen rahmen + meine backups, aber an denen darf auch niemand rütteln. sie dürfen mir nicht wegsterben wie s., weil ich die lücken nicht schließen kann. ich bin egoistisch. ich mag nicht leben ohne diese leute. ich mag keine neuen finden. neue sind anstrengend. sie kosten kraft, bis vertrauen entsteht. ich hab aber keine ressourcen.

aber nur mal angenommen ich wüsstes nicht

während ich diese sätze schreibe, muss ich nicht nachdenken. es sind alte sätze+bilder, die sich fast ohne gedächtnis automatisiert wie bei 1 ki abrufen lassen, sobald ich 1 bestimmtes thema eingebe. wenn ich mir was wünsche für die zukunft: mich freimachen zu können von all diesem glauben, wer ich bin/wer ich war/wer ich sein werde. sein kann. so wie ich jetzt die gedankenströme, wenn ich unterwegs bin, dauernd kappen muss, damit sie mir nicht von mord/totschlag/überfall erzählen. was andere mich fragen, wovor ich angst habe, was ich verneine: ehrlich gesagt: ich blendes aus. ich schätze 1 risiko ein + gehe drauf zu.1

als ich gestern an silvester ausm haus gegangen bin, war der böller, der vor 20 jahren in meine richtung flog, ständig in meinem nacken. als ob ich dauernd drauf achten müsste, dass es jemand auf mich abgesehen hat. so kann man doch nicht durchs leben gehen! mit dieser angst + diesem misstrauen. wie machens die leute, die ständig das gute in den menschen sehen? die an der nächsten lärmenden gruppe, die gerade 1 bierflasche zerschmettert hat, ungestört vorbeigeht? die nicht in der kongenialen inszenierung von schwitters ursonate dauernd den tränen nahe ist ob der nazianklänge? der nicht bis zur richtigstellenden recherche im kopf hat, dass schwitters im exil an 1 überdosis (= selbstmord) gestorben wäre (wie k. tucholsky, s. zweig, k. mann)?

ich muss zurück. hemavan. 25.07.

als ich zur busstation gehe, treffe ich die australierin. großes hallo, sie ist gerade angekommen + fährt auch gleich mitm bus weiter. sie hatte schönes wetter heute übern berg … als ich ein bisschen meine fußproblematik erläutere, erzählt sie mir die geschichte ihres beins:

sie sei nach 2 monaten wanderung durch schweden umgeknickt aufm kungsleden, habe es bandagiert, der fuß sei angeschwollen, habe am schuh gerieben, es haben sich entzündete wunden gebildet + bis sie in kvikkjokk auf 1 wandernden arzt gestoßen sei, habe sie kaum mehr laufen können. er verordnete ihr 1 packung antibiotika + schmerzmittel + schickte sie auf 1 woche ruhepause. als sie mich hinter der tärna-hütte überholte, hatte sie gerade die etappe bis ammarnäs übersprungen, 1 woche pausiert, antibiotika genommen + war wieder losgelaufen.

I feel you

(c) kaschpar

ich sehe sie etwas ungläubig an, die kleine schmale faltige person, die gerade 2 zimtschnecken verspeist. wirklich? sie zeigt mir ihr notfallset: 1 gps-gerät, das ohne funksignal über satellit sms versenden+empfangen kann. ihre tochter würde sich sonst sorgen, wenn sie nichts höre. früher sei sie mit ihrem mann unterwegs gewesen, jetzt nach seinem tod gehe sie alleine.

vielleicht bin ich gar nicht so erstaunt. vielleicht sind wir uns sogar sehr ähnlich. vielleicht bin ich sie, in zehn, zwanzig jahren. nur dass ich mir kinderlose überlegen müsste, wem ich das antun würde, zuhause auf die regelmäßigen nachrichten des notrufmelders zu warten. es gibt keine scharfe grenze zwischen sicher+risiko. es ist 1 weites feld + manch eine*r geht näher+länger am abgrund als 1 andere*r. wir sicher sind beide von der art, die immer gerne die aussicht von den klippen hinunter haben + ständig aufpassen müssen, dass wir nicht rutschen/straucheln/stolpern.

umeå. 25.07.

mitm bus gehts jetzt nach umeå, es gibt genug platz für alle, dass wir alleine auf unseren doppelsitzen hocken können. die australierin fährt danach auch mitm zug weiter bis stockholm, ich bis malmö. beim umsteigen in umeå schnelle ich in den supermarkt für 1 snack, bevor ich mich am bahnsteig orientiere. da sehe ich die niederländerin ihr abteil suchen. die mitn kurzgeschorenen haaren, die sich ebenfalls pakete hat liefern lassen. ja hallo! sie sei schon vorgestern angekommen, war bei freund*innen zu besuch + heute morgen schon auf 1 kleinen run durch die stadt, weil sie voll energy sei. ich bin mit meinem humpelding etwas fassungslos + zugegebenermaßen neidisch. ich drücke sie fest, dann verabschieden wir uns.

(c) kaschpar

vom pärchen mit hündchen weiß ich zumindest von ihrem namen im übernachtungsbuch in der viterskals-hütte, dass sie vermutlich angekommen ist. ich habe die bücher sonst nie durchgestöbert, aber am letzten tag interessierts mich doch – ich aber kenne so wenig namen. das austria-deutsche-duo hats auch rechtzeitig zur hochzeit des deutschen, die während der wanderung nebenbei geplant werden musste, geschafft, wie ich später erfahre. vermutlich sind alle, die sichs von vornherein vorgenommen oder mittendrin in sich entdeckt haben, dass sies schaffen können, in hemavan angekommen. humpel/knick/stolperfuß hinoderher: so langes geht, gehen wir.

malmö. 26.07.

der aufenthalt in malmö dient eizig+allein der hinauszögerung des ankommens, des ressourcenaufladens, des nicht wahrhaben wollens, dass nun alles vorbei. zu ende. kaputt. ich freue mich aufs hotel, auf die weichen kissen, das gute buffet, auf alle weiteren annehmlichkeiten. ich nehme so viel davon mit wie möglich. beim supermarkteinkauf stopfe ich mir die taschen voller essbarer souvenirs, die ich den kolleg*innen + familienmitgliedern + freund*innen mitbringen will. aber ich lüge mir 1 ganzen rucksack damit voll.

nachdem ich 1 der verschiedenen abendessen zur auswahl noch auf der parkbank verspiesen habe zusammen mit 1 speisetieleis, bewege ich mich langsam auf meinem kaputten fuß zurück zum hotel. es ist strahlendster sonnenschein + ich esse lakritze ausm beutel der lösgoddis (lose süßigkeiten zum einfüllen mit schaufeln in tüten), die als geschenk gedacht waren. vorm hotel setze ich mich aufm marktplatz, um zu sinnieren.

i bin i – ia saids ia

(c) kaschpar

wies der zufall will, trudelt 1 große bayerische reisegruppe älterer leute nach+nach ein + setzt sich auf die bänke rundrum. ich bin plötzlich zurückgeworfen in meine kindheit + lausche den erzählungen+berichten des heutigen stadtrundgangs. obwohl wir die bilder in uns speichern von daheim, wenn wir ins exil gehen, + uns kaum lösen können von ihnen, stellen wir doch irgendwann, wenn wir wieder mal zuhause sind, fest, dass sich auch dort vieles verändert hat + wir diese bilder von den anderen anpassen müssen wie die von uns selbst.

anscheinend ist aber an dieser gruppe jede veränderung vorbeigezogen. noch während ich mich frage, ob ich mich zu erkennen gebe oder nicht, fängt 1 der männer 1 geschichte über 1 flugzeugflug an, der mir ins detail hinein beweist, warum ich so geworden bin wie ich war. wenn ich wo einsteige + 1 platz besetze, überkommt mich stets die angst, ich würde ihn jemand anderem wegnehmen. die tasche darf nicht aufn sitz. wer am fenster sitzt, muss rausschauen, sonst ists umsonst. wer 1 viererplatz belegt allein ist 1 sozialschwein: „des hod ma gstunkn„. im grunde ists egal, wo ich einsteige + mich hinsetze: irgendjemand kann immer kommen + sagen: ich solle da weg, es sei nicht mein platz, ich stünde/säße im weg.

von poesie bis poisen

in seiner erzählung fliegt er nach mallorca (so wills die erinnerung) + findet neben seinem platz in der mitte 1 dreierbank 1 frau am fenster sitzen, die in 1 buch liest. er fragt sie, ob sie tauschen würde, er würde gerne am fenster sitzen + rausschauen. sie verneint. dass sie irgendwelche gründe dafür haben könnte, wie: sie hat sich den platz am fenster ausgesucht, weil sie nicht in der mitte sitzen mag, weil sie am fenster sitzen mag, weil sie nicht am gang sitzen mag, was weiß ich: das kommt ihm nicht in den sinn. er beschwert sich in seiner erzählung bei seinen zuhörer*innen darüber, dass der platz an die person verschwendet wäre, weil sie im buch gelesen habe, anstatt hinauszusehen.

ich will damit nicht alle über 1 kamm scheren + erst recht nicht 1 statistik aufmachen, zu welchem prozentsatz von eigenbrödler*innen, die nichts mit mentalisierung anfangen können, ich ihn zähle. meine eigene mentalisierungsfähigkeit ist extrem eingeschränkt: wers als kind nicht lernt, hat später mühe. es geht aber! man kann sich in andere hineinversetzen! man kann empathie entwickeln. man muss nicht über andere herziehen + ihnen das recht auf etwas absprechen, nur weil sies nicht so umsetzen wie die person selbst es getan hätte.

wie 1 adventskalender

(c) kaschpar

ich schicke der mama 1 bild + mache 1 witz über die bayerische reisegruppe, dann fühl ich mich besser + gehe zurück zum hotel, wo ich den halben rucksackeinkauf leeresse, der für die anderen bestimmt war. alibihalber setze ich mich im fensterlosen fitnessraum auf 1 fahrrad + schwinge 2 hanteln, bis ich das gefühl habe, es wäre mir peinlich, wenn jemand käme.

aufm zimmer tue ich, was ich sonst auch tue: ich lese, höre podcasts, gehe die fotos durch. ich speichere die komplette reise in meinem inneren ab + lasse sie nicht mehr heraus. ich verdaue sie nicht. ich erzähle mir keine geschichte darüber. ich ziehe kein fazit, keine lehre, keine pointe. bis ich jetzt, 5 monate später, in 1 art bulimieanfall alles herausspeie, was bisher da drin verschlossen war.

malmö. 27.07.

beim frühstück beeile ich mich + bediene ich mich großzügig, damit ich vor der rückfahrt noch im supermarkt die leergegessenen fächer auffüllen kann + ich nicht ohne geschenke heimkomme. es wird nichts bringen, muss ich das sagen?

leider gibts keinen nachtzug in dieser woche wegen 1 baustelle – die schwed*innen setzen einfach aus mitm verkehr. nur die dänischen+deutschen züge fahren, aber damit steige ich zigmal um, brauche 1 ersatzbus zwischendurch, fahre den ganzen tag + komme spät abends heim. im 1. klasse abteil, das ich mit zugbindung ohne sitzplatzreservierung gekauft habe – etwas, was ich nicht nochmal mache, weil wenn alle anderen 1 reservierung haben, wo sitz ich dann? in der 2. klasse? (muss ich sagen, dass es 1 witz ist?) -, lerne ich 1 niederländer kennen, der auf heimreise von 1 konferenz ist.

töff töff töff

(c) kaschpar

ich lerne nie jemanden kennen im zug – vielleicht merke ich daran, wie sehr der weg mich geöffnet hat. wenns für die bayerische reisegruppe nicht gereicht hat: für 1 einzelne person im zug passts wunderbar. wir kommen über 3 stunden ohne unterlass ins gespräch. + wer mit mir gespräche führt, weiß, dass ich nichts oberflächliches berede, weshalb kontakt mit mir nur in größeren abständen möglich ist. man kann einfach nicht alle paar wochen über den sinn des lebens + die eigene lebensausrichtung reden.

wer sich 1x im zug trifft, kann aber sofort die harten themen angreifen: die notwendigkeit zug zu fahren in 1 untergehenden welt, urlaub in zeiten des klimawandels, krankheiten wie hiv oder blutkrebs – was uns am ende am meisten verbindet: chronische krankheit. zum 1. mal erzähle ich 1 fremden im zug von hiv + mache gleich 1 gute erfahrung. obwohl ich dauernd auf komische momente lauere, die irgendeine angst offenbaren, werde ich enttäuscht, auf gute weise: wir trinken sogar noch 1 kaffee in hamburg in der db-lounge. wir drücken uns zum abschieden + sagen: we keep in touch. was wir nicht tun, weil unsere leben zu weit auseinanderliegen, als dass wirs uns erklären könnten, warum wir uns wiederträfen.

berlin. 27.07.

als ich zuhause ankomme, bin ich glücklich. ja, ich kanns so sagen. das heimkommen, die wohnung, zu wissen: das ist mein platz, mein raum, wo ich sein kann: das macht mich glücklich. ich fühle mich meiner eigenen wohnung zugehörig. zeit, dass ich den balkon so herrichte, dass ich mich wohlfühle. zeit, das kaputte sofa rauszuwerfen (es steht immer noch da + wartet auf seinen nachfolger). zeit fürs ankommen.

die nächsten 2 monate werde ich von extremen essstörungs-rückfällen heimgesucht. als ob ich die wanderung in 1 luftblase eingebettet hätte, die bubble, in der ich selbst lebe. drinnen ist alles fingiert, so wies sein soll. draußen ist alles fad+öd. nur kein maß, lieber extrem, damit mans auch spürt (oder auch nicht, je nachdem). 1 essstörungsanfall kommt nicht ausm nichts. er baut sich auf über tage hinweg, du schaffst es grad noch, das halbe brötchen, das du zu viel gekauft, wegzulegen, später isst dus doch. dann noch was drauf. dann noch was. dann ists zu spät. du kannst die attacke nicht mehr stoppen.

coolesterol

schlimmer noch: du willsts nicht. weil du die aggression jetzt ausleben musst. die emotionen auskotzen, die du herumgeschleppt, die sich aufgebaut, die du nicht loslassen kannst. emotionsregulation: wers als kind nicht gelernt, tut sich später schwer damit, abers geht. wenn ich heute was fühle, kann ich innehalten, mirs ansehen + überlegen, was ich damit tue. reagiere ich drauf oder lass ichs vergehen? nur manchmal, wenn später 1 harscher satz über meine lippen kommt, merke ich, dass es nicht funktioniert hat. an dieser stelle müsste ich nochmal zurück. wenn ichs nicht tue, verschlepp ichs, wie 1 grippe. es wird mich wochenlang verfolgen, sich verschlimmern, bis es zum ausbruch kommt.

(c) kaschpar

als ich zur ärztin gehe zur routinekontrolle, wenige tage nach meiner ankunft, gibt sie mir 1 rezept für cholesterinsenker: der wert habe die letzte kritische marke um zu viel prozentpunkte überschritten: es sei zeit. seit 1 jahr bengst sie damit herum + ich weigere mich. warum? weil ich kein medikament nehme für was, was ich nicht sehe, nicht spüre, nicht merke? das mach ich seit 22 jahren. ich habe genug psychosmatische schluckbeschwerden durchlebt aufgrund 1 medikation, die ich innerlich abgelehnt habe, weil ich die krankheit nicht akzeptieren konnte.

I’m not giving up or in or anything

jetzt nehme ich das rezept mit + weigere mich weiter: weil ichs nicht akzeptieren kann, dass ichs nicht mehr im griff habe, dass ich nicht laufen kann mehr, dass ich nicht essen kann, was ich will, dass ich die kontrolle verloren habe. vielleicht nie gehabt habe. es sei 1 illusion, dass man das leben im griff haben könne, weshalb die kontrolle übers essen 1 so große verführung darstelle für menschen, die z.b. zu wenig ambiguitätstoleranz haben, die das leben erfordert, so 1 meiner wissenschaftsbücher, die mir mich erklären.

ich trete auf die cholesterinbremse + tue das, was ich kann: ich kontrolliere das essen, werde wieder etwas mehr vegan, esse fisch nur, wenn ich ihn aufgrund preisreduzierung vorm wegwerfen retten kann, lasse das abendessen aus, damit die ketone die arbeit übernehmen können + der körper die kaputten stoffe ausm blut schaffen kann. damit das hormonverseuchte fett abgebaut wird. damit das cholesterin sinkt. ich bin mir bewusst, dass auch diese form der reduzierten ernährung nur 1 andere form der essstörung ist, zumindest für mich, da ich belastet bin, für andere wärs vielleicht nur 1 ernährungsumstellung. ich aber muss so ehrlich zu mir sein, wenn ich mir auch vielleicht zugestehen darf, dass es noch die gesündeste form ist von allen, die zur verfügung stehen.

I am made for longdistance

3 monate später zumindest bringt sie den gewünschten erfolg: 5 kg weniger + das cholesterin gesenkt von der höchsten auf die mittlere stufe der gefährdung. dafür wach ich jetzt nachts zur wolfsstunde auf, wenn der melatoninspiegel2 sinkt + der körper ruft: „auf zur jagd!“ trotzdem: das beste ist, die alte erzählung: „meine leber sei nach 2 jahrzehnten dauermedikation so geschädigt, dass sies einfach nicht mehr schaffe“: ist passé, denn die werte sind so gut wie seit jahren nicht mehr. damit hab ich nicht gerechnet. hab ichs also doch im griff wieder? hab ich die kontrolle zurück, die selbstwirksamheit erreicht? darauf trink ich 1 milchkaffee + esse 1 stück kuchen: ich kasteie mich ja nicht andauernd selber.

ich bin noch lange nicht fertig. „ich bin für die langstrecke gemacht„, steht über meinem portrait bei der dah: die zeile hatten die kolleg*innen aus meinem text für den titel erkoren. was damals für den marathon galt, war schon im hinblick auf hiv gepolt. zwischendurch hab ich daran gezweifelt. jetzt nach 450 km könnts wieder auftauchen, aber der satz klebt nicht mehr an 1 leistungsstrecke, die ich bewältigen muss, um das gefühl zu haben, was erreicht zu haben. ich habe genug geschafft. ich muss mir + niemandem anderen mehr etwas beweisen.

prinzessin Eisenerz

(c) kaschpar

als ich den rucksack auspacke daheim, um die weitwanderdinge in den keller zu packen, fällt etwas aus 1 tasche, das ich vergessen hatte: das stück erz ausm museum von abisko. ich habs übern kungsleden bis nach hause getragen. ich mache 1 foto + legs in die schale zu all den anderen steinen, die mir vor die füße gefallen, über die ich nicht steigen konnte, zu denen ich mich hinabgebückt, die ich aufgelesen, mir aufgeladen + daheim abgelegt habe. als erinnerung, vielleicht als mahnung: der steinige weg, den ich gehe.

in 1 romantischen anflug hab ichs in meiner beerdigungsanweisung verfügt, dass all diese steine auf meinem friedwaldgrab abgelegt werden sollen. mittlerweile bin ich mir gar nicht mehr sicher, was es damit auf sich haben soll. es wäre vielleicht schöner, nur 1 paar davon aufzubewahren + den rest zu versetzen, steinpersonen daraus da draußen zu bauen, so dass kein stein mehr weiß, wo er herkam, was er nun dort soll, wo er liegt, so dass er sich abfinden muss wie eh+je, wo 1 gletscher ihn abgezogen vom berg, hinuntergeschleift ins tal, wo er zum liegen kam, bis ich ihn millionen jahre später gefunden.

heart aber ehrlich

es stimmt nicht ganz, dass ichs cholesterinproblem nicht spüre. ich spüre das herz ab+an rumpeln+pumpeln in der brust, manchmal kriege ich 1 engegefühl + ich kenne panikattacken genug, um sie davon unterscheiden zu können. ich merke, wenn mir die brust sticht + ich keine luft bekomme, dass kein sitzen, kein gehen, kein stehen hilf, einfach nur sanftes sicheres atmen. bis sich irgendetwas löst, was sich da verklemmt. ich will nicht sagen, dass es am ende nicht doch auch psychosomatisch sein könnte wie die schmerzen im unterleib, für die niemand je 1 physiologische grundlage gefunden oder die hüfte, die nicht kaputt, nur genervt.

mir ist klar, dass die essstörung alleine dafür verantwortlich sein kann, aber nach 1 herzuntersuchung scheine ich glück gehabt zu haben: was ich auch meinem körper zugefügt habe, er hat 1 so große resilienz3 bewiesen, dass er alles mehroderweniger gut überstanden. jetzt müsst ich ihm doch mal entgegenkommen können in seiner recovery + ein wenig nachlassen im müssen+wollen. mal einfach nur sein. mal nicht mehr überleben. mal nur noch leben. ich gönn ihm 1 pause.

there’s no point in making a point

(c) kaschpar

mal abgesehen davon, dass kalorienreduktion+intervallfasten auch gut sein könnte für den reparaturprozess der kaputten stellen + entzündungen: anscheinend tu ich gerade alles dafür, gesund zu bleiben + alt zu werden. obwohl ich keinen bock auf 1 pflegeheim habe + gerade deshalb alles dran setze, selbstständig zu bleiben für die zeit, die ich habe. anscheinend arbeite ich auf 1 nicht ganz immer so bewussten ebene schon längst an meiner zukunft. anscheinend macht sie mir auch keine solche große angst mehr, weil ich sie nicht sofort fülle mit 1 neuen kurzfristigen plan.

ich wünschte, ich hätte 1 tolles ende für diesen bericht. aber im grunde habe ich nicht aufgehört zu gehen. stattdessen bin ich sogar jetzt noch 1x den ganzen weg nachgegangen. wir sind die ganze zeit auf 1 reise. ich bin noch nicht angekommen. vielleicht werde ichs nie. ich wünsches mir zwar, das aushalten/innehalten/anhalten. in welcher reihenfolge auch immer. aber vielleicht ists gar nicht notwendig. vielleicht ist das hoffnung/zukunft/glaube. in welcher reihenfolge auch immer. ich fühle mich immer noch am wohlsten, wenn ich heimkomme. aber um heimzukommen, muss man draußen gewesen sein. + man muss 1 ort haben, an den man zurückkommen kann. vielleicht probier ichs einfach mal. das ankommen im hier+jetzt. in meinem leben. ich lebs ja schon 1 ganze weile. kann ichs auch mal annehmen, wies ist.

wherever whatever whenever

  1. wobei ich hier vielleicht 1 realitätsverleugnung unterliege, die nach m. rennert so viele co-abhängige, wozu ich mich als kind+expartnerin zähle, als abwehrmechanismen entwickeln, um weiterleben zu können in 1 untragbaren situation. ich kann das risiko vielleicht gar nicht richtig einschätzen. wie auch? ich lebe ja eigentlich in 1 ideallwelt, in 1 bubble, die mir keiner kaputtstechen darf. aber bevor mir drin die luft ausgeht, brech ich aus + lad mir die realität mit 1 besuch ins haus, dessen aussperren vielleicht ermöglicht hätte, mir 1 ideale erinnerung an 1 perfekte begegnung zu erhalten. mal sehen, wies wird. ↩︎
  2. nicht, dass ich nicht dafür auch 1 ausweg gefunden hätte: ich unterschreite die kritische normalgewichtsmarke nicht + mute neben den vitamin-b-komplex/-d3/omega-3-fettsäuren/calcium/zink-tabletten nun auch magnesium mit melatonin zu, was mich tatsächlich traumlos durchschlafen lässt – vielleicht nur 1 placebo-effekt, aber nicht schlecht. (dass ich meine träume mal vermissen könnte, kommt mir schleierhaft vor: schon deswegen werd ichs nicht auf allezeit nehmen können. abgesehen davon, dass die (neben)wirkungen von nahrungsergänzenden hormongaben noch nicht gänzlich erforscht. ↩︎
  3. 1 gutteil meiner resilienz besteht in der fähigkeit, dinge zu vergessen bis verdrängen. bislang dachte ich, dass ichs dann nicht wirklich „resilient“ nennen kann, aber nach dieser doku scheint die selektive auswahl von erinnerungen auch dazuzugehören, zumindest in der frage, was man im leben bedeutung zumisst + dass ungute traumatische erfahrungen in die kategorie eingeordnet werden können, die man besser hinter sich lässt, wenn man drüber wegkommen will. resilienz ist nicht 1 bestimmte fähigkeit, sie ist 1 breitgefächerter möglichkeitsraum mit dramatischen erfahrungen konstruktiv umzugehen ↩︎