kungsleden (2023) – rakt fram 24/25
tag 24: tärnasjön – syterstuga – viterskalsstuga (23.7.)
before the day after tomorrow
es ist mir irgendwie nicht ganz klar, aber heute ist der vorletzte tag. bin ich deswegen gestern so schlecht draufgewesen? weil ich abschied nehmen muss? schmerz+regen+menschen+mücken hab ich ja auch sonst oft, doch bisher war die stimmung nicht so bedrohlich an der kippe wie hier, dass ich 1 essattacke erlebe. seit den frühen morgenstunden, so nenne ich die zeit ab 3 uhr, liege ich wach auf hab acht. sobald es zu regnen aufhört, gehe ich los.
aber das glück scheint mich verlassen zu haben + eigentlich ists nur richtig. die letzten beiden wandertage geben nur sinn, wenn alles in wasser ertränkt wird: die anstrengung bisher, der letzte schmerz, das aufbäumen bis zum ende, die ganze tragik des unentwegt unterwegs, die angst, wie die old sad lady aufm olavsleden nicht mehr laufen zu können, wenn dieser weg erst mal bewältigt. danach werde ich bis auf weiteres nichts mehr planen können außer den orthopädenterminen.
ist glück die abwesenheit von schmerz?
alles, was ich tue, dient der selbsthilfe. I am an expert on selfhelp (sälvhjälp/självhjälp = selbsthilfe/seelenhilfe). man muss nicht immer gut drauf sein, nur weil man gerade das beste ding seines lebens durchzieht. man darf auch mal granteln. wobei ärger vielleicht nur die sekundäre emotion, traurigkeit ist wohl die primäre. aber man weiß nie, wies kommt.
wenn ich in 4 monaten vom fitnesscenter heimgehe + plötzlich 1 zuckenden schmerz im becken(scham!)bereich spüre, werde ich mich erinnern, dass dies 1x der schmerz war, der vor zwei jahren mich so drangsalierte, dass ich gar nicht mehr laufen konnte + 1 reha beantragt habe. er wird mir wie 1 böse erinnerung in die glieder fahren + gleichzeitig so große erleichterung auslösen: „ich hab dich komplett vergessen. stimmt, du warst mal da, du warst der grund, warum ich nichts mehr tun konnte. aber schau her. dein verschwinden, deine abwesenheit hab ich gar nicht bemerkt. jetzt kannst du mir gar nichts mehr. ich schone mich 1–2 tage + wenn du nicht wiederkommst, werd ich dich wieder vergessen + nur in der erinnerung über dich schreiben.“
who am I?
ich weiß nicht, ob die zeit schon angebrochen ist, wo ich zugeben muss, dass ich nie mehr laufen (rennen) werden könne. wo ich die 20 paar sportschuhe nach+nach wegen alters + nicht wegen ablaufens entsorgen werden muss. vielleicht ist sie schon angebrochen. was ich hoffe, ist, dass die zeit, wo ich nicht mehr gehen kann – + die wird zumindest nach dieser tour mich erstmal ereilen – noch nicht endgültig einzug hält in mein leben. weil: was mach ich dann damit?
beim laufen gings „nur“ um den identitätswechsel: alles war aufgebaut auf kraft+stärke, alles wurde umgesetzt in bilder, in kreativität aufm blog. was aber produziere ich, wenn ich nicht mehr rauskann? wer bin ich, wenn ich mich nicht mehr definiere als „katja, hiv-positive marathonlaufende schriftsteller*in“? ausm letzten jahrzehnt ist mir nur hiv geblieben. den marathon hab ich mit wandern ersetzt. das schriftstelleRn durchs autobiografieren. was bin ich dann? „katja, hiv-positive selbstbezogene wanderin“?
kvinnan med hiv (die frau mit hiv)
vielleicht streich ich hiv ausm titel. die essstörung schreib ich ja auch nicht rein. berlin steht nicht drin. genossenschaftswohnung auch nicht. aidshilfe fehlt total. selbsthilfe. weiß. 45 46 jahre. „ich bin immer ich“, obwohl ich so viele menschen schon war + noch bin + vermutlich sein werde. aber wer ist ich?
ich ist die person, die trotz regens um 5 uhr sich in der küche tee kocht, das zelt abbaut + um kurz vor 7 uhr losgeht, kostes wases wolle. außer mir ist auch die australierin schon aufn beinen + die frau, die ich gestern in der raststuga traf, die kvinna utan byxorna, wie die anderen wander*innen sie gestern nannten, als sie hereinkam + wie in der schutzhütte erstmal ihre kleider zum trocknen aufhängte, so dass sie in unterhose in der guten stube saß. ich bin heute nicht gut zu sprechen, daher verabschiede ich mich bald.
what a schraml schlamMassel
der boden ist aufgeweicht vom dauertropf, die bohlen glitschig, die steine rutschig, die erde matschig. es ist, als wäre ich wieder kind, das in pfützen springt. ich gehe nicht die sicheren wege über die bohlen, die mir bei dem wetter ganz unsicher erscheinen. ich gehe durch schlamm. schramlschlamm. der nebel ist dem niesel gewichen, der das gesamte land mit 1 dicken feuchten watte überzieht, die man mit jedem schritt durchtrennen muss. man atmet die nässe durch die nase, man spuckt sie ausm mund.
zeitweise geht der niesel in richtigen regen über, in dicke tropfen, die ohne schützendes baumdach von den nur kleinen birkchen nicht aufgehalten werden. am steinstrand wundert man sich, dass der tärnasjön noch nicht überläuft. wo soll all das wasser hin? vielleicht denke ich auch grad nur so, weil zur zeit, als ich das schreibe, um mich herum überall hochwassergefahr herrscht, das land+leute überspült. das storfjället ist in wolken gehüllt, hinter denen 1 machtlose sonne schnauft.
what a wonderful world (this could be)
das wasser in den wiesen steht so hoch, dass die sich durchbiegenden bohlen teilweise untergehen. gerade hier kommt mir 1 gruppe wanderer*innen entgegen. ich steige ab, stelle mich in die wiese + gebe den weg frei, während ich mir die zeit mit fotos vertreibe. als sie mich passieren, ruft der vorangehende amerikaner mir höhnisch zu: „what a lovely day!“ manchmal brauchts den spiegel im anderen, um uns erst erkennen zu lassen, wie dämlich wir sind.
kaum macht jemand 1 boshaften scherz übers schlechte wetter, reagiere ich gegen: ich freue mich wieder, dass ich da bin – wasser hinoderher. ich weiß nicht mehr, was ich ihm zurufe, ich glaube so etwas wie: „yes, it is. it is a wonderful day!“ irgendwas mit zfleiß (absicht). enjoy it as if it would be your last one! das letzte sag ich nur für mich, weil ich ja nicht theatralisch rüberkommen will. aber tatsächlich: was bringt mir all die schlechte laune + das klagen: das hab ich mir selbst ausgesucht, was hab ich erwartet? ich hab keinen strandurlaub gebucht. ich mache 1 weitwanderung im schwedischen fjäll, das für mücken+regen bekannt ist.
an der brücke wird noch gebaut
was im schwedischen naturkartan wanderführer gar nicht als besonderheit verzeichnet ist, ist 1 der highlights auf diesem weg: der skärgården (schärengarten) am ende des tärnasjön im njallapliehkie. über viele kleine inselchen wurden+werden als ich vorbeikomme gerade noch brücken gebaut. 1 hinweis auf die möglichkeit, mit 1 ruderboot überzusetzen wegen der baustelle, lässt die berühmte panik kurz pulsieren, aber als ich weitergehe, stellt sich das stück baustelle als bereits fertiges neues brückenteil heraus, das noch in schönsten frisch gefällten holzfarben glänzt.
man möchte nicht wissen, unter welchen bedingungen die bauarbeiter*innen hier arbeiten. 1 kleiner bauwagen zeigt, dass sie vermutlich nicht abends heimfahren von der baustelle oder zumindest fürn lunch 1 dach überm kopf haben. selbst im dichten nebel ist der übergang über die wogenden brücken, die man nur einzeln betreten darf, 1 sensation, die ich so nennen darf, weil ich so sparsam mit spezialbezeichnungen bin. trotz des regens versuche ich 1 video zu drehen, bis ich am anderen ende 1 wander*in sehe, d. gerade wartet, bis ich drüben bin.
1 nach d. anderen
ich spute mich etwas, bin aber gekränkt, weil ich vor mir jemanden noch drübergehen lasse + die person hinter mir drängelt. ich kann drängeln nicht ab + was mich schon an der kasse im supermarkt stresst, wenn leute zu nah in meine aura eindringen, macht mich hier, wos eigentlich keinen menschenverkehr geben dürfte, fassungslos. nun bin ich aber zu 1 zeit aufgebrochen, wo schon mehr leute unterwegs sind + glatt gerate ich in 1 schlange bestehend aus 4–5 personen, die nacheinander über brücken gehen: 1 ältere frau, ich, 1 alte frau, 1 sportlicher junger mann + tausend andere.
nach jeder brücke kommt 1 nächste. am ende stehen noch mehrere holzbrücken für die niedrigeren gewässer parat. aber auch mitten aufm see ist der steinboden klar zu erkennen + man könnte vermutlich mit etwas mut+geschick hier durchwaten, wenn die strömung nicht zu stark. als ich endlich am anderen ende ankomme + 1 ältere dame überhole, bin ich überrascht, in welcher gesellschaft ich mich gerade befinde.
wir alten weiber allein unterwegs
die dame vor mir muss 10 jahre älter sein, ihr rucksack sieht so aus, als ob er meinen schlucken könnte, sie macht 1 pause + lässt mich vorbei, die ich stark humpelnd das humpeln verbergend vorbeistöckele. als ich bei nächster gelegenheit 1 fotopause bei 1 außergewöhnlichen stein, wie sie hier massenhaft rumliegen, schieße, überholt (!) mich 1 alte (!) frau, die australierin, geschätzte 70–75 jahre mitm megarucksack, von dem lauter sachen hängen.
sie spricht mich nicht direkt an, ermuntert aber zur konversation, indem sie den stein als „amazing“ bezeichnet, wozu ich nur nicke, weil sorry ich kann grad gar nix reden mitm fuß hier. wir werden aber bis zur syterstugan uns immer wieder treffen. als sie an mir vorbei die anhöhe hinaufsteigt, blicke ich ihr ungläubig hinterher. es wird 1 der geschichten sein, die ich neben dem aufn finger hauen + dem verlaufen aufm berg am häufigsten erzählen werde, vor allem, nachdem ich ihre geschichte kenne: wie mich die alte frau mitm kaputten (!) fuß aufm weg überholt, nachdem sie schon 3 monate (!) unterwegs.
ren ren rennen
ich schniefe etwas, humpele weiter + schieße an diesem tag über 200 fotos, als könnte ich am ende das als grund für meine nicht vorhandene geschwindigkeit anführen. es sind aber zu viele. + beim aussortieren weiß ich nicht, ob ich die besten, wenns die überhaupt gibt, inmitten der guten, herausfinde.
oben aufm berg die nächsten rentiere + diesmal bin ichs, die mitten hineinläuft, weil ich sie nicht gesehen habe. ich entdecke sie erst, als sie erschreckt auf+vorbeirennen. mittlerweile sind die australierien+ich in weniger als 100 m abständen unterwegs, mal bin ich vorne, mal sie. mittendrin müssen wir stehenbleiben, weil 1 riesige herde gerade losrennt + sich 1 neues grasgebiet sucht. vor uns + hinter uns laufen sie in gebührendem abstand herum. als ich mich umdrehe, sehe ich hinter der australierien 1 schwarm aufn berg flüchten, ich zeige in ihre richtung + sie dreht sich um + lacht.
immer schön langsam
auch das ist 1 hinreichender grund für die langsamkeit: die tiere zu beobachten. stehenbleiben+warten. als der weg wieder frei ist, komme ich über 1 sprudelnden bach, der vom regen gefüllt in die tiefe rauscht, man kommt gut drüber, aber als fußkranke ist man sich trotzdem bisschen unsicher wegen der nassen steine. plötzlich denke ich an die alte frau hinter mir, als ob ich mich verantwortlich fühlte plötzlich. als ob sie nicht allein unterwegs wäre wie ich, ihr risiko auf eigene faust eingehend.
ob leute auch so denken über mich, wenn sie mit mir unterwegs sind? wie der mann, der mir das holzhacken beibrachte + mir beim verlaufen entgegenkam am ende nicht mehr mit mir aufn skierfe wollte, weil er angst hatte, dass mir wieder was passiert + er verantwortlich wäre plötzlich? als ob ich 1 potentielles risiko bin, dem man lieber ausm weg geht, mit dem man nicht unterwegs sein möchte, weil dauernd was geschehen könnte? wie der tod, auf den ich bei manchen personen, wenn schon nicht warte, dann dennoch dauernd gefasst bin?
gegrüßet seist du
in meiner ersterinnerung an die etappe waren kaum leute unterwegs wegen des wetters, aber wenn ich die einzelnen strecken nachgehe, tauchen in meinem kopf immer mehr begegnungn auf, die jedoch keine sind, weil niemand stehen bleibt mehr. es ist wie auf der 1. etappe zwischen abisko+singi, die leute sind in gruppen unterwegs, wenn auch nicht zu 10 oder 20, so doch öfter zu viert oder fünft. als ich die syterstugan erreiche, ist da gerade die gruppe der 4 deutschen mädels zwischen utedass + ausruhbank verstreut.
ich fühle mich ja immer gleich angegriffen, wenn mich jemand nur komisch mustert, aber nicht grüßt. was hilft dagegen ist proaktiv grüßen – vielleicht grüße ich deshalb jetzt so viel, während ich als kind den kopf eingezogen habe, bis die leute zu meiner mutter kamen + sich, wenn nicht beschwerten, so doch deutlich ihre missbilligung ausdrückten über mein respektloses verhalten.
über abstand+anstand
„keinen anstand haben“ ist mit so das schlimmste, was man bei uns daheim haben kann. es kommt gleich auf neben schamlosem verhalten wie sex haben als frau (aasgschamt!) + als frau seinen ehepartner mit den kindern sitzen lassen. da können die männer noch eher ihre frauen daheim verprügeln, kurz vor der kommunion die kirche verlassen + ins wirtshaus zum frühschoppen gehen oder/und auf die zu vielen menschen auf der welt + die „ausländer“ schimpfen, denen alle ohne dass sie was täten einfach 1 haufen geld geschenkt werde, den die aber alle immer überall direkt mit western union sonstwohin verschickten, was endlich aufhören müsse: so lange die leute anständig grüßen, ist alles in ordnung.
ohne wolken wärs fad
in der syterstuga koche ich mir 1 warme mahlzeit, während die australierin eincheckt, sie bleibt übernacht hier. die stugvärd erzählt uns, sie sei gerade mitm helikopter eingeflogen worden für ihre schicht. wenn ich nicht vorhin 1 heli überm horizont hätte kreisen sehen, würd ichs nicht glauben: aber so ists. sie hat auch noch probleme mitm kartenlesegerät: seit 20 jahren arbeitet sie hier, aber das ist neu.
die australierin erzählt mir, dass sie seit 3 monaten unterwegs ist, zur not 1 zelt dabei habe, aber gerne in den hütten schlafe. sie gehe nicht weiter, weil sie nicht wisse, ob sies bis zur nächsten schaffen würde. ich muss weiter. weil ich ja meine buchungen getätigt. weil dieser + die nächsten beiden abschnitte nur 11–14 km jeweils haben + ich 2 zusammenlegen muss. + ich mags heute tun, damit ich morgen ruhe habe.
att vila (ruhen)
seit mehreren tagen scheint das taube gefühl im fuß nicht mehr wegzugehen. es löst sich auf beim hinlegen, aber sobald ich stehe, stehe ich auf 1 klotz. ich kann die verschiedenen phasen beim unterwegs sein nicht mehr unterscheiden. aber das taube gefühl beschreibt nur die beziehung zwischen mir+fuß. es betrifft nicht den schmerz. es ist 1 schmerzender klotz. aber wenn ich heute noch weitergehe, nutze ich den nieselnebel, der gerade wieder kein regen ist.
ich lasse mich vom shop in der nächsten stuga locken + breche wieder auf + wünsche viel glück. ich ahne nicht, dass ich die australierin wiedertreffen werde. die deutsche mädelsgruppe ist mittlerweile überm fluss den hang hinauf, wo sie 1 pause machen wegen jacken oder was auch immer. ich marschiere so stramm vorbei, dass niemand ahnen könnte, dass in meinem linken fuß 1 bombe tickt, die jederzeit explodieren könnte.
moun_tain
als ich richtung viterskalsstugan den vuekienaesie mit seinen über 1000 m hinaufsteige, kommt mir 1 mutter mit ihrer tochter entgegen. wir sprechen nicht, wir grüßen uns nur, wir lächeln uns an. so wies ist, ists richtig. hauptsache unterwegs. die tochter allerdings schleufert etwas müde hinterher. naja, sie wird schon noch draufkommen, denke ich, kinderlos + gerade heute morgen auch noch voll schlechter laune.
ich hetze ein wenig, weil der shop vermutlich begrenzte öffnungszeit hat + ich auch schon spät dran bin. bis zur syterstuga waren es schon 14 km. jetzt kommen noch 12. es ist meine bisher längste etappe – vielleicht war ich vorher mal nah dran, aber da ichs nicht ab- oder nachgemessen habe, kann ichs jetzt guten gewissens behaupten: am ende der tour, dem vorletzten tag, mitm humpelstilzfuß, lauf ich die längste strecke der gesamten tour. jawohl: das bin ich!
weinen tut der seele gut
als ich überm berg + hinunterblicke, muss ich weinen + bin jetzt beim schreiben schon wieder nah dran. wer schon bilder gesehen hat vom kungsleden, hat vermutlich 1 dieses tals gesehen zwischen den beiden sytertoppen n+s, dem norra storfjället + dem syterskalet, wo der syterbäcken fließt. zwischen hochaufragenden steilabfallenden berghängen zieht sich 1 schmales, dunkles tal, das in etwa so alles in sich vergräbt, was es gedanken+vorstellungen+sorgen gibt, die sich 1 mensch auf erden machen kann.
eingebettet in die wasserspeienden berghänge zu beiden seiten kann einem nichts mehr geschehen. nichts, wovor man sich je fürchtete, weil es hinterm berg in 1 unzugänglichen vergangenheit liegt, die keinerlei bedeutung hier hat, wo man selbst so klein+unwirklich erscheint, dass man froh sein kann, hier gehen zu dürfen. nichts, was je noch kommen/geschehen könnte, weils in diesem tal keine zukunft gibt, kein später, kein danach, es gibt nur das jetzt. nichts, was gerade in diesem moment geschieht/passieren könnte, weil im tal 1 lied/1 klang/1 wind geht, der dich alles vergessen lässt, was du gelernt, der dich aufhorchen lässt auf das, was hier seit millionen von jahren von wand zu wand hallt, 1 großes echo, das immer wieder zu dir zurückkehrt, egal wohin du es rufst. wo deine flucht zur zuflucht wird.
von an- bis ergriffen
den gesamten weg hinunter mit blick auf dieses tal muss ich weinen, so dass ich mühe habe, den weg zu finden. ich will nicht lange an 1 stein pause machen, weil mich sonst vielleicht die deutsche gruppe einholt + dieser moment gehört nur mir. ich esse den letzten riegel + später noch die letzten nüsse, es wird schon alles gutgehen.
kurz vorm tal begegnet mir noch 1 gutgelaunte wander*innengruppe, die mich etwas seltsam, aber freundlich nickend begegnet, anscheinend sieht man mir an: die ergriffenheit. ich bin ergriffen. war ich die letzten tage oder immer, wenns knapp war, obs noch ginge, angegriffen: dazwischen + gerade jetzt bin ich er_griffen von all dieser macht dieser riesigen natur, in der man verschwindet. die natur kommt gut ohne uns zurecht, hab ich mal gesagt, + wenn wir aussterben, wirds ihr vermutlich besser gehen. es wäre halt schön, wenn wirs nicht so weit kommen ließen.
inte vila (nicht ruhen)
aber da bin ich auf urlaub tausende km weit hierher gefahren + laufe durch unberührtes land + rede gescheit daher. es stimmt einfach: die leute müssen auf walschau gehen, damit sie verstehen, wie wichtig es ist, diese tiere zu schützen. wir müssen die natur sehen + in ihr aufgehen, damit wir verstehen, was wir da anrichten.
die raststuga ist vermutlich besetzt – außer jemand hat vorne seine stöcke vergessen. ich probiers nicht aus. obwohl ich 1 pause gebrauchen könnte, gehe ich weiter. + wies das tal der ehrfurcht erfordert, humpele ich auf die stöcke gestützt durch jeden fluss. ich gehe nicht mehr über die steine. ich gehe durchs wasser. ich kühle dabei die entzündete sehne, ich kühle die ermüdungsbruchgefährdeten knochen, ich weiche nicht mehr aus. ich gehe rakt fram. geradeaus durch.
where am I?
wenn der weg etwas geschafft hat: mich bis aufn kern zu schrumpfen, an dem ich mich frage: was ich hier mache. ich gehöre nicht hierher. ich fühle mich nicht fremd oder nicht nicht zugehörig, ich fühle mich nicht nutzlos oder überflüssig. aber ich gehöre einfach nicht hierher. niemand gehört hierher. kein tourist gehört hierher. 1 ren (rentier) oder 1 fjällräven (fjällfuchs) vielleicht, 1 kungsörn (königsadler) oder 1 fjällripa (alpenschneehuhn). vildgässen (wildgänse) noch. vielleicht noch 1 sámi auf der suche nach seiner herde. aber auch der nur knapp + nur mit gutem willen.
ansonsten gehört nichts hierher. ich checke auch gar nicht, dass ich da bin. immer, wenn ich von den füßen, die so aufpassen müssen auf ihren weg, aufblicke, sehe ich diese gigantische kulisse – + ja, mehr ist sie nicht: sie ist 1 kulisse – ich begreife gar nicht, was das ist, wo ich bin. ich verstehe es nicht. vielleicht fühlt sich so der 1. flug ins all an. weil es alles übersteigt, was du bisher gesehen+gekannt. du checkst es einfach nicht.
1 look back, no more
als ich ans ende des tals komme, was sich wie 1 ewigkeit anfühlt, weils einfach immer weiter+weiter ging + kein ende zu nehmen schien, öffnet sich die aussicht + es ist, als ob 1 klammer aufgehen würde, die mich bisher wie 1 kokon eingeschlossen hat. das herz wird mir wieder frei + ich atme durch, sehe zelte verstreut am fuße des storfjället liegen, die alle auf den sytertoppen wollen – vielleicht warten sie auf besseres wetter.
ich benutze das utedass am anderen ufer des flusses + selbst das kommt mir noch wie 1 frevel vor – andererseits ists nur gut, wenn all die leute hier 1 geregelten verdauungsentsorgung unterliegen. als ich endlich an die viterskalsstugan komme, ists kurz vor 18 uhr, ich habe angst, dass der shop zu ist + ich kein bett bekomme. die stugvärd, die gleich mit mir deutsch spricht, obwohl ich ihr mein bestes schwedisch anbiete, füllt meinen becher erstmal mit dem hier überall in konzentratkanistern gelagerten + mit wasser verdünnten süßpappsaft, auf dass ich gleich 1 zuckerschock bekomme = energieschub.
who do you want to fool?
ich habe 1 große stuga mit mehr als 20 betten für mich alleine – später kämen noch 2 leute. gestern sei alles voll gewesen, aber heute … ich suche mir 1 bett aus + bin zum glück zu müde, um entscheidungsschwierigkeiten zu haben, ich falle direkt wo rein. auf meine ängstliche frage nachm shop meint sie gelassen: ich solle erst mal ankommen + mich akklimatisieren. ich könne jederzeit rüberkommen. also wasche ich mich händisch, weil ich die selbstgebaute dusche nicht verstehe + kein wasser aufkochen will, + ziehe mich um, bevor ich rüberhechte.
da sitzt sie inmitten ihrer freund*innen beim abendessen + lässt sich von mir stören, sperrt den laden auf + zeigt mir, als ich etwas überfordert von den ganzen regalinhalten herumirre, wo bier+chips stehen. sieht mans mir an? ich will aber gar keine chips (bier ja!), aber ich hole mir so komische sachen wie 1 abgepacktes 1-portionen-schächtelchen lingonsylt (preißelbeermarmelade) + 2 täfelchen dunkle schokolade.
ich bin ausgezogen ums fürchten zu verlernen
ich bin so durchgehungert, dass ich schwierigkeiten mit der menge habe, besonders, weil ich von den übriggebliebenen/zurückgelassenen sachen noch 1/2 tüte nudeln koche. ich versuche, nicht einfach alles zu verschlingen. es gelingt mir mäßig. als ich schon im bett liege, holt mich die stugvärd nochmal raus + meint, wir würden das hier nicht so machen: das zelt im trockenraum aufhängen, weil sonst alles nass+feucht bliebe/werde. ich hänge es reumütig sofort ab, woraufhin sie gleich wieder einlenkt: es seien ja keine leute da sonst – ich könne es im flur aufhängen.
mit keine leute meint sie die außer mir + dem vater-tochter-gespann, das jetzt noch eingetrudelt ist – ansonsten kommt tatsächlich niemand mehr. ich ziehe mich wieder in die koje zurück, es ist das hinterste+dunkelste bett in der ganzen hütte. ich bin so ko, dass ich gleich einschlafe + mit wenigen unterbrechungen durchschlafe – zumindest kommts mir jetzt so vor im nachhinein, denn das 1. bild am nächsten morgen ist um 7 uhr – da bin ich gerade mal aufsgestanden zum utedass. ich habe 1 warmes bett, 1 warmen schlafsack, 1 warme lange wollunterwäsche, warme socken, warmes feuer im herd, alles ist warm. ich bin vorhin durch das verlassene ferne land gewandert, fern von aller welt. aber jetzt bin ich da. morgen werde ich in hemavan ankommen. mit seinen supermärkten, hotels, restaurants + allerlei bequemlichkeiten. es ist wie 1 weltreise in weniger als 24 stunden. aber morgen ist morgen. heute ist heute. + wenn ich was gelernt hab vom tiefen tal, würde ich sagen: