kungsleden (2023) – rakt fram 22/25
tag 22: aigertstugan – servvejuhka (21.7.)
von hügeln+bergen
es geht so weiter. ich wache mitten in der nacht auf + der regen hat sich verzogen. mittlerweile hat sich aber dämmerung verdunkelt + unter der wolkendecke düstert der horizont vor sich hin. es ist mir etwas mulmig zumute, weil der stugvärd gestern so drauf drang, dass man beim passieren des berges vorher genau sich die wetterlage besehen sollte. der lill-aigert wird mit 1113 m der höchste berg sein, den ich überquere. man vergisst ein wenig, wo man ist, nach 3 wochen, wenns dauernd nur um den fuß geht.
jetzt aber kehrt der respekt vorm wetter zurück, vor der landschaft, ich komme wieder ins „gebirge“. es gilt, gut auf sich zu achten auf den nächsten etappen, auch wenns an versorgungspunkten aufm signaturleden nicht fehlt. trotzdem werde ich auf manchen wegabschnitten das abgeschnittene einsamkeitsgefühl wie nie hier haben, weil viel weniger leute unterwegs sind als zwischen abisko+singi. vielleicht liegts am wetter. obwohl … vielleicht seh ich sie einfach nur nicht. + wenn ich jetzt nachdenke, seh ich doch wieder gruppen die hänge hinablaufen + habe wohl nur das gefühl des allein seins gespeichert – inmitten aller wander*innenverbände.
dämmerung
um 2 uhr früh hab ich alles gepackt + schieße die 1. fotos. in alle richtungen ist wetter. hinter mir geht die sonne auf, da hellts etwas auf, sogar etwas klarer wird das grau. vor mir aber ist dunkle ursuppe + ich frage mich, ob ichs wohl richtig einschätzen kann, in welche richtung der wind die wolken bläst – oder ob ichs mir einfach nur wünsche: das wiederholen der regenpause. ich bin schon süchtig.
in der erinnerung ist der himmel viel dunkler als aufn bildern. weil die belichtung der kamera beim nachtmodus auf hochtouren läuft, saugt sich so viel helligkeit in die fotos, wie ich in meinem kopf nicht finde. dort herrscht tiefe düsterheit, die ich zurück ins foto montiere. es fehlt nur der einsame wolf, der in der ferne heult. mit jedem schritt, den ich dem aufstieg näher rücke, wirds etwas heller, kann ichs besser einschätzen, was mich erwartet.
another hint
ich denke: ich kann ja überall zwischendurch mein zelt aufbauen, wenns nicht mehr weitergeht. wenns schüttet wie aus kübeln oder die nebelsuppe mich einhüllt. ich machs wie das hellblaue zelt hier kurz vorm aufstieg, das auch noch rechtzeitig geparkt, bevors übern berg hinübergeht. aber was ich noch nicht weiß: die möglichkeiten, 1 zelt aufzuschlagen, werden rar gesät sein inmitten der steinwüste. fürn weg allein haben sie 1 pfad freigeStrampelt, aber um genügend platz für 1 tält zu finden, selbst für meine 1 person, muss man die augen weithin offen halten – was schwer wird mit diesem dunst.
was mich beruhigt ist 1 kleines himmelblaues fenster, das in meiner richtung mir wie 1 hinweis auf 1 frohe zukunft scheint. 1 hint, 1 omen, 1 zeichen. wieder. ich würde alles nehmen. 1 vogel. 1 sonnenstrahl. 1 blaues loch in der wolkendecke. ich bin geneigt, alles für 1 zeichen, 1 gutes natürlich!, zu halten, so lange ich weiterkomme damit. als hinter mir die sonne aufgeht wie noch nie in den letzten tagen zunehmend prachtvoll, bin ich vollends sicher, dass ich das sonnenkind bin, dass nachts übern berg kommt bei schönster aussicht.
aussichtslos
ich träume ein wenig vor mich hin, da ist die sonne eingehüllt in nebelfetzen + der himmel zieht vor mir wieder zu. tatsächlich fängt 1 starker wind an, die weißen+grauen schleier in solch 1 geschwindigkeit zusammenzutreiben, dass das wetter in windeseile (!) umschlägt + ich mit 1x im nichts stehe, wobei nichts nicht nichts ist, aber doch irgendwie die abwesenheit von allem, was gerade noch war. allein die nächsten steine + roten kreuze: auf die ist 1 verlass. ansonsten ist nicht mehr viel zu sehen.
mit der fehlenden aussicht finde ich mich ab, ich bin ja voll von all den eindrücken, dass ich nicht „angewiesen“ bin aufs schönwetter. am ende sind die wolken eh schöner+interessanter. aber dass ich nicht die auserwählte bin, für die der himmel die berge freigibt, stört mich. dafür versuche ich die sonne, soweit sie sichtbar, einzufangen in aller strahlenden herrlichkeit, die sie sich (für mich) ausgedacht – zumindest denke ich, sie müsse mich meinen, wenn schon nicht der himmel an mich denkt, dann doch sie. das narzisstisch gekränkte kind will seinen reward für seinen mut. außerdem ist niemand hier sonst unterwegs, allenfalls wenige zelte am rand zeugen davon, dass es noch mehr menschen auf erden gibt.
mystic
on the other hand: vielleicht hat der himmel ja das spektakel hier für mich inszeniert. (jawohl so ists!) ja, es hat etwas mystisches, auch wenn ich das wort jetzt nur nenne, weil ich gerade bei alison bechdel davon las. der berg, der nebel, die sonne: das perfekte ambiente für 1 kleine schizophrenie. während im zunehmenden nebelmeer alles verschwindet, verlasse ich sogar für die sonne, die als verschwommener glühender ball zu mir durchzudringen versucht, den weg, um sie vom höchsten hohen hügel aus zu fotografieren.
schon als ich abweiche von den roten kreuzen, bin ich mir bewusst, dass ich alles aufs spiel setze. aber ich bin prepared. ich habe den kompass geprüft + mit der karte 1 peilung versucht, damit ich auch ohne sicht mit der nadel laufen kann. problem ist nur, dass der weg übern berg 1 kurve beschreibt, wofür ich neu peilen müsste. ich machs der nase nach. ich werde keine grenzgängerin mehr, die sich in der wildnis nur mit dem nötigsten + 1 magnetischen nadel zurechtkommen würde.
die sonne+ich
das bild ist mir so wichtig wie das zurückfinden per querlauf übers steinfeld – anstatt aufm direkten weg wieder zurück, schneide ich so in die richtung ein, dass ich theoretisch da unten wieder aufn ausgezeichnet weg zurückkommen müsste. vielleicht hab ich den hohen pulsschlag vermisst, der sich in vorbereitung auf die panik bereitmacht, 1 takt schneller zu schlagen. erst, als ich nach einigen, vielen, sehr vielen schritten nicht gleich die roten kreuze wiederfinde, legts noch 1 schlag zu. aber hej! schau dir diese sonne an!
da aber fall ich schon fast wieder rein in den kungsleden + keine sekunde später zieht der himmel vollständig zu, bevor er vollständig bricht. wenn mir immer berichtet wurde vom wechselhaften unberechenbaren wetter aufm berg: bisher hab ichs nicht so erlebt wie hier. gerade noch geht man frohen mutes auf 1 hellen horizont zu – im nächsten moment fühlt man sich komplett verloren + hat als einzigen halt 1 kleines zelt an 1 wasserloch, wo man notfalls um 5 uhr morgens anklopfen könnte, falls das herz in die hose rutscht.
raststuga I
im nächsten moment scheinst du alles wieder nur geträumt zu haben, der horizont lichtet sich, 1 tiefes blau kommt hinterm grau zum vorschein, als wäres immer da gewesen + hätte nur auf seine stunde gewartet. 1 wenig spöttelnd blaut es herab: du anfänger*in!
ich bin mir nicht sicher, was der fuß tut, er hat hier gerade wenig zu sagen. erst als ich die nothütte sehnlichst erwarte, meldet er sich pflichtschuldig: 1 pause wäre nötig. der rastskydd (rastschutz) ist noch kleiner als alles, was ich bisher gesehen. + 1 paar lumpen haben ihn mit chipstüten+bierdosen vollgemüllt. nicht, dass ich nicht nachschauen würde, ob noch was drin wär im glitzerpapier … erst als ich sicher bin, dass es abfall, reg ich mich auf. auf diesem weg ist proportional zur menschenmenge der größte müllhaufen verstreut. jetzt lass ich den dreck noch liegen, später werd ich was mitnehmen. ich bereues nicht, aber ich ärger mich trotzdem. wer hier mit vollen bierdosen hochlaufen kann, kann auch flasche leer wieder abräumen!
quellen
leider finde ich nicht den beschriebenen fluss/bach/quell, um den wassereimer zu füllen, daher muss ich mit meinem halben notliter das frühstück bestreiten. meine hoffnung, doch noch was von den bergen in der ferne zu sehen, erfüllt sich während der wenigen kalten minuten in der hütte nicht, ich muss weiter, mich bewegen + aufwärmen. jetzt gehts auch schon den hügel hinab – 1 kleiner streif am horizont bestätigt die potentielle unglaubliche schönheit – mit ganz neuen blaugrünen farben mit gelben tupfern, wie ich sie noch nicht gesehen.
aufm nächsten anstieg kann ich am quell die flasche füllen + habs nicht weit bis zum nächsten rastskydd, wo ich notfalls zelten könnte. kurz vorher tauchen die rentiere auf, diesmal direkt aufm weg. ich versuchs wieder mit der snack-pause, abers ist zu kalt, um lange zu warten, also schlage ich den umweg ein + versinke im verwässerten wiesenmoor. als ich noch dabei bin, einzwei haken zu schlagen, um am ende wieder auf die raststuga zuzulaufen, die bereits seit langem von weither wie 1 ersehntes ziel sichtbar, seh ich 3 wander*innen von ebenda aufbrechen + auf die herde zulaufen.
wtf?!
ich machs kurz: was für deppen?! oder bin ich der idiot? mit ihrem schnellen schritt in neonfarben geben sie den tieren das eindeutige signal zum aufbruch+abhauen den hügel hinauf. stressstress! da lass ich mir extra das hochwasser über die socken in die wasserdichten schuhe sickern, da gehen die schnurstracks draufzu+weiter+durch. ich bin so angefressen … mir wurscht, was die leute machen: ich wills nur nicht sehen, während ich das gegenteil tue! ich schieße von ihnen 1 foto. schussschuss!
kurz vor der hütte in diesem nirgendwo wo kein weg + kein nichts liegen alte aluverpackungen von trocken-meals rum – ich glaub, es hackt! in der hütte der chipstüten kommt wenigstens noch jemand vorbei, der das zeug mitnehmen kann – hier ab vom weg muss ich ihn aufheben den scheiß, weil anscheinend hab ichs mir verdient. in diesem augenblick setz ich die last des mülls nicht in rechnung fürs genossene sonnenabenteuer aufm berg, jetzt wär ich nah dran beim schreibens zu tun. aber ich lass es. was soll das.
raststuga II
als ich den müll verpackt + das gute essen rausgeholt, öffne ich die tür zur hütte + falle fast wieder raus, weil jemand drin sitzt. die hütte ist so klein wie die vor ammarnäs. die frau, die drinnen sitzt, hat fast nichts an, ihre sachen hängen herum zum trocknen, sie hat sich gerade in 1 riesentopf 1 mahlzeit gekocht. sie erschrickt, als sie mich sieht, aber jetzt muss ich rein, wie sähes sonst aus?
als wir ins gespräch kommen, stellt sich raus, dass sie in dieselbe richtung geht, nur diese etappe, in kleinen stücken, sie hat zeit, keinen stress. ich bin seit 2 uhr morgens unterwegs: das glaubt sie kaum. ob ich verwandte hätte in schweden, weil ich die sprache gelernt hätte? nein. sie versteht nicht, warum man diese sprache lernt, aber respekt! als sie das geschirr waschen geht, packe ich schon wieder ein. ich muss weiter, verabschiede mich noch, dann bin ich auch schon wieder auf der flucht dem weg.
müde
die nächsten km vergehen in 1 auf+ab, das ich nicht mehr gut registrieren kann. jetzt kommt alles zusammen: müdigkeit, fußweh, keine ahnung, wo zelten. ich will zur servestuga, aber das schaff ich vermutlich nicht. dort unten am rastskydd bleiben konnte ich auch nicht. ich muss auch weiter, ich hab ja hotel/bus/zug gebucht. dazu muss ich 2 etappen zusammenlegen. 1 kürzen + 2 draus machen: das darf nicht nicht.
ich erinner mich an junge leute, die in paaren den berg hochgehen. an einzwei zelte, deren insassen noch schlafen oder gerade aufstehen + mich mit großen augen anblicken. ans abholen 1 nachricht auf 1 hügel. 1 weiteren snack. 1 fußpause. dann komm ich an 1 bach.
der unterschied zwischen sinnieren+meditieren
erschöpft setze ich mich ans wasser. ich kann gar nicht mehr kneippen. ich hocke einfach da. 1 andere einsame wanderin kommt aus der anderen richtung, wäscht sich am gegenüberliegenden ufer das gesicht, sieht mich aufmerksam an. ich verstehe erst nicht, was sie sagt/fragt: ob ich meditiere, will sie wissen. ich lache. nein – oder ja. ich bin so erschöpft, ich hab nix mehr im kopf.
früher beim laufen endeten die wegstrecken, die langen so, dass ich nur noch zählen konnte: 44, 43, 42 … von den km bis m bis stunden/sekunden bis wasweißich hab ich alles heruntergezählt bis zu dem moment, wo ich nicht mehr zählen konnte. hab ichs schon erzählt? ich weiß es nicht mehr. bis der kopf so leer war, dass ich sicher sein konnte, dass. er nichts mehr ausbrütet.
bridge over troubled water
sie erzählt mir von 1 brücke, 2 km vor der servestuga, da könnte man auch zelten, es gäbe einige wenige plätze vorm wasserfall – auch da müsse man zum wasserholen hinab, das sei steil, gehe aber wohl. ich danke ihr für den motivierenden tipp: das mach ich. wir wünschen uns glück aufm weg – sie geht nur die 1 etappe, erzählt mir aber von vielen verschiedenen wegen + auch, dass das hier der schönste sei. es gäbe aber noch viel zu entdecken.
ich nicke, jetzt muss ich erst mal das hier schaffen. tatsächlich erreiche ich auch bald den fluss, wo ich flink das zelt aufbaue, kurz bevor der schauer kommt, vor dem ich hineinflüchte. es ist etwa 11 uhr vormittags (!), als ich mich hinlege zum schlafen. um halb 3 hole ich wasser, schlittere aber etwas über die glitschigen steine, versuche die höhe wieder zu erreichen, wo das funksignal, um die regen-app zu befragen. koche 1 mahlzeit, verspeise sie im zelt, um sie+mich vor den mücken+fliegen zu schützen, dann leg ich mich wieder hin. um kurz vor 17 uhr schlag ich mich in die büsche + schieße 1 foto von der drohenden wolkenwand. heute geh ich nirgends mehr hin, auch wenn ich mich hin+herwälze + jetzt in der zeit so sehr verschoben bin, dass es komisch ist, dass ich hier liege, während die anderen an mir vorbeigehen. aber so ists.