kungsleden (2023) – rakt fram 16/25
tag 16: jäckvik – pieljekaise – adolfström (15.7.)
break, just break
es wär 1 schande, die supermarktgelegenheit ungenutzt zu lassen + wieder früh loszulaufen. ich lasses langsam angehen beim einpacken + versuche im waschhaus die letzten feuchten kleidungsstücke früh morgens nochmal auf den seilen so zu verteilen, dass sie noch 1 chance auf trocknung haben. den trockner wollte ich nicht überstrapazieren, aber die dicken wollsocken – perfekt fürs klima (= in diesem fall wetter) – sind nicht übernacht mit rumhängen to dry.
also warte ich die öffnungszeit des marktes ab, um noch 1 leckeres frischgebackenes gebäck fürs frühstück zu holen, aber ich vertue mich wieder in der einschätzung der lokalen gegebenheiten: was ich kriegen kann, ist 1 konservierter muffin aus der theke beim zigarettenstand – ich kaufe 3, um mich fürs bier beim austria-deutschen-duo zu revanchieren.
verlaufen
nachm obligatorischen porridge bin ich mitm muffin schon beim 2. frühstück noch vor abreise + während die anderen noch etwas schläfrig von gestern sich sammeln, rutsche ich etwas unruhig auf meiner bank herum. doch seit vielen tagen bin ich nicht die 1., die aufbricht. die niederländerin, die aufm zeltplatz geparkt hatte, ist schon mit 1 weiteren person am fenster winkend vorbei. schon schnüre ich auchs paket + verabschiede mich, heute werden wir uns alle sicher noch 1x wiedersehen.
aber beim orientieren habe ich probleme, den richtigen einstieg in den kungsleden wiederzufinden. es sind seltsam viele leute unterwegs, einige ältere auch ohne rucksack, es muss hier mehrere kleinere wege geben oder sie gehen alle die tour hoch zum pielekaise, wo 1 kleine rasthütte zur tagestour einlädt. als ich falsch abbiege + mich kurz umdrehe, stehen leute unten an der gabelung + winken. ich winke zurück, aber schnalls nicht, dass sie mich darauf hinweisen wollen, dass es nicht dort lang gehe, wo ich hinziele. als der weg in 1 privatgrundstück endet, merk ichs dann selber.
also wieder zurück + bisschen linksrechts die richtung gecheckt. da läuft 1 junges mädchen auf mich zu + bleibt bei mir stehen, sie erinnert mich an die yogurette-werbung, die michael mittermeier 1x persifliert hat, indem er neben 1 beleibten frau 1 schlanke „dingderingdingding“ singend vorbeilaufen ließ. die „dingderingdingding“-joggerin ist mitm fahrrad zum nordkap unterwegs + seit wochen auf tour. zwischendurch stellt sies fahrrad ab + sprintet auf 1 berg. sie ist voller glückshormone + ich muss mich beherrschen, sie nicht zu beneiden.
me too
insgeheim versuche ich vielleicht sogar, ihre hibbelig+redseligkeit aufn umstand zurückzuführen, dass sie vielleicht nicht ganz des weges wegen aufm weg ist, sondern um des erzählens willen. dabei schreibe ich hier 1 roman übers unterwegs sein + wozu macht man sonst all die erfahrung, wenn mans nicht teilen kann. wer allein reist, hat nur die weggefährt*innen, an die er seine erfahrung im funkloch verschwenden kann. haben wir jedoch anschluss, teilen wir unsere berichte nicht (nur) mit unseren angehörigen, sondern über blog+social media mit der welt.
wir wünschen uns glück + viel spaß fürn rest des weges + sehen uns kurz wieder, als sie schon wieder zurückrennt. ich muss erst noch hinauf mitm schweren rucksack, der dank supermarkt + restfeuchtigkeit gewaschener wäsche etwas überquillt. es dauert auch nicht lang, da humpel ich schon wieder, doch dank der stöcke kann ichs vor mir selbst verbergen. daher überhole ich das japanische trio aus ehepaar+(schwieger)mutter, an das ich bis zum pielekaise dauernd denken muss, v.a. wenns nur mittels furten durch die flüsschen geht.
hemmagjord (homemade)
vorm pielekaise ist 1 kleine rasthütte, da lege ich 1 kurze pause ein + setze den rucksack ab. das beine strecke ich aus + bin unsicher, was genau mir das pochen sagen will. von nun an beginnt der linke fuß von anfang an zu schmerzen, doch je länger ich laufe, habe ich das gefühl, dass es besser wird. dabei scheint abers gefühl ausm fuß zu fliehen, 1 taube stelle hinterlassend, auf die ich unsicher trete. es ist, als ob ich 1 klotz am bein hätte, 1 stumpfen klumpen, der nicht zu mir gehört. vermutlich, so kann ichs heute deuten, ists das wasser, mit dem sich der fuß füllt, um dem druck stand zu halten. es sammelt sich in den knochen + bildet ödeme, die schließlich zur fraktur führen könnten.
mit jeder pause, wo ichs bein hochlege, erholt sich der fuß, die nächsten meter werden angenehmer, dann wied_erholt sich der vorgang. zwischendurch denke ich nicht dran, aber sonst bin ich ganz im fuß verschwunden. selbst, als ich rentiere oben am hügel sehe, so nah wie nie, als mir 1 wanderer frohgemut entgegenkommt + adolfström mit der bageri + den hemmagjord kanelbullar anpreist, kann ich mich schwer konzentrieren. nur, als er mich fragt, obs auch 1 burger-laden gäbe in jäckvik, muss ich schmunzeln, weil wir wohl alle in unseren vorstellungen oft das in die welt hineinsehen, was wir drin finden zu hoffen. ich tröste ihn mit der aussicht auf was gefrorerenes ausm supermarkteisschrank, das er sich im vandrarhem brutzeln kann.
1 fågel som kallas fågel (1 vogel namens vogel)
beim übertritt ins naturschutzgebiet hockt 1 vogel auf 1 stein. es klingt, als ob er nach mir pfeift. in der herbstausgabe vom stf–tourist-magazin wird in 1 artikel über die 1100 arten von moosen die frage gestellt, warum man 1 haufen namen über sowas wie pflanzen lernen soll, worauf 2 besucher*innen des moosgartens sagen: „det man inte känner till och har ett namn på, det kan man heller inte sakna„. was man nicht kennt oder keinen namen für hat, das kann man nicht vermissen. aber ich werd dich vermissen, vogel.
pausa
bei pielekaise lege ich die nächste rast ein + werde vom austria-deutschen-duo eingeholt, das mir wieder vorführt, wie 1 richtige pause auszusehen hat mit kochgeschirr + kaffeebrühen, während ich die lauwarme brühe aus der thermos zu 1 snack schlürfe. österreicher hat die besten kabarettist*innen+liedermacher*innen. ich freue mich im dialekt ein paar lustige bis melancholische weisen austauschen zu können, dann pack ich das päckchen wieder.
weil ich wegen der anlehnenden stöcke draußen vor der stuga geblieben bin, aus der schließlich 1 paar wander*innen, von denen keine*r mehr sagen konnte, ob sie in unserer richtung unterwegs waren oder nicht, herauskamen, hätte ich fast das interieur verpasst: das riesengeweih 1 riesenelchs. in meinem kopf gabs schon wieder 1 furchtbares gemetzel+abschlachten+ausweiden auf 1 älgjakt, aber anscheinend fiel der bulle im kampf mit 1 konkurrenten. man mag sich nicht vorstellen, was für 1 gegner das gewesen sein mag.
verirren
weil ichn weg wieder nicht finde, lege ich 1 extrarunde um die hütte ein + muss mir erneut unter gelächter den weg weisen lassen. man darf keine minute unkonzentriert sein – schon hat man sich verirrt. es dauert nicht lang, da holen die beiden männer mitn megarucksäcken mich leichtfüßig ein, heute kann ich gar nicht mithalten, der 2. hat im langstreckentraining aufgeholt + füßelt wie sein freund flink über die felsbrocken.
auch das pärchen mit hündchen treffe ich regelmäßig auf der heutigen strecke, wir überholen uns gegenseitig, wenn jemand von uns gerade pause macht. am ende bin ich allein auf weiter flur, weil der fuß gar nicht mehr will. es ist der schlimmste tag bisher, ich weiß nicht, was los ist. vielleicht konzentriere ich mich zu sehr aufn schmerz, vielleicht tuts auch weh, nicht mitlaufen zu können. 1 großteil meiner energie fließt in die abgrenzung hinein: das ist mein weg. ich gehe meinen weg. ich gehe ihn so, wie ich kann.
verfransen
trotzdem bin ich in gedanken dauernd bei anderen/anderem. ich bin heute nicht allein unterwegs, bin eingebunden in das soziale wander*innennetz, das sich von hütte zu hütte verschiebt, je nachdem, wer welches tempo/ruhetage/etappenlängen ein+hinlegt. ab jetzt werde ich auch immer wieder an die zurückliegenden leute erinnert + mich fragen, wo sie gelandet, ob sie angekommen sind. manche treffe/höre ich wieder, andere verlieren sich im großen kungsleden-gedächtnisbuch.
obwohl ich versuche, mich aufn weg zu konzentrieren, kann ich heute kaum was anderes, als meinen fuß zu beobachten. ich kneippe, aber ich springe nicht in den see, was mir heute zu kalt vorkommt. komisch, vor ein paar tagen war das in-den-see-hüpfen noch 1 der wichtigsten sachen auf der welt. jetzt ists schon vergangenheit + wird nicht wieder geschehen. das wetter wird sich auch drehen + mary poppins hat im sturm genug mit ihrem schirm zu tun, nicht davongepustet zu werden.
an 1 brücke werde ich überrascht von 1 rastenden person, die ich beim fotografieren nicht gesehen hatte. gleich verlauf ich mich nochmal am anderen ufer. 3x ist einfach besser als keinmal. die 20 km bis nach adolfström sind länger als alles, was ich bisher gelaufen bin. der fuß schmerzt stärker als all die 2 wochen zuvor.
schmerz ist 1 funkiller
schmerz ist immer real. ob in der physe aufgrund 1 bruchs, in der psyche aufgrund 1 verlusts, nirgendwo lokalisierbar weil psychosomatisch aufgrund 1 unbehobenen traumas/stresses/drucks. schmerz tut weh + geht nicht mit gutem willen weg. dass es uns gut ging, merken wir leider oft erst, wenns zwickt+kneift/sticht+pocht, also zu spät, um die abwesenheit des schmerzes auszukosten. dann ärgern wir uns wie sonntags, wenn der nachbar nach hause kommt + zu staubsaugen beginnt, weil wir feststellen, dass wir die ruhe davor nicht bemerkt + besser genutzt = genossen haben. so ists auch mit schmerz: erst wenn er kommt, vermissen wir die zeit, wos ihn nicht gab.
zu_künftig
wenn ich heute an den vater denke, meine ich, dass ich ihn vielleicht besser verstehe. daniel schreiber zitierte in „zuhause“ übers verzeihen verschiedene leute, die sich damit auseinandergesetzt haben, wie wichtigs für die eigene entwicklung sein kann, so 1 schritt zu tun, um etwas hinter sich zu lassen. wenn ich an den vater denke, verstehe ich ihn heute mit all meinem schmerz besser + kann ihm vielleicht eher verzeihen, dass ihn sein schmerz, welcher art auch immer, so hat werden lassen, wie er wurde.
ich hoffe, dass ich den menschen um mich herum nicht (so) schade. dass ich nicht mehr dauernd flüchten will aus meiner welt + neidisch bin auf die, die unbeFleckt durchs leben gehen. ich will nicht bitter werden. das ist der wichtigste motor – wieder 1 negativbild. aber um 1 zukunft zu haben, brauchts 1 positive aussicht: nicht weg von, sondern hin zu was. es braucht vielleicht keine schmerzlose welt, keinen 100%igen schutz = absolute comfort-zone 1 kompletten safe-space, dens nie geben wird für was auch immer, z.b. vor verletzung. es braucht aber 1 zuversicht + 1 commitment, z.b. an den emotionen so zu arbeiten, dass sie nicht in selbstaggression münden. mit 1 (aktiven, ungebremsten) essstörung hat man habe ich keine lebenswerte zukunft gesehen. sie tut sich erst dahinter auf. und dann muss sie auch erstmal noch mit zielen+plänen+wünschen gefüllt werden.
haha
als ich in adolfström ankomme, sitzen alle schon beim 2. oder 3. bier. ich bin froh, dass ich überhaupt da bin + bringe noch 1 runde mit, als ich im laden, der eigentlich längst geschlossen hat, mich in den auslagen zurechtgefunden habe. noch 1 selbstgemachte zimtschnecke + die letzte stuga für mich allein. es ist 1 großes glück, für das ich dankbar bin.
danke, dass ich angekommen bin. dass der fuß noch lebt. dass der laden noch für mich geöffnet hatte. dass ich speis+trank bekommen habe + 1 bett für die nacht. dass ich 1 bier + 1 zigarette mit den reisegefährt*innen teilen kann, die meine schlechte laune so lange mit aushalten, bis ich wieder lachen kann.
„iatz lachts schou wieda“, sagte die mutter, als ich nachm weinkrampf aufgrund 1 schmerzes/1 ungerechtigkeit/1 nicht verstanden werdens aufgebracht in tränen ausbrach + schrie+heulte, bis es besser wurde. bis ich wieder lachen konnte. „jetzt lacht sie schon wieder“ hieß im grunde: vorher war alles kein ernst, es war magiert (erfunden), weil ich bolisch war. aber kein schmerz ist erfunden, auch wenn man ihn nicht als wunde sieht wie die schramme auf meiner nase oder das knochenmarksödem im mrt, das im röntgenbild nicht existent. und dass man lachen kann, nachdems weh getan hat, ist das beste, was uns passieren kann.