kungsleden (2023) – rakt fram 10/25
tag 10: pårte – kvikkjokk – jokkmokk (9.7.)
anscheinend ist sonntag
ich bin früh wach + dreh mich rundrum im bett auf der dünnen matte. na ja. „wach“ bin ich eigentlich gar nicht, weil ich nachts dauernd aufgewacht bin wegen der kälte. ich koch mir in der küche 1 tee, sitze im sonnenschein + meditiere. vielleicht sinniere ich auch nur. geh ich jetzt los + versuche, den bus zu kriegen von kvikkjokk nach jokkmokk oder was?
gestern abend haben wir uns noch mit der stugvärd unterhalten. sie erzählte, dass sie auch noch 1 stück wandern würde, aber die busverbindung nach ammarnäs nutzt, um den teil ohne stugas zu überspringen. bevor ich auf dumme gedanken komme, hole ich die kleider ein, die ich gestern gewaschen auf 1 stein zum trocknen gelegt habe. da treffe ich sie wieder vor ihrer hütte sitzend + sie fragt mich das gleiche wie gestern. nur diesmal auf englisch, gestern sprachen wir schwedisch. vermutlich ginges mir auch so, würden hier täglich zig wander*innen vorbeitrampen, wer soll sich die alle merken?
so gehts mir manchmal wenn ich mit leuten spreche + nicht dem inhalt folgen kann, weil ich so konzentriert bin auf die situation: wie kuckt die person, wie bewegt sie sich, mimik/gestik, was läuft da im hintergrund für musik, wer läuft da vorbei – ich bin so schnell abgelenkt von all den geräuschen/gelichtern herum + gleichzeitig angestrengt von der sozialen situation, die mich manchmal so anstrengt, bis ich an den blicken des gegenübers bemerke, dass mein gesicht sich verkniffen hat, woraufhin ich mich konzentriere auf meinen ausdruck, der offen+zugewandt aussehen soll. 2 tage später stell ich dieselben fragen, bis mir an 1 stelle, wenn die person nett genug ist, sich zu wiederholen oder sich nicht erinnert, mir alles schon erzählt zu haben, bemerke, dass ich die geschichte schon kenne.
eintauchen I
ich packe das zelt leise ein, um die schlafenden nicht zu stören, wir werden uns sicher später wieder begegnen. vielleicht sogar noch in kvikkjokk. ich versuche, den bus zu erreichen, mal sehen, wies wird. es ist 1 wundervoller sonniger tag, bisher musste ich mir wegen des wundfingers keine gedanken wegen der handschuhe machen, nur das verbandsmaterial geht langsam zur neige. jetzt ich freue mich auch plötzlich aufs paket: ich habe damit gerechnet.
es geht durch kiefernwald + am see entlang. ich erinnere mich, dass es auf der tour 2014 hier 1 situation gab, aus der ich herausgetreten ausm 2er-geflecht + 1 inneren stimme gefolgt bin. g. war gerade gestürzt über die glitschigen steine + am nullpunkt seiner intrinsischen motivation. weil ich keine externen motive mehr übrig hatte + meine volition nicht mehr für uns beide ausreichte, gerieten meine emotionen außer kontrolle. ich riss mich los + sprang in den see. es war arschkalt, so kalt wie nichts vorher in meinem leben. es war fantastisch. ich hatte meine haare wieder 1x kurzgeschoren + musste mir um kopfschmerzen wegen kaltwassers im langhaar keine gedanken machen. überhaupt waren alle gedanken mitm kurzen schwumm abgestellt.
das will ich wieder haben
aber ich will ja zum bus + all die pflaster über den wunden müssten wieder erneuert werden – an die bakterien denke ich gar nicht, all die antibiotische salbe wird schon ihre wunder wirken. aber kann ichs mir leisten, den halben tag zu „verlieren“ (whatever that means!) + morgen erst loszufahren? muss ich dann nicht gleich weitergehen?
was an diesem absatz stimmt nicht? was stimmt nicht mit mir? woher kommen all diese gedanken um zeitverlust? ists wieder die angst, jetzt wo man sich kennt, komme man einander nicht aus? kann ich mich so schwer abgrenzen, dass ichs über die flucht versuche? damit nachm abstand die freude übers wiedersehen umso größer? what? what is it?
spreu+weizen
hinterm naturschutzgebietzaun zeltet die niederländerin, die die haare so kurz geschoren wie ich 9 jahre zuvor. sie haben sich zu dritt zusammengetan + wollen gemeinsam nach kvikkjokk. die beiden anderen mädels hören dann auf. ab jetzt zeigt sich, wer dran bleibt. wer weitergeht oder wems zu viel geworden aufhört, oder wer sowieso nur reinschnuppern wollte. sie bieten mir ihre übriggebliebenen reste an, falls ich was bräuchte – 1 fertigfood haben sie aber leider nicht mehr. ich winke + laufe weiter, weil ich ja sehen will, ob ich den bus kriege, ums paket zu holen, offiziell bin ich wieder im „ich schau mal“-modus.
als ich um die ecke biege zweidreimal, taucht der see auf + die erinnerung von der kälte des wassers ist klar+frisch wie vor 9 jahren. ich erinnere mich an dich. ich kenne dich. jetzt plötzlich weiß ich, dass es kein vorbei an diesem see gibt, kein rennen zum bus, ohne hier nochmal eingetaucht zu sein. ich muss nochmal zurück in diese vergangenheit. ich muss das ich, dass sich damals auftat fürn moment endlich einholen + mitnehmen.
eintauchen II
an der besten strandstelle gehe ich vorbei, an der zweitbesten sitzen schon andere. an der drittbesten ziehe ich mich aus. diesmal lasse ich die schuhe an. glück ist 1 starkes gefühl. zufriedenheit würde mir reichen, meine ich oft, + denke ans buddhistische ausgeglichen sein. glück ist wie 1 droge. die droge heißt dopamin1. dafür tut man viel, was man ohne es zu kennen vielleicht sonst nicht täte.
man furtet flüsse, klettert über berge, kraxelt an abhängen herum, hackt holz, springt in eiskaltes wasser. abers funktioniert nicht mit gewalt. man gewöhnt sich auch dran, der körper/der kopf gewöhnen sich. die angst schwindet, der erfolg verringert sich, die ausschüttung geht zurück. es sind die momente, wo mans nicht erwartet, die eine*n am meisten erfüllen. man kann sich danach auf die suche machen, die richtigen wege heraussuchen, losgehen, ausschau halten. aber obs kommt, weiß man nicht. und ewig im eiskalten wasser bleiben kann man auch nicht.
als ich die wunden verarzte, kommen die 3 mädels vorbei + ich lache, weil ich lasse den bus bus sein. das hier ist das leben. noch 3 tiefe atemzüge, so wills die erinnerung. dann muss ich weiter. als ich bei der nächsten wasserquelle pausiere, überholen mich 2 mädels. hier ist die berliner dabei, die ich auf der fahrt nach jokkmokk kennenlernen werde. 1 pärchen überholt mich, wo er genau weiß, wie der weg läuft + ich sehe mich selber hinter ihm herschlurfen. ich bin jemand anders heute + ich möcht nicht mehr tauschen.
auftauchen
bis zum ende dieser etappe werde ich g. + die erinnerungen nicht mehr los. in fact: ich erinnere mich so sehr ans letzte stück, dass ich es an jeder ecke, um die ich biege, erwarte. es kommt aber nicht. was kommt, sind die schilder zum sarek, wo ich mich an den mann erinnere, der uns 2014 aufgeregt glücklich mit frohem schritt begegnete: er war aufm weg in den sarek übers wochenende + konnte sich nichts schöneres vorstellen, als ohne plan+weg durch den urwald zu streifen mit seinem gepäck.
ich konnts ihm nachfühlen, aber g. nicht. weil er mehr spaß dabei hatte, die tour zu planen, als sie zu gehen. die ausrüstung auszusuchen, als sie zu benutzen. gerätschaften zu kaufen, anstatt sie anzuwenden. ich hatte auf all die planung keine lust. ich wollte nur gehen.
mit 1 blick auf die uhr stelle ich fest, dass ich den bus doch noch kriegen könnte. in brandenburg hilft das manchmal zur motivation, wenn ich weiß, nur alle 2 stunden kommt 1 zug. hier scheints mittendrin einfach nur wie 1 fehler – wie 1 falsche art unterwegs zu sein. fürs letzte stück hilfts, die erinnerung auszuschalten + in die zukunft zu blicken: ich freue mich aufn bus. aufs paket. auf die pause vom weg.
aussteigen+einsteigen
als ich kvikkjokk erreiche, hab ich noch 1 halbe stunde bis zur abfahrt. ich gehe nochmal in die fjällstation, treffe zweidrei vom weg + plaudere kurz, buche online das ticket, dann humpele ich zur busstation. es fühlt sich richtig an, wegzufahren, + gleichzeitig ists wie 1 flucht, weil ich mich von ein paar leuten nicht verabschieden konnte, weil ich nicht sagen konnte: bis später. dafür erwarte ich, dass ich sie morgen nachmittag beim boot wiedersehen werde.
die busfahrt dauert dreivier stunden + führt wieder über die landstraßen ohne ende, auf denen ich aufm olavsleden unterwegs war. sie haben hier 1 straße für alle durchs land geschlagen, durch die berge + über die seen – mittendrin siehts aus, als führen wir einfach durchs wasser selber.
es gibt auch wieder 1 aufenthalt an 1 kaufparadies. ich rufe beim stf in jokkmokk an, um 1 zimmer zu buchen, online gings schon nicht mehr, es ist sauteuer. zusammengerechnet mit 2x bus könnte ich mir dafür 3 pakete kaufen. aber jetzt ists wichtig, dass ich das, was ich vorbereitet habe, auch abholen, dass ich das care-paket, das ich mir geschickt wie die mutter mir regelmäßig ihre päckchen (ge)sendet, in empfang nehme.
„a room of one’s own“
da kommt das junge mädchen vom weg auf mich zu + fragt mich, ob ich in jokkmokk bliebe + wo ich übernachten würde. wir kommen schnell drauf, dass wir beim gleichen stf angerufen haben, doch während ich gebucht habe, wars ihr zu teuer. sie fragt mich, ob wirs uns teilen könnten, das zimmer. sie hätte gefragt, es wären 2 einzelbetten.
das letzte mal, wo ich mit jemandem das zimmer teilte, war meine 1. pobe, positive begegnungen, 1 konferenz für menschen mit hiv. ich habe mit 1 kollegin 1 zweibettzimmer geteilt + nachts träumte ich, dass 1 sbahn durch meine wohnung führe.
ich sage ohne zu zögern: ja. normalerweise ists für mich schon 1 herausforderung in 1 anderen wohnung zu schlafen, wo nebenan familienmitglieder oder freund*innen nächtigen. jetzt sage ich zu 1 fremden person: „natürlich können wir uns das zimmer teilen.“ die letzten nächte in den stugas mit lauter fremden schnarchnasen in sechsbisacht betten rundherum ohne privatheit haben mich abgeschliffen. der weg mit seinen auf+abs, die gespräche mit den reisegefährt*innen, die fehler geschichten, die ich aufm weg erlebt habe: alles zusammen haben mich von dieser harten festen schale befreit, die ich sonst nur zu besonderen gelegenheiten oder in der arbeit öffne. sonst ist sie zu, damit keine großstadtgestalten hineinkommen, die ruhe zu stören. jetzt bin ich aufgeschlossen.
+ erneut: da, wo ich vermeintlich weglaufe, kontakt vermeide, da falle ich direkt mit vollem karacho in den nächsten hinein. und als obs so sein müsste, umarme ich den kontakt nicht nur: ich schlafe mit neben ihm. ich stelle den kleiderständer dazwischen + lege die kopfhörer ein für 1 hörbuch, weil wieder strom ohne ende. aber ich bin nah dran.
ko aber ok
+ nicht nur das: es fühlt sich ok an. wie die gemeinsame fahrt im zug nach stockholm mit der syrerin + ihrer familie. nach all dem ko wieder ok. muss ich erschöpft+ko sein, um ok zu sein? nicht überanalysieren, sagt der freund. einfach mal machen. wir gehen zusammen einkaufen. ich hole meine paket ab, dann bin ich überfordert im supermarkt. wir sind im billigshop, wo ich die mayonnaise schon durchs plastik rieche. ich mag in den teuren laden rüber, wo keine kinder in den gängen schreien. alles kein problem, jede macht ihres, später treffen wir uns wieder. ich kaufe mir wie immer 1 smörgås med räkor.
du bist, was du isst
das 1. mal wurde ich mit 16 jahren vegetarisch aus protest gegen den metzgervater. als ich auszog, fuhr ich mitm auto regelmäßig zum fastfood-schalter, um beef/chicken/fish-burger zu kaufen, die ich nach genuss ausspuckte, was die damaligen kolleg*innen für 1 essstörung hielten – im gegensatz zum hausarzt, den ich deswegen aufsuchte: ich schien ihm dafür nicht dünn genug. mit der vegetarischen abiturschulkameradin+mitbewohnerin aß ich in berlin nach langen durchgefeierten nächten frühmorgens gulaschtopf aus der dose. als ich später daheim die hiv-diagnose verdaute, schlug ich das schnitzel aus, das ich klopfte+panierte. im studium brach ich die vegetarische phase ab, als ich zum grillen eingeladen wurde, wo nur steaks+würste über der holzkohle brutzelten. der berliner lebensgemeinschaftspartner musste immer ohne mich, die beilagenesserin, speisen, wenn er seine kinderlieblingsgerichte wie corned beef oder königsberger klopse kochte. während 4 veganen jahren, die mir halfen, die essstörung im griff zu behalten, weil ich an so vielen supermarktregalen mit binge-produkten einfach vorbeigehen musste, kaufte ich mir 1 gürtel aus kunststoff + keine wolle mehr, welche jedoch mittlerweile samt der obligatorischen motten wieder einzug gehalten hat in meine wohnung. als die mutter den hirnschlag erlitt, setzte ich mich in 1 krankenhausbettpause an 1 sushi-bar. heute rette ich fisch ausm supermarkt vorm verfall, wenn er mindestens 30% reduziert wurde + esse die bratensauce der schwester wie suppe überm semmelNknödel.
ich mache mir nichts mehr vor
als ich die reisegefährt*in/zimmergenossin im stf wiedertreffe, haben wir beide frische erdbeeren dabei + plaudern noch ein wenig, bevor jede ihrem abendprogramm nachgeht. in der küche sitzt noch 1 familienvater, der seine kinder gerade versorgt hat, am laptop. die kinder des hageren gesunden paares bekommen frisch geschnittene äpfel zur nachspeise, nicht ohne dass die frau, die zu langsam schnippelt, vom genervten vater der quengelnden gören kleinen zur hurtigkeit ermahnt worden wäre. nur freitags gibts fredagsgodis (freitagssüßigkeiten).
gute nacht
die zimmergenossin kommt vom dorffest zurück, während ich mein lättöl in der küche genieße. wir plaudern noch ein wenig, dann trinke ich draußen noch 1 tee + schicke den lieben daheim nachrichten, erzähle von der zimmergenossin + vom verlaufen am berg. als ich mich hinlege, hat sichs die reisegefährtin schon gemütlich gemacht. von 1 wäscheständer, den ich mir von der stf-mitarbeiterin, die mir zwischendurch schon mal beim aufsperren der haustür helfen musste, weil ich regelmäßig mitm schwedischen verschlusssystem überfordert bin, geben habe lassen, baumeln unsere ausgewaschenen hosen+hemden.
wir liegen ruhig jede in unseren betten, die ich vorhin noch ein wenig auseinandergezogen habe. lange habe ich nicht mehr mit jemandem, den ich überhaupt nicht kenne, so 1 grundverständnis im zusammen/für sich verspürt. vermutlich aber liegts nicht an mir, sondern ihr: so ists wahrscheinlich, wenn man aufgewachsen in 1 wohlwollenden umgebung, die die persönliche entwicklung fördert + nicht versucht, dich einzupassen ins system. die dir vermittelt, dass du gewollt bist, da wo du bist, dass es selbstverständlich ist: das zusammen sein.
ich weiß, dass ich weitergehe + versuches vor mir zu rechtfertigen, weil ich mitm fuß schon etwas bedenken habe. abers läuft doch so gut (!?) + ich will. ich muss. ich kann nach der tour, die so mit erinnerungen belegt, nicht aufhören. ich muss noch 1 stück weiter.
- wobei dopamin selber wohl nach neuster forschung doch eher „nur“ die motivation fördert, die erwartung, das, was man will (wanting). die endogenen opioide, die canbinoide sind die stoffe, die beim liking, also dem genuss dessen, was man tut, beteiligt sind. ↩︎