kungsleden (2023) – rakt fram 5/25
tag 5: tjäktjajåkka – kaitumjaure – teusajaure – råssejåhkå (4.7.)
halt
ich frühstücke das 1. mal am platz, auch wenn ich schon alles eingepackt+verschnürt aufm rücken habe, weil das loch im magen so groß ist, dass 1 tasse tee fürn aufbruch nicht reicht. außerdem ist die utsikt (aussicht) über den klippen überm tjäktjajåkka so herrlich + dazu, obwohl kalt+windig im herlichsten sonnenschein so makellos, dass es 1 sünde wäre, nicht nochmal zu rasten vor aufbruch + das zu tun, was mir so schwerfällt: den moment anzuhalten + zu genießen. über mir kreists.
ist das nur mein problem oder haben andere das auch?
die gesellschaftlichen analysen der letzten jahre laufen alle darauf hinaus, dass unser system 1 unsinnigen wirtschaftswachstumsglauben unterworfen ist, dessen versprechen: wir würden alle aufsteigen + wohlstand erreichen, wenn wir nur wollten (und all die anderen lassen wir wenigstens im mindestmaße an den errungenschaften durch wohltätige organisationen teilhaben), nur einzulösen ist, wenn wir auch mitmachen + konsumieren, was das zeug hält. wir kaufen uns das versprechen also selbst, weil uns sonst der abstieg droht. nur wenn wir uns ranhalten, richtig anziehen/trainieren/essen = uns selbst optimieren bis zur verzweiflung, können wir guten gewissens abends erschöpft in die ergonomischen schlaffördernden nackenkissen fallen.
wir sind mitverantwortlich dafür, wenn alles um uns herum schrumpft, + müssen uns bemühen, unseren lebensstandard zu erhalten + gleichzeitig auszuschöpfen + zu präsentieren. wenn ich ausm urlaub zurückkehre, kann ich endlich den asien/afrika/antlikreisenden den polarkreis entgegenhalten, den ich nordwärts überfahren + südwärts überschritten habe + nicht mehr nur die olle moralinsaure co2-karte ziehen, wenn ich in brandenburg war, was oft so empathisch belächelt wird, dass ich das gefühl habe, mich rechtfertigen zu müssen, um nicht nicht weltoffen zu erscheinen. nur kurz hat mir corona 1 pause beschert, als das gute nahe beschworen wurde, während vielerorts die pandemie grassierte + menschen regelmäßig aus überfüllten urlaubsorten mit krankschreibungen zurückkamen.
„die region die region“
jetzt aber ziehen weder corona noch klima mehr, wenn man sich nicht über die landesgrenze hinaus dem horizont öffnet – wobei europäisches inland + hier gerade der wikingernorden nicht gerade für einlassen auf vielfalt+fremde stehen. als ich vom olavsleden zurückkam, konnte ich keine reiseerzählung starten, ohne sofort auf den wahlgewinn der rechten schwedendemokraten hinzuweisen, wie ich in dresden nicht wandern konnte, ohne bei jedem schritt das drittel afd im nacken zu spüren.
jede reduktion auf das regionale hat zwangsläufig den konservativen rückzugscharakter, den die rechten so gerne instrumentalisieren + ich achte drauf, dass ich das in erzählungen stets mit betone, dass ich mir dessen bewusst bin – wies uns im übrigen allgemein gut anstehen würde, regelmäßig unsere vorstellungen+urteile auf den indoktrinierten verinnerlichten rassismus hin zu prüfen, inwieweit unser blick getrübt ist von der ländlichen exklusiven sozialisierungsmaschinierie.
kauen statt kaufen
laut hartmut rosa haben wir den punkt verpasst, an dem wir uns mit dem konsumgut zurückziehen, es auspacken, anwenden, genießen. wir haben dafür keine zeit, weil wir auf slipping slopes um unseren sozialen status bangend abzurutschen drohen + nur mehr+mehr leistung uns vorm abstieg rettet. + zum ausgleich mehr konsum. + so weiter. ich habe den punkt verpasst, an dem ich die wohnung halb leer geräumt mich dem minimalismus verpflichtet habe, was laut valentin groebner auch nur anderer ausdruck der wohlstandssystematik darstellt, weil man sich eben die wenigen hochqualitativen produkte leisten kann wie die lightweight hightech materialien für optimale performance: carbon/fiberglas/ripstop silnylon. ich besitze aktuell ca. 20 paar lauf+wanderschuhe für jedes wetter+gelände. man soll ja auch wechseln.
ich habe den punkt verpasst, an dem ich das konsumierte genieße, den ich bin 1 verbraucher*in, was wir ja auch sein sollen: auf+verbrauchen, um neues zu kaufen. ich allerdings fange an zu verschlingen, weil ich nichts verpassen will, weil ich jedes gefühl wegschlucke, bis es mir übel aufstößt, bis ich wieder leergebrochen frei bin für den moment, wo ich in ruhe mich hinsetzen + fragen kann, was das soll. wo ich das 1 letzte stück, das ich voRm anfall aufgehoben, auspacke+genieße. kauenkauenkauen wie die ernährungsdocs-regel sagt vorm verdauenverdauenverdauen.
da sitze ich also + genieße das porridge mal warm im kalten wind unter hellem sonnenschein. deshalb bin ich da. für den moment. immer den moment. nicht mehr. immer nur jetzt.
dann muss ich weiter.
ich kenne euch schon
seit ich die wander*innenautobahn hinter mir gelassen habe, ists ruhiger geworden, nur bei kaitumjaure treffe ich 1 gruppe wanderer, die sichs auf bänken gemütlich gemacht haben, während ihre taschen/rucksäcke/jacken mitten im weg hängen+liegen, die sie zuvorkommend wegräumen, als ich mit den 2 stöcken heranhumple. es ist die polnische gruppe, die ich gestern getroffen, deren herkunft ich erst später von anderen lerne, wie ich viele aufm weg durch erzählungen kennenlerne, die vorhinterneben mir gehen.
wie aufm olavsleden die traurige deutsche frau mir in erzählungen meilenweit vorangekündigt aufgelauert bis zum realen treffen im kopf herumging, gehen auch hier die menschen unter ihren namen/herkünften oder begriffen, die anderen ihnen verliehen mit mir mit, zumindest immer 1 stück, die ersten beiden etappen auf jeden fall, danach wirds spärlicher. ich mache mir weniger gedanken darum, welche figur ich den anderen abgebe, aber 1 frau allein ist hier auffällig, besonders, wenn sie das dekolleté tätowiert hat + sich bald vor allen anderen auf den finger haut mitm holzhackerhammer.
own your story (brené brown)
wir sollen die macht über unsere eigene geschichte übernehmen, sagt brené brown, damit uns die scham nicht erdrückt. ich werds versuchen. bis dahin geht mir 1 geist voraus. es ist die frau, die mich kurz nach der stuga überholt, wo ich sie neben der polnischen gruppe ihren rucksack packen habe sehen, aber mangels blickkontakt nicht grüßen konnte. plötzlich höre ich hinter mir jemanden sprechen, verstehe aber nicht, was gesagt wird, verstehe nicht einmal die sprache.
es dauert etwas, dann komme ich mit der frau, die so schnell geht, während ich mitm plötzlich schon zu beginn schmerzenden fuß nicht weit komme, kurz ins gespräch. es ist 1 deutsche, die in schweden lebt, wie ich von anderen späteer erfahre, bei der sie nur als „die deutsche, die allein geht“ bekannt ist. ich fühle mich schon wieder wie mit der „lonely german woman out of spirits“ in 1 boot mit 1 fremden person, nur, weil wir teilen: 1 staatsangehörigkeit/geschlecht/einzelgänger*innentum. sie sieht sehr abgemagert oder aufgezehrt aus. es verbindet mich vermutlich mehr mit ihr, als ich zugeben will.
me, myself + you
sie lebt in schweden, wie ichs gern wollte, sie geht allein, wie ichs auch tue, sie ist so schlank, wie ichs gern wäre, vielleicht etwas mehr, sie rennt so schnell, wie ichs gern täte. aber ich beneide sie nicht. weil ich in ihrem wesen, ihrem blick, ihrem aussehen 1 schmerz + 1 rastlosigkeit spüre, wie ich sie selbst in mir trage, die mich nicht zur ruhe kommen lässt, die mich immer weiter treibt. ich möchte all das + 1 innere ausgeglichenheit. geht das überhaupt?
sie spricht den wunden punkt dieser tagestour an: die bootsüberfahrt in teusajaure, wo 1 km mit 1 boot zu rudern bzw. mitm transfer zu meistern ist, der jedoch nur früh morgens (jetzt schon vorbei) oder am abend fährt, was bedeutet, dass wir stundenlang am ufer säßen, darauf zu warten, weshalb es spät werden würde für das aufsuchen des nächsten zeltplatzes, der bei 1 großen hängebrücke gelegen. ich habe mich aber drauf eingestellt + sage es ihr also, dass ich nicht rudere, weil ichs nicht kann, dass ich aufn transfer warte. „vielleicht rudern uns ein paar starke junge männer rüber“, sagt sie da + ich weiß sofort, dass sie die polnische gruppe meint.
trage das päckchen dahin, wo es hingehört
im nachhinein erinnern wir gerne das, was wir gesagt haben möchten. ich habe angst, dass ich den mund gehalten habe, kann aber dazu nichts in den aufzeichnungen finden. auf der tonbandaufnahme, die ich aufgesprochen kurz nach der begegnung, bezeichne ich mich tatsächlich als „zu geschockt + zu geschwächt“, um wirklich darauf reagieren zu können.
ich möchte ihr gesagt haben, dass ich das auf keinen fall mache. nicht nur, weil ich niemanden bitten will. ich kann das bezahlen. ich falle niemandem zur last. ich kann aber auch nicht in beziehung gehen. zumindest nicht hier, nicht mit ihr, nicht mit der gruppe. ich finde die herangehensweise auch furchtbar, noch mehr, als sie hinzufügt: „wozu sind männer sonst gut?“ ich lebe diesen feminismus nicht, wenns 1 ist, ich glaub eher nicht. es ist 1 narzissmus. der schmerzhaft das verbirgt, was das problem ist: die angst, da nicht rüberzukommen, weil man selbst nicht dazu in der lage ist. die angst, auf jemanden angewiesen zu sein.
später werde ich mich beim nacherzählen schämen, weil ichs ihr nicht ins gesicht gesagt. dass ich 1 andere haltung habe. weil ich die konfrontation, die konflikte erzeugen könnte, vermeide, weil ich die päckchen, die ich von anderen bekomme, herumtrage+vorzeige, anstatt sie dem absender zurückzugeben: nein danke, nicht meins. weil ich nicht sagen kann, was mich stört, außer ich fühl mich so sicher, dass mir nichts geschehen kann, weshalb ich, was am schlimmsten, dann manchmal in 1 gruppe, die meine einstellung vermutlich teilt, meine haltung klarstelle. vor allen anderen. bzw. mit allen anderen im rücken.
heute hier morgen dort
ab jetzt verwechsle ich die erinnerung an das kommende teusajaure mit der letzten stuga auf der etappe in vakkotovare, wo ich mir auf den finger schlage. ich verwechsles, weil ich beide male auf den nächsten schritt warte: in teusajaure auf die bootsüberfahrt, in vakkotovare auf den bus nach kebnats, wos zur nächsten etappe nach saltaluokta weitergeht.
ich sehe 2 luxemburger*innen mit mir in teusajaure sitzen, aber ob sie da saßen oder in vakkotovare oder sogar in beiden hütten: ich kanns nicht mehr sagen, glaube aber, letzteres. sie wollen in teusajaure übernachten + wenn ichs ausrechne, kommts hin: ich fahre abends weiter, habe noch 1 übernachtung + komme übermorgen in vakkotovare an. sie übernachten hier, gehen morgen weiter, 1 übernachtung + kommen übermorgen in vakkotovare an. wenn ichs mir aufschreibe, könnts sein, als würden wir uns dann schon wie alte bekannte treffen dort in der hütte, wo der großteil draußen, um keine gebühr zu zahlen, im regen wartet aufn bus, der (zunächst) nicht kommt.
carpe momentum
aber zurück. ich bin noch meilenweit entfernt vom bootstransfer + dem richtigen wasserfall, dem stora sjöfallet. ich lasse mir zeit + lege die füße hoch, weil ich was gelernt haben will: nutze die schönen stunden aus, wo du zeit hast + nicht allzu viel mücken nerven. direkt am wasserfall lasse ich mich nieder + klage über mein kaputtes bein, das die langen strecken der letzten tage wiederum beklagt. wir hören uns zu + ruhen aus, die gruppe zieht an mir vorüber + ich werde sie später wieder überholen, auch sie lassen sich zeit, einer läuft sich nicht so gut + keiner wird zurückgelassen, das werde ich morgen noch sehen.
seit ich daniel schreiber lese, beneide ich ihn um die kenntnis aller pflanzen+tiere auf seinen gängen+wanderungen, ich selbst sehe nur vögel+hühner + büsche+bäume. gleichzeitig lese ich dort nur viele verschiedene namen, habe aber kein bild vor augen + suche auch nicht danach. schön wärs aber schon drum zu wissen, was da in welchen büschen huscht + welche küken sich unter den bohlen verstecken.
„I prefer not to„
auf 1 selfie sehe ich 1 angeschwollenen mückenstich auf der stirne, ich lächle aber sehr zufrieden+befreit. in der theorie der gegenübertragung gibts die gleichläufigen+entgegensetzten übertragungen. je nachdem, in welcher situation ich mich befinde oder vielleicht auch, welches gefühl es betrifft, schwinge ich mal so, mal so: mitodergegen. wenn ich im seminar all die verantwortung spüre, die eigentlich der gruppe gehört, + die mein kollege nicht auf sich nimmt, schwinge ich gegen: ich werde unruhiger, je ruhiger er wird. nun ists, als hätte „die deutsche aus schweden“ mir mit ihrer rastlosigkeit etwas abgenommen von meiner eigenen unruhe + ich bin gelöst.
ich sollte in ihrer nähe bleiben, damits nicht aufhört, aber wenn ich sie in teusajaure wiedertreffe, weiche ich ihr aus, indem ich die gebühr für die benutzung der stuga zahle + mittagessen koche. hinter vakkotovare wird sie gänzlich übern berg sein. damit bin ich mein spiegelbild los, das mich je nach verfassung bedrückt („oh gott so bin ich“) oder beruhigt („nein nicht ganz“). es liegt 1 fehler im ständigen vergleich, der nur im neid enden kann, wenn man mit 1 selbstwertproblem kämpft – oder in der empfindungslosen gleichgültigkeit, die dir drogen geben. statt idealbilder, denen ich nachstreben könnte, sehe ich mich umsäumt von negativbildern, die mir zeigen, wie ich nicht werden möchte. aber so wie das ziel immer offen ist, wenn man nur weiß, dass man da, wo man ist, weg will, aber nicht, wohin man will, ist das negativbild zur abschreckung eigentlich nur 1 leere hülle mit 1 schwarzen rahmen. wie das retweeten von messages, die die gegenteilige meinung wiedergeben mit der aussage: „schau, wie blöd die sind“. ja, genau. wiederhols einfach ständig, damits keine*r vergisst.
meeting me
ich habe die lange wander- gegen die 3/4-merinohose getauscht + werde am ende des tages von mücken zerstochen in die fake-daunen des schlafsacks kriechen + kratzen, was das zeug hält. jetzt spüre ich noch nichts. in der erinnerung ziehen die wander*innen, die in der anderen richtung unterwegs sind, an mir vorbei.
- 2 behutete männer, die ich an den bohlen vorbeilasse, die ich gerne auf spanisch gegrüßt hätte, aber mir fallen die worte nicht mehr ein.
- der einzelne herr mit blondgrauem haupthaar, der mir entgegenkommt, den ich für 1 schweden halte, weil er abstand hält aufm ausnahmsweise 2-spurigen trampelpfad
- die beiden wander*innen weiter unten in weiter ferne wie kleine kNöpfe im fjäll
- die ältere dame oben auf der anhöhe des nicht enden wollenden anstiegs, die mir ihrer tocher unterwegs ist, die ich wie alle auf schwedisch grüße, worauf ich mir selbst wie 1 fake vorkomme
yes I kneipp
beim abstieg kneipp ich die füße im kleinen flüsschen (nicht dem großen wasserfall!) + frage mich, ob das andere für unhygienisch halten, weil sie ja vielleicht wie ich weiter unten wasser ausm sprudel schöpfen wollen. der gedanke wird mich bis zum ende begleiten + ich versuche ständig, es vor den menschen zu verbergen, weil noch sehen die nägel vom nagelpilz gelb+unnatürlich aus.
wenn ich zurückkomme, werde ich neben dem fitnessstudio auch das lasern lassen anfangen: die endgülte besiegung des nagelpilzes. ich mache 1 termin beim zahnarzt, um die restlichen amalgamfüllungen zu entfernen. es ist ein bisschen wie bei der kunigunde aus kleists käthchen von heilbronn: während das süße junge ding traumsicher um den ritter herumwankt, muss sich die alte kleistern+kleiden, um nicht auseinanderzufallen. ich richte mich nochmal her, bevors ganz den bach abe geht, wie der schweizer exfreund immer sagte, wenn er auf sein leben mit heroinabhänigkeit/insolvenz/obdachlosigkeit blickte.
warten statt waten
bier+chips+bootsransfer in teusajaure, als die stugvärd den shop aufmacht. ich habe vorher schon geklopft, um zu fragen, ob ich die küche benutzen darf, war aber nicht darauf eingestellt, dass sie 1 nickerchen macht. die luxemburger*innen werden nicht viel von ihr halten, vielleicht, weil sie etwa den zweibisdreifachen umfang von ihnen, keine haare + keinen bh unterm trägerlosen top trägt, und nicht gerade überschwänglich ihrem sommerjob nachgeht. aber als einzelne frau mit bisschen schwedisch locke ich ihr 1 lächeln heraus.
die luxemburger*innen + ich unterhalten uns über die tour, sie erzählen, dass sie nur gingen, wo hütten seien, weil sie kein zelt mitnehmen könnten, beide sind schon etwas älter, sie etwas angeschlagen mit kaputtem knöchel + erkältung von kebnekaise, das sie trotz flutschaden besucht, sie kommen von nikkaluokta. ich hänge mich an das kaputte bein + klage mein humpelstilzchenlied. wir verstehen uns sehr gut. draußen beginnen die polnischen jungs die überfahrt mit den ruderbooten.
1 – 2 – 3
sie sind etwa zu fünft, was heißt, dass sie bei insgesamt 3 booten verteilt auf hüben+drüben mindestens zweibisdreimal fahren müssen. es ist ein bisschen wie mit dem wolf, dem krautkopf + der ziege. auf jeder seite muss immer 1 boot stehen. wenn du also an dem ufer ankommst, wo nur 1 boot liegt, musst du nachm rüberfahren nochmal zurück, 1 zweites boot anhängen, anschließen, + nochmal ans andere ufer. statt kraut+wolf haben die jungs die rucksäcke + die deutsche dabei. nicht alle jungs können gleich gut rudern. während das 1. boot trotz heftiger strömung schnurstracks durchs wasser zieht, eiert das 2. in halbkreisen herum.
wir drinnenhocker*innen amüsieren uns prächtig über das, was draußen vorgeht. allerdings wollen die beiden luxemburger*innen am nächsten morgen selbst rudern – also er will. ich sehe mich selber im boot aufm akkajaure kreisen + kraftlos erschöpft den fluss hinuntergondeln + bin froh, dass ich die reise jetzt mache, wo ich das geld habe, die überfahrt zahlen zu können. die jungs aber schaffens, laden die 1. ladung ab + kommen mit 2 booten zurück. sie warten auf die öffnung des shops + nehmen dann den rest + die deutsche mit. ich schüttle verständnislos den kopf, während in meiner magengrube 1 ärger über mein unvermögen hochklimmt, mit anderen in kontakt zu kommen + einfach zu fragen. z.b. die 3 mädels, die jetzt auch rudern wollen. oder die nächste gruppe. oder die nächste gruppe. oder oder. bis ich so weit bin, dass ich mich anderen ins boot aufdränge, vergehen noch 2 wochen. dann mach ichs aber fast schamlos.
über_setzen
es ist die tagestour, die nicht endet. am bootsanleger treffe ich die beiden deutschen, die in 3 wochen ankommen wollen in hemavan. ich bin überrascht, wie sie das schaffen wollen. heute werden sie 30 km gehen, was sie morgen als „fast an der grenze“ bewerten, wos auch keinen spaß mehr mache. ich bin beeindruckt + kann mit meiner prepared-heit glänzen, indem ich ihnen 1 ihnen unbekannte app zeige. sie sind super ausgerüstet, haben sich aber vorher nicht so viele gedanken gemacht über alles. ich kanns mir nur erklären, weil ich allein gehe, dass ich overprepared bin. und damit, dass es vielleicht 1 typfrage ist. wie bram vom olavsleden, der einfach losgegangen ist. + dann mal schaut.
nach der unspektakulären überfahrt (hätte ich das nicht doch gekonnt?), verabschieden wir uns, laufen aber noch mehrere km in gebührendem abstand hintereinander her. ich laufe dem wetter davon, das aufziehen soll, das angekündigt von der stugvärd noch heute herunterbrechen werde. irgendwas triggert mich, vielleicht die soziale annäherung am nächsten geplanten zeltplatz. als die beiden beim schild zur hängebrücke abbiegen, laufe ich geradeaus weiter.
waten start warten
im reiseführer stand, früher hätte man den guolbbanjåhkå furten müssen, jetzt gäbe es 1 hängbro (hängebrücke) 1 stück flussabwärts. dort wollte ich auch zelten, aber jetzt treibts mich voran. wenn man früher furten konnte, muss es auch jetzt noch gehen. es wird 1 existentielle risikoerfahrung mit höchstem adrenalinausschuss: so muss bungeejumpen sein! wahrscheinlich wäre ich nicht gestorben, wäre ich gefallen. vielleicht hätte ich mir was gebrochen, wäre ich gestürzt oder ausgerutscht. vielleicht hätte ich mich durchs eintauchen ins wasser + weiterlaufen unterkühlt + wäre krank geworden. trotzdem schlägt das herz plötzlich am ufer des flusses so hoch, dass ichs mit der angst zu tun bekomme, was ist wenn?
die steine sind glitschig, das schmelzwasser reichert das flusswasser noch an: es rauscht nur so an mir vorbei. ich bin etwas erschöpft nachm langen tag trotz der ausgedehnten pause + ich brauche zweidrei anläufe, um 1 einstieg zu finden, muss ein paar mal abbrechen, zurückgehen + 1 neue route suchen, weil ich plötzlich keinen stein mehr finde, auf dem ich den nächsten schritt aufsetzen kann. als ich 1 flache stelle erreiche, bin ich plötzlich so erleichtert, dass ich kurz auflache + bilder schieße, aber dann merke ich, dass es nur die insel ist, vor der ich mich gefürchtet: es ist der point of no return: ich muss weiter, aber bin noch lange nicht da. ich irre ein paar minuten auf+ab aufm schmalen streifen, bis ich mich auf 1 rutschpartie einlasse, 1 kleines eintauchen mitm schuh + 1 beherzter sprung. dann hab ichs geschafft, stehe nun wirklich am anderen ufer + plötzlich bin ich so befreit, lache laut los, unbeschreiblich, was da hormonell abgeht im körper. nicht, dass ichs gleich nochmal machen würde, nur um das nochmal zu spüren: zu groß ist die angst, dass es diesmal schiefgeht. aber bei nächster gelegenheit scheu ich mich nicht …
und noch 1 aufstieg
mit voller energie stürme ich jetzt den fuß des ráhpatjårro hinauf. vorhin war ich noch erschöpft, ausgehungert, übermüdet, mit schmerzendem fuß. jetzt bin ich voller schmerzunterdrücktem wachmacherhormon + rumpele einfach weiter. weit unten sehe ich die kleine zeltkolonie an der hängebrücke, der ich ausm weg bin, jetzt eile ich im schönsten abendsonnenschein hinauf. es gibt noch 1 zweite zeltstelle, schon hinterm berg, die möcht ich erreichen, kann mir aber auch vorstellen, „irgendwo“ zu schlafen. aber die gewitterfront naht, und die drohung des regens, des auskühlens, nasswerdens, löst 1 solchen druck aus, dass ich immer weiterlaufe.
und noch 1
es wird 20 uhr, von weitem hör ich 1 vogel piepen, entweder ists 1 ljungpipare, goldregenpfeifer, dessen pfeifen von wikipedia „traurig eintönig“ beschrieben wird, oder das, was über mir kreist, vielleicht 1 kungsörn? später sehe ich 1 perfekt getarnte fjällripa! 21 uhr. noch immer bin ich nicht übern berg. das licht ist fantastisch. kurz vor der dämmerung, kurz vorm verschwinden hinter den wetterwolken, jagt die sonne nochmal warm+weit übers aufblühende fjäll. und (m)ich mit. mit ihrer letzten wärme treibt sie mich übers land. um 21:20 uhr nehme ich 1 sprachnachricht auf fürs protokoll, falls ich wegen 1 schlaganfalls/herzinfarkts umfallen würde: „das macht überhaupt nichts, das war die beste tour in meinem leben. noch nie so was schönes gesehen.“ mein onkel sepp starb mit 46 oder 47 beim zigarettenholen morgens aufm bürgersteig. ich denke oft an ihn.
ich mache noch 1 pause, trinke aus der heißen schoki, die ich mir in der hütte gemacht, die jetzt schon lauwarm. noch 1 riegel fürs letzt stück, dann gehts endlich hinab. aber wie man scheinbar endlos die berge nicht hinaufkommt, weil nach jeder anhöhe wieder 1 plateau, wo nur die aussicht auf die nächste anhöhe erreicht, so kommt man auch nicht hinunter. mit jeder ellenbisewiglangen stufe, die man hinab, erreicht man nur den ausblick auf 1 nächste. als es wirklich plötzlich hinutergeht, bin ich versucht zu laufen, ein bisschen im trab, der rucksack hat schon etwas gewicht verloren, die schwerkraft läuft von selbst. 1 ums andere mal schaue ich auf die karte, halte ausschau nachm råssejåhkå, an dem der zeltplatz sein soll. es gibt viele rinnsale, aber keines sieht aus wie das angekündigte gewässer – und mein gps-signal rückt auch kaum vorwärts.
down by the riverside
endlich komme ich an dem namenlosen see vorbei, der verzeichnet ist, aber da ich keinen wasserfilter dabei habe, würde ich lieber an 1 bach zelten. später wird mir auch das egal sein. als ich die vermeintliche stelle erreiche am råssejåhkå, finde ich im dämmer, der düsterer durchs wetter, keinen geeigneten von steinen markierte zeltplatz. ich laufe so lange herum, bis es mir egal geworden ist, bis ich mich für 1 entscheiden kann, die einigermaßen geht – so lang wird die nacht ja nicht. ich wasche mich noch im fluss, ist ja keine*r da außer mir. ich weiß gar nicht mehr, ob ich mir noch was warmes mache, ich denke schon, was heißes für die kalten füße+hände. ich verabschiede mich von diesem tag so zufrieden, wie seit der ganzen tour nicht. ich bin weiter gekommen, als gedacht, habe 1 abenteuer am fluss erlebt, habe etwas bewältigt, bin über 1 grenze hinaus. ich bin vollkommen erschöpft, als ich nach 23 uhr in die fake-federn falle. aber gleichzeitig vollkommen erfüllt.