kungsleden (2023) – rakt fram 4/25
tag 4: sälka – singi – tjäktjajåkka (3.7.)
sova i sängen (im bett schlafen)
seltsamerweise schlafe ich unglaublich gut + durch bis morgens nach 5 uhr. während ich gestern noch ruminierte, ob ich überhaupt in der hütte schlafen soll/kann, z.b. weil ich nicht früh genug um 4–5 uhr aufstehen+packen kann wie sonst, um die anderen nicht zu wecken, überrascht mich die ausgeschlafenheit umso mehr. vielleicht liegts an der wärme durch einheizen + körperausstrahlung sowie der dunkelheit durch fenstersichtschutz. als ich so leise wie möglich aus meiner koje krieche + meine 77 sachen greife, die ich gestern vorsorglich so gut wie möglich zu 1 haufen geknauft, schnarchen die anderen 10–12 leute weiter.
in der küche schnell anziehen + wasser aufkochen – ists auch nicht zu laut?! dann nochmal utedass + schon kanns losgehen. beim schuheanziehen treffe ich den tätowierten nochmal + bitte ihn streng mit mir schwedisch zu sprechen. es ist das 1.+letzte mal, ich sehe ihn nicht wieder, vermutlich ist er wie die meisten nach singi gen kebnekaise + nikkaluokta gegangen, das ende der 1. etappe. ich bin schon zu viele tage allein ohne kontakt, da wird man weird, wenn mans nach jahrelangem alleinleben nicht schon ist, + hat schwierigkeiten mit der angemessenen konversation.
drah de ned um
rundum haben die leute, die die kälte nicht gescheut haben, ihre zelte aufgepflanzt, in der nähe der stuga oder auch weiter weg. besonders die grünen schmiegen sich ans gelände wie kleine miniaturberge, indem sie die natürlichen riesen wie kleine schneckenhäuser imitieren.
im eiltempo laufe ich trotz zunehmender fußprobleme lange etappen, die so nicht geplant. ich habe 1 weiteren tag eingespart + wer süchtig ist, verfällt bei jeder gelegenheit in gefahr, an irgendwas spaß zu finden = das belohnungszentrum anzuwerfen wie z.b. nun: oh: wie viel schneller kann ich ankommen als geplant? wie viele etappen einsparen, wenn ich was zusammenlege? erst wenn ich bei teusajaure die beiden deutschen treffe, die den weg in 3 wochen gehen wollen, weil sie 1 unabänderlichen termin haben, merke ich, wie komisch das ist. davor ist es einfach nur stärke.
beim nächsten meditationsplatz ist somit auch wieder keine zeit, länger zu verweilen, es ist auch zu kalt+windig für 1 längere pause, ich kühle immer noch zu schnell aus, auch wenn die sauna gestern die wunder gewirkt, die sie kann: hochrotheißerkopf+extrementspannung.
von 1 zum anderen
die meditationsplätze gehören zum lange parallel laufenden pilgerweg dag hammarskjöldsleden, den man über google auch findet, wenn man nur noch was wie hammerdagsleden weiß. als ich darüber las, war ich überrascht, weil ich kurz zuvor 1 doku gesehen hatte über den ehemaligen uno-generalsekretär, der 1961 bei 1 flugzeugabsturz aus unbekannter ursache ums leben kam.
ich bringe ihn in der erinnerung mit der doku über olof palme, 1 schwedischen ministerpräsidenten, durcheinander, der 1986 umgebracht wurde. über ihn habe ich die netflix-serie „den osannolika mördaren“ (der unwahrscheinliche mörder) gesehen, der den fall aus der perspektive des täters, der sein leben lang nicht gefasst wurde, entwickelt.
die serie erinnert mich an die doku über das attentat an monica seles kurz vorm höhepunkt ihrer karriere, die den sieg über steffi graf bedeutet hätte.
ermüdungsbruch im gehirn
mitm frühaufsteher im nacken kann ich mich nicht konzentrieren auf meinen weg + bete wie 1 mantra die lieder herunter, die mich zu mir: me+myself+I zurückbringen sollen. aber die fixierung aufs gegenüber in unternehmungssituationen ist wie die essstörung 1 halt im unbekannten, wo man sich nicht auseinandersetzt mit dem, was eigentlich ist, sondern flüchtet in 1 andere welt. ich beschäftige mich mit ungeführten dialogen + lerne 1 etappe lang so gut schwedisch, bis ich auf der nächsten die lust verliere + an was anderes denke.
der wind hat so zugenommen, dass ich später meine eigenen sprachaufnahmen nicht mehr verstehe. irgendwas mit wurscht oder borscht + dann „bära vägen“ – den weg tragen im sinne von: etwas aushalten. god tur (gute reise) mit ü wie god tür, als ich durch die rentiertür schreite, die vor mir jemand offen gelassen hat. 1 tür schließen ist auch 1 möglichkeit, 1 neuen abschnitt anzufangen.
break fast, eat later
wie sehr ich mich freue, als ich von weitem 1 schutzhütte entdecke, in der nähe ein paar zelte + mädels beim aufräumen. da gehe ich jetzt rein!
in der hütte sitzt 1 mann aus deutschland, der auf 1 anderen weg unterwegs ist + mir tipps für den kungsleden gibt, den er vor langer zeit mal gelaufen ist, seit jahren ist er hier unterwegs + geht immer neue strecken. bei all den namen, die er nennt, um seine tour zu beschreiben, nicke ich + habe doch am ende keine ahnung, wie ich ihm nachhinein beim prüfen der karte feststelle.
3–4 mal frage ich, ob ich ihn was fragen dürfe, + werde all meine befürchtungen für die nächsten etappen los, am meisten beschäftigt michs stück zwischen kvikkjokk + adolfström, wo es tagelang keine hütte gibt. (den supermarkt in jäckvik hab ich übrigens übersehen + bin überrascht, als ich im wander*inneneinkaufsparadies lande).
- ist der weg auf der strecke, wo keine hütten sind, auch so gut ausgeschildert? -> „ja“
- wie macht man das mitm wetter, wenn keine hütte mehr aufm weg, wo die aussicht verzeichnet? -> „schau halt in den himmel!“
anscheinend hab ich = großstädter*in seit bald 2 jahrzehnten verlernt, wies ist, da draußen aufm land zu sein. was man vom himmel ablesen kann + sieht, was kommt. tatsächlich hat alles hier 1 solche weite, dass es schwer vorstellbar ist, dass man vom regen überrascht wird. ich lerne also neu, mich auf die natur einzulassen, die ich sonst nur im outdoorequipmentsafemodus durchquere, ich brauche mir in brandenburg im schlimmsten fall nur sorgen zu machen, ob ich empfang für den rufbus habe. (nächste challenge: mecklenburg vorpommern mitm mo-fr schulbus-sonst-nichts-öpnv.)
hans bleib do, du woaßt ja ned wias weda wiad
wir frühstücken zusammen, ich den schon wieder kalt gewordenen haferbrei mit trockenhimbeeren, proteinpulver + nüssen. er hat sich aus 1 megapackung müsli 1 topf aufgekocht + wieder stelle ich fest, dass ich nicht richtig haushalte mit meinem stoffwechsel. aber schleppen möcht ichs auch nicht, was er da aufm rücken hat. es muss doch auch so gehen!?
und so langes geradeaus geht, gehts auch ganz gut, aber die anstiege machen mir zu schaffen, ich erinnere aus 2014 noch einzwei davon, den schlimmsten aber werde ich vergessen haben, was für 1 merkwürdigkeit! auch merkwürdig ist das taube gefühl in den fingern, das sich zu verstärken scheint, je fester ich die stöcke halte. anscheinend drückt der rucksack so auf die schultern, dass nerven eingeklemmt werden. ich kenne die taubheit wie das kribbeln ausm alltag, wenn ich nachts/frühs aufwache + falsch liege z.b., aber nicht in dieser stärke – und auch nicht, dass es einfach nicht loslässt. es ist aber nur der beginn.
malträtierte malade malaisen
ich bin geneigt, 1 aufzählung meiner maladen verfassung zu machen, um das fortschreiten der blessuren zu überprüfen. wie ich listen anlegen könnte von den verlusten aufm weg wie z.b. dem deckel vom kochtopf, von dem ich bis heute nicht weiß, wann er verloren ging, oder der extra gekauften nur 23 gramm schweren tasse, die ich durch die 87 gramm kupilka ersetzt habe, die mir nun nützlich stets frischwasser schöpfend an 1 haken vom rucksack baumelt, so dass ich den wasservorrat auf 0,5–1 liter beschränken kann, könnte ich listen anfertigen von meinem zunehmend maroden zustand.
- so_nana: sonnenbrand auf nase+nacken, zunehmend bei sonne bis zum abblättern der 1. schicht + auftreten der neurosa zweitschicht
- fußschmerzen in der linken sohle, zunehmend + sich ausbreitend über den linken gesamtfuß bis zum humpeln + gefühl des tauben klumpens am bein, der nicht zu mir gehört
- magenschmerzen von den konservierungsstoffen der trockennahrungsmittel, zunehmend + abwechselnd mit magenschmerzen von „genussmomenten“ bei einkaufsmöglichkeiten von bier, chips, eis, schokolade
- taube+kribbelnde finger, vom aufwachen zunehmend bis zum ständigen auftreten tagsüber, kaum nachlassend auch beim waagrechten tragen der kalten alustockteile in blanken händen, um mit der kälte empfindsamkeitstests zu veranstalten = um überhaupt was zu spüren, bis zur angst vor neurologischen schädigungen (3 monate kraftsport nach der reise beheben das problem wieder weitgehend)
- mückenstiche, die sich entzünden, + nur mit der anwendung der antibiotischen entzündungssalbe, die mir die ärztin bereits vor 1 jahr verschrieben, die ich schon 1x geöffnet seitdem + die wohl nicht mehr wirklich dem verfallsdatum nach noch zu verwenden sei, wäre ich nicht desperate
- bald: 1 bremensenstich überm auge, der dazu führt, dass das auge an+zuschwillt, so dass ich 1 fotoprotokoll anfertige, um herauszufinden, obs auch wieder besser wird, + der kleine blutergussstich, der zurückbleibt tagelang in mahnender erinnerung, wenn man schon 1 mückennetz fürs übern-kopf-ziehen dabei hat, es auch bei
gelegennotwendigkeit zu verwenden, auch wenn man wie 1 panikente aussieht damit - sehr bald: der finger, auf den ich mir beim versuch des holzhackens schlage mit 1 hammer, der die sicherere variante neben der axt gewesen sein soll, mit der ich zuvor kurz an meinem fuß vorbei durch die luft geflogen bin – aber das ist 1 extra geschichte am ende dieser etappe
- nur der herpes fehlt mir: anscheinend hab ich keinen stress1
pratar med henne (habla con ella)
als ich singi erreiche, raste ich kurz im windschatten der stuga. die ansässige stugvärd plaudert freundlich mit mir ein bisschen schwedisch übers wetter. sie winkt ab + lacht, wenn ich auf regen zu sprechen komme + versteht meinen witz über mücken nicht, die ich mir wegwünsche. weil das leben hier besteht nun mal zum großteil aus regen+mücken, was will ich denn?
jetzt kann ich nicht schon aufhören, lief doch so gut, ich gehe gleich weiter. noch 1 etappe gespart, vielleicht komme ich gleich bis kaitumjaure. ich versuche ein paar bergnamen zu lernen, damit ich mich orientieren kann in der karte. links vor mir türmt sich der stuor jiertá auf, das große herz, das mir gleich 1 kleinen gefühlskanon beschert, den ich nur meistere, indem ich 1 kurze meditationspause einlege, obwohl ich ja gerade erst gerastet. natürlich muss ich dem ausgelassenen größten berg schwedens, dem kebnekaise, zu dem ich mit nils holgersson seit jahren fliege + nicht ankomme, weil ich einfach nicht fertig werde mit lagerlöfs schwedisch, einzwei tränen nachweinen.
jäkkvikk oder jäckvik oder jäkvick?
ich weiß nie, ob 1 c oder k oder i oder j oder 1 oder 2 buchstaben in die namen einzupflegen sind. schwieriger noch sind die sámi-bezeichnungen, sie bilden mit den verschiedensten schreibweisen mit jahka/jokka/jakka die gelände+gewässer-formen ab. als ich mit der schwedin über die bezeichnungen sprechen werde, wo sie meint, sie wisse von den namen nicht, was sie bedeuteten, es sei kein schwedisch, präsentiere ich meine haltbare theorie, dass die namen geografische besonderheiten abbilden, die wie 1 karte lesbar sind, wenn es von abisko heißt: der wald in meeresnähe oder von 1 berg, dass er steile klippen besäße + 1 langen sattel. es ist wie 1 namensmap für die jäger*innen+rentierhüter*innen aus den tagen, wos noch keine verzeichnung gab, nur das land als land.
ich kann ja nicht einfach nur rumpeln
jetzt, wo ich den abzweig zum kebnekaise hinter mir gelassen, scheints keine menschen mehr aufm weg zu geben. ganz selten kreuzt 1 gestalt die trampelpfade, meist bin ich allein auf weiter flur. die wolken verziehen sich + erst 1 ganzes stück später, als ich schon kurz davor bin, wieder die jacke auszuziehen, überhole ich 1 rastende gruppe junger männer, die am fluss gerade pausieren wie ich vorhin, als ich die füße auf der matte am steinstrand ausgestreckt habe, um mich zu erinnern, warum ich kam, was ich lernen will; für mich sorgen, mich um mich kümmern, es aushalten, zu sein, die momente zu nutzen, in denen ich nicht weiterhetzen muss, sondern mich dehnen kann in die zeit.
ich halte ausschau nach zeltplätzen + bin bisschen neidisch, als ich die gruppe so schön geschützt im gebüsch sitzen sehe, bis ich merke, dass sie sich ebenfalls wieder aufn weg machen, ich werde sie morgen früh bei kaitumjaure wieder kurz sehen. beim anstieg wird mir warm, die füße schmerzen. ich setze mich auf 1 stein + lasse die gruppe an mir vorbeiziehen, ich grüße gefühlt 10x, alle sind sehr nett zueinander aufm weg. ich prüfe die karte + erschrecke beim anblick der brücke, die ich für 1 zeltplatz ausgewählt hatte: sie hängt hoch über 1 riesigen reißenden fluss, dem tjäktjajåkka, der über viele kilometer seine bahn zieht, der hütte weiter oben aufm pass den namen gab + hier zum mächtigen strom in der tiefe wird, zu dem sich nur klippen hinunter trauen, die hat er sich selber geschlagen.
noch (k)1 fehler
als ich die kleinen plateaus auf der anderen seite begutachte, finde ich einzwei zeltplätze, die sich wasser von 1 kleinen rinnsal holen können, das nicht lang läuft, bis es in die tiefe stürzt. es ist 1 etwas ausgesetzter platz + das zelt kann wieder seine sturmtüchtigkeit beweisen, der kocher tut was er kann, um das wasser wenigstens mundwarm zu kochen, aber dass die nudeln weich oder der kaffee heiß werden, darauf warte ich schon lange nicht mehr. keine ahnung, wie viele fliegen, mücken, käfer ich schon mitgegessen habe, welcher lappen gleich nochmal fürs waschen, welcher fürs putzen war, alles ist hier 1topf.
2 wanderer*innen winken von weitem, als sie mich beim baden sehen, ich grüße zurück, nur keine scham. mit den wechselschuhen soll man auch gut durchs wasser waten können, meine sind super, aber ich habe sie seit 2014 + immer noch sind sie etwas zu groß, aus plastik + gehen nicht mehr kaputt, was soll ich machen, ich hab sie wieder dabei. um nicht das seichte wasser vom rand des rinnsals benutzen zu müssen, steige ich vorsichtig über die glitschigen steine in die eiskalte mitte + schöpfe die 2l flasche, auf deren boden weiterhin schmelzwassergestein schwimmt, voll. als ich ans rettende ufer will, rutsche ich aus im morast. schade um die trockene unterhose, die andere hab ich gerade ausgespült. jetzt ist alles nass + flattert hibbelig von den zeltseilen, die gespannt sind, was sie noch aushalten müssen.
nu läggar liggar jag mig och vilar en stund (jetzt leg ich mich ins bett hin + ruhe 1 weile aus)
der vollständigkeit halber ordne ich das ausrutschen in den ordner der fehler ein, die sich nicht wiederholen sollen: bitte nicht erst waschen, umziehen, alles auswaschen + dann mit den letzten trockenen stücken ins wasser fallen. falsche reihenfolge. es wird mir gelingen.
das buch/die bücher schlage ich gar nicht mehr auf, ich beschäftige mich nur noch mit der karte, was liegt vor mir, wie weit komme ich, wo gibts was zu essen vielleicht, wo könnte ich was kaufen, wo kann ich rasten, wo gibts 1 schutzhütte, wie sieht das wetter aus, wo könnte ich zelten. für mehr reicht meine konzentration nicht mehr. wenn jeder schritt 1 entscheidung ist, damit du nicht fällst/stürzt/brichst, bleibt nicht mehr viel kapazität für fremde gedanken. es reicht, die wichtigen do’s+dont’s durchzugehen + fürs überleben zu sorgen: sauber/nicht stinken, satt/nicht frieren, warm/viel ruhen.
in der tiefe rauscht der jahkka/jakka/jokka + ich lausche auf seine geräusche + die, die der wind mit meinem zelt anstellt. ich versuche, das innennetz mückenfrei zu halten, was sich zum schutz darunter noch so tümmelt, ist mir erstmal egal. später werde ich auch dagegen angehen, weil ichs zwischendurch mal nicht mehr ertrage, das gewimmel. jetzt gehts aber nur noch drum, zu schlafen, mehroderweniger, sich rumdrehen, aufs „klo“ gehen, wälzen, mümmeln, schnarchen. noch 1 foto machen, damit ich später = heute weiß, wo ich bin, wo ich war, was ich getan.
ja, das hab ich geschafft. ganz überwiegend allein.
- der kommt erst später + zeigt sich erkenntlich mit 2x herpes kurz nacheinander: dankeschön! du hast mir grad noch gefehlt! ↩︎