kungsleden (2023) – rakt fram 2/25

tag 2: šiellajohka – alesjaure – bossosjohka (1.7.)

(c) kaschpar

break fast

als ich um 5 uhr mit sack+pack über die brücke pendle, über die gestern der mopedfahrer ratterte, denke ich, dass ich die 1. + einzige bin, die so früh schon unterwegs ist + dass ich meinen brandenburger wanderrythmus beibehalten kann, wenn ichs frühstück vorbereitet in der seitentasche verwahre zusammen mit der thermoskanne, für die ich die gesamte packliste grammfürgramm durchgerechnet habe.

aber noch beim wasserauffüllen merke ich, dass der mann, der gestern vor mir am ufer gezeltet, auch schon die laken eingeholt hat. beim aufstieg zum meditationsplatsen folgt er mir in gemäßigtem abstand, aber schnell wird klar, dass er 1 höheres grundtempo hat. ich stoße die stöcke mit kraft in den fast gefrorenen boden + hechle die anhöhe hoch, bis ich mich auf 1 plateau überholen lasse, während ich die jacke ausziehe, die der mann mit den tätowierten armen im rucksack trägt.

wir tätowierten

es sind nicht viele tätowierte leute unterwegs, + man meint, wenn man bemalungen auf der haut teilt, hätte man was gemeinsam, aber dem muss nicht so sein. der tätowierte mann geht nickend an mir vorüber. ich übe schon mal in meinem kopf schwedisch, indem ich mir gespräche ausdenke, die ich nie führen werde. wenn ich den tätowierten bis sälka so oft wiedergetroffen habe, dass wir kurz morgens plaudern, werfe ich, die ich seit tagen keine konversation geführt habe außer kurzen korrespondenzen mit familie+freund*innen sowie kaufgeschäfte mit fremden, ihm vor, dass ich kein schwedisch lernen könne, wenn alle mit mir englisch sprächen. ich verstehe aber gar nicht, was er sagt + beschämt versuche ich abzuwiegeln. danach sehe ich ihn nie wieder.

med_i_tation my ass

beim meditationsplatz kann ich nur kurz stehenbleiben + durchatmen, weil mich die nicht stattgefundene begegnung morgens um 5 uhr nach 1 schlecht geschlafenen nacht so stresst, dass ich nicht zur ruhe komme. es dauert etwa 4-5 menschenlose kilometer + 1 winken auf abstand mit menschen, die hier oben in der mückenlosen prärie 1 quelle zum rasten+zelten gefunden haben, bis ich mich zum frühstück in die mittlerweile strahlende sonne unter blitzblankem himmel setzen kann. es ist etwas kühl, aber ich habe ja alles dabei. alles.

die bohlen sind weniger geworden, die steine mehr. + meine schuhe erweisen sich als die etwas zu softe mischung aus sport+berg mit 1 so bieg+spürsamen sohle, dass ich mir jeden stein genau überlege, auf den ich trete, denn alle sind kantig bis krumm + zwischen ihnen ist oft so wenig platz, dass man schnell umknickt. auf keinen fall darf jetzt was passieren, weil ich bin erst den 2. tag unterwegs, aber jetzt schon so weit vom einstieg entfernt, dass es schwer wäre, hier einfach mit gebrochenem knöchel wegzukommen.

luxustransfer

ich verstehe endlich die rentierzäune, die 1 familiengebiet vom anderen trennen, welche z.b. mittels kleinen freitreppen einfach zu übersteigen sind, wenn man das rucksackgewicht, das linksrechts schaukelt beim stufensteigen, im gleichgewichtsgriff hat. andere werden türen zum durchschwingen haben oder bohlen zum aufhebeln. mittlerweile habe ich 1 kleinen sonnenbrand auf der nase, der sich im laufe des tages dank des glücklichen wetters verstärken wird. sommer+winterweg laufen parallel, so dass man sich nicht verlaufen kann.

1 stück des weges könnte man am ende abkürzen mit 1 bootstransfer, aber da er nicht nötig ist wie woanders, wo man zwingend übern see muss, kostet er hier 1 luxusgebühr, die ich mir sparen will, obwohl ich schon merke, dass nach der strecke gestern die heutige bis zur hütte auch schon so lang ist, dass mir der fuß, den ich mir vorher zerlaufen, erste signale schickt.

overtrainED

(c) kaschpar

1/4 jahr vorher, es muss beim 2. lauf in 1 woche über asphalt (aufm radweg) gewesen sein, hat der linke fuß plötzlich mit 1 kleinen riss angefangen, zu schmerzen. übern winter hatte ich noch laufpause gemacht, weil die linke hüfte nach der reha wieder angefangen hat, mir aufn nerv zu gehen, der sich ischias nennt. doch mitm frühling – und mit zunehmendem alter + fortlaufender menstruation im mittlerweilse 28. jahr scheint sich das noch zu erhöhen – fing ich ebenso neu zu springen an. + wenn ich schmerzfrei bin, laufe ich, bis es weh tut.

es dauerte also nur wenige wochen, bis ich sogar 2x am wochenende lange strecken lief, + der körper setzte dem 1 jähes ende. ich wusste gar nicht, was geschehen war + erst dauerte es auch beim nächsten lauf bis km 15, bis der schmerz einsetzte. dann bis km 10. 5. dann dauerte es gar nicht mehr, der schmerz war immer da.

schön schonen

natürlich habe ich mich wieder geschont, obwohl ich das übertraining kurz 1 unbewussten selbstdestruktion zugeschrieben hatte, die dazu führen sollte, mir selbst den weg so zu erschweren, dass ich ihn gar nicht antreten können würde. ich bin aber trotzdem gegangen + extra vorher nicht zur orthopädin aus angst, sie könnte mir 1 diagnose stellen, die mich davon abhält zu wandern. es macht auch nicht viel sinn, zur ärztin zu gehen, wenn man die diagnose nicht brauchen kann hören mag (was natürlich z.b. aus hiv/aids-präventionsperspektive nie 1 gute idee!).

ich habe gedacht, wenn ich mich schone, wirds bis zur reise besser. und wenn nicht, kann ich ja aufhören. ich habe immer 1 guten plan, bevor ich was mache, nur rechne ich meist nicht mit mir. ich torpediere mich selbst. ich will was gutes essen, dann ess ich so viel, dass mir schlecht wird. ich will wo hinfahren, wos schön ist, dann lauf ich so lang, dass es schmerzt. ich habe die eigenen kipppunkte nicht im griff – oder schlimmer vielleicht noch: ich sehe die kipppunkte kommen + gehe einfach weiter. ich denke, man nennts sucht.

grenz_wertig

wenn ich an den vater denke, neige ich dazu, seit ich so viel über die psyche gelernt habe, ihn in 1 schublade zu packen, die ich mit 1 borderline-diagnose versehe. vermutlich käme das hin, beschriebe ihn aber keinesfalls annähernd. die 1. neurosendiagnose, die ich erhielt, war vermutlich auch 1 mischung zwischen diesen beiden. später wurdes egal, welches etikett man aufn kopf klebt. es ist 1 störung vorhanden, mit der muss man klarkommen. sie lässt sich behandeln, einschränken, es lässt sich mit ihr leben. ganz weg kriegt man sie nicht.

ich musste neulich lachen, als ich in 1 buch las, der autor wollte nicht ganz therapiert werden, weil 1 bisschen kaputt muss man doch sein, um das künstler*innenleben voll ausschöpfen zu können. ich musste lachen, weil ich auch 1x so dachte: ich will nicht gesundtherapiert = vollkommen resozialisiert werden. kein glied in dieser riesigen menschenkette. heute glaub ich gar nicht mehr, dass es funktioniert hätte + es vermutlich besser gewesen wäre, ich hätte noch etwas weitergemacht.

aber nun ists wies ist + mit wissenschatlicher lektüre + hintergründigen podcasts kommt man auch etwas weiter. nur nicht stehenbleiben.

jeder tritt ist 1 entscheidung 

das land ist wie auf den bildern so schön + ich kann nicht glauben, dass ich da bin. dass ich es bin, die hier ist. es ist wie 1 traum, aus dem ich in seltenen momenten von meinen füßen aufsehe, die ständig ihren tritt überprüfen lassen müssen vom kritischen blick, und plötzlich sehe ich 1 langes tal mit türkis schimmerndem see, das alisjávri-tal, das auch stunden später immer noch so aussieht wie vorhin. ich versuche bilder zu machen, aber selbst der weitwinkel kriegt die größe nicht eingefasst, die länge nicht abgebildet, es ist einfach zu riesig.

1 mann kommt mir mit 1 baby auf die brust geschnallt entgegen, ich lasse sie + die mutter dahinter vor mir über die bohlen gehen oder andersherum, ich bin ganz erstaunt, tue aber so, als wärs ganz normal. na klar, ich mach mir sorgen+gedanken, ob ichs allein schaffe + die zwei haben 1 baby (!) dabei.

schwupps

an der nächsten stuga bin ich schon so lange allein unterwegs, dass ich etwas übersprungsmäßig an der lachenden gruppe vorbeihaste, den tätowierten, der vor der hütte sitzt + 1 cola trinkt, grüße + in die stuga zum shop stürme. aber alles ist zu. es gibt öffnungszeiten des shops + anwesenheitszeiten der stugvärdar. morgens+abends ist betrieb, aber nachmittags ist auch mal ruhe. ich bin ein bisschen überfordert nachm langen tag mit den kurzen pausen, wo ich gerade noch an der raststuga, die etwas abseits vom weg gelegen ist, vorbei bin, nicht nur, weil ich vermutete, dass sie gerade besetzt war, sondern auch, weil ich den extraweg nicht zurücklegen wollte. nun schnür ich die stiefel schnell wieder an + packe mein zeug + laufe weiter, im rücken d. nächste*n wander*in. wie weit komme ich?

ja wahnsinn! da bin ich mittendrin!

(c) kaschpar

ich schaue die apps nach hinweisen für zeltplätze durch im freien. ich hätte gut noch was kaufen können im shop, aber ich würde schon bis zur nächsten möglichkeit durchkommen. ich hätte mir nur gern was gegönnt, gebrauchen tu ich nichts.

wenn man über den punkt hinaus ist, wo man schon hätte aufhören sollen, kann man das, was noch kommt, nicht mehr genießen. auf den 30 km touren durch brandenburg war eigentlich immer ab km 20 klar, dass es noch weiter geht, aber eigentlich auch reicht. jetzt hab ich noch keine 20 glaub ich, aber ich habe die gps-uhr aus spargründen nicht eingeschaltet + tue mich mitm rechnen nach 1 langen wandertag bisschen schwer. die füße markieren, wie weit ich komme + bei der nächsten gelegenheit lege ich den rucksack ab + suche das gelände nach 1 geeignetem zeltplatz ab.

how to pinch a tent II

jetzt weiß ich schon, an was gute plätze außerhalb der stugas zu erkennen sind

  • es liegen mehrere handbiskopfgroße steine in 1 kreis als halterungen für die haken, die im weichen boden nicht richtig festhalten bei sturm
  • 1 kleiner steinkreis + verkohltes holz zeigt 1 lagerfeuerstelle an

nach einigem vergeblichem kreisen, prüfen der richtung + stärke des windes, packe ich meine sachen wieder zusammen + gehe 1 stück weiter, bis ich 1 offene stelle finde, wo ich glaube zu merken, dass es durch den berg auf der anderen seite windgeschützt ist. als ich in der nacht 1x raus muss, sehe ich, dass 2 weitere zelte etwas weiter weg in besserer lage + anderer windrichtung ihr lager aufgeschlagen haben, bin aber nicht unzufrieden mit meiner wahl, obwohls mich gscheit friert.

„und haben wir nicht geschlafen, so haben wir doch geruht

(c) kaschpar

ich kann mich nicht erinnern, wanns mir passiert, vermutlich schon heute: ich drehe die thermoskanne nicht wieder zu, bevor ich sie vom kocher ins zelt hole + schütte den tee übern zeltboden, dass ich einzwei der abgezählten tücher nehmen muss, um alles trocken zu kriegen. erst, wenn nichts mehr um dich herum ist + du auf alles angewiesen bist, was du hast, dass es funktioniert, dich wärmt + am leben hält, verfluchst du jeden kleinen fehler, den du machst. du machst ihn aber nur 1x, und, wie die schwedin später sagt, dann ists auch kein fehler, dann ists etwas, woraus du lernst. erst wenn dus nochmal tust, ists 1 fehler. ich werde die thermoskanne kein 2. mal offen mit ins zelt nehmen. ich werde sie draußen mal offen stehen lassen + die heiße schoki verschütten.

auch diese „nacht“ schlafe ich schlecht + wälze mich auf der isomatte herum, die für die kälte in kombi mitm schlafsack fast 1 bisschen zu dünn ist. mittendrin werd ich in meinem wachtraumrhythmus 1x von geblöke geweckt + ich habe das gefühl, dass was ums zelt schleicht. diesmal kein lautes moped, sondern 1 leises tier. ich warte etwas länger als gestern, bevor ich vorsichtig die zeltluke öffne, da ist aber gar nichts zu sehen. erst, als mich vorbeuge + die kamera greife, sehe ich ohne kontaktlinsen/mit zoom in weiter entfernung 1 komplette herde schafe grasen. ich bin ganz verdutzt + schieße ein paar bilder + schlafe weiter. es wird noch ein paar stunden + umdrehungen auf der matte dauern, bis ichs checke: das waren keine schafe. es waren rentiere.

you are not forlorn