kungsleden (2023) – rakt fram 1/25

tag 1: abisko – abiskojaure – šiellajohka (30.6.)

(c) kaschpar

tätort (größerer ort)

erstmal frühstück. vielleicht ists auch nur 1 andere art, alles noch ein wenig hinauszuzögern. dennoch: seit ich gestern angekommen bin, gibts kein zurück mehr. seit ich durchs tor schritt, das aufm weg zur stuga mit hemavan anfängt + mit abisko endet, war eigentlich klar, dass ich den weg gehen werde, komme was wolle. ich werde menschen treffen, dies ebenso tun. aber nicht ganz so viele, die allein unterwegs bis zum ende pilgern. viele planen nur 1 etappe, vielleicht auch 2. die meisten nehmen den weg von nikkaluokta über kebnekaise nach abisko. ich werde den gruppen reihenweise entgegenlaufen, manchmal werde ich einige minuten vor den einzigen 2 bohlen im moor warten, bis die gruppe im entenmarsch an mir vorbei ist. oft werden sie geführt, sie haben sich, wie ich beim 1. mal, abgegeben an jemanden – in ihrem fall jedoch an 1, d. sich (wirklich) auskennt.

vielleicht wäre ich nie auf den kungsleden gekommen, hätte g. ihn damals nicht für uns geplant. es war sein traum plan. ich wäre vielleicht auch gar nicht nach schweden gefahren, aber seit ich das 1. mal hier war, wollte ich wieder zurück, wieder die menschen treffen, die so zurückhaltend bleiben, um jeden*jedder seinen*ihren raum zu lassen + herzlich jederzeit helfen, wenn etwas ist. ich habe die sprache gelernt, weil ich mich nicht nur als touristin fühlen will. wer die sprache beherrscht, ist gleich ein bisschen wie daheim.

I’m on my a way

(c) kaschpar

die 1. tour der 1. etappe ist wie 1 probe: wenns nicht klappt bis abiskojaure, kann ich gleich wieder zurück. also bin ich frohgemut, weil alles ist offen. nur die gespeicherte strecke auf der gps-uhr versagt prompt zu beginn, weil entweder alte streckenabschnitte gespeichert sind, die durch neue umwege ersetzt wurden oder aus versehen der winterweg verzeichnet ist, der durch rote kreuze markiert weithin sichtbar, jedoch oft durch offene weiten + manchmal über die seen läuft, die im winter gefroren.

am besten bleibt man aufm weg mit den roten punkten, die so gut ausgeschildert, dass ich die meiste zeit gar keine kartenvergewisserung brauche. der kompass bleibt in der tasche, die schweren karten stecken fest gefaltet in der hose, die apps schaue ich erst an, als ich plötzlich, schon im togo-modus, aufm winterweg lande, auf dass ich zurück auf die schöne strecke komme.

tour_ist*in

die großen klippen am rande des reißenden flusses haben gestern schon versprochen, dass diese reise wie keine andere wird: ich muss nicht nochmal um 3 häuserblocks rum, um draußen zu sein. selbst das abisko-hostel, das keine wünsche offen lässt + morgens mit warmem gröt med lingonsylt (haferbrei mit preißelbeermarmelade) die wander*innenseelen wärmt, ist mitten ins nichts getürmt. ich stelle mir vor, wie die 1. leute hier ankamen mitten im sommer + sich neben der erzgrube fragten, was man hier überhaupt sonst noch machen könnte, bis eine*r auf die idee kam: „wandern! skifahren! tourismus!“

es gibt hier wenig außer touristischer infrastruktur + ursprünglicher sámi-familien mit rentierzucht. jäger*innen gibts noch. und im winter neben eisbaden nordlichter schauen. fischen natürlich von frühbisspät. in vuonatjviken werde ich auf 1 sámi-familie stoßen, die sich 1 lokales fischimperium aufgebaut hat mit boottransport+helikopterflug zu den besten fischgründen. die sámi betreiben auch viele der bootstransfers + es ist schwer vorstellbar, wie sie den ganzen sommer über, der nur 2 monate dauert, von morgensbisabends tourist*innen kutschieren.

expresssommer

die sonne strahlt heiß + ich habe zu viel + zu warme kleidung dabei, das meiste wie z.b. die 3 jacken (fleece, vegandown, regen/alletage) trage ich aufm rücken. 1 tshirt reicht. gut wäre auch 1 kurze hose gewesen, aber aus angst vor den mücken habe ich nur die 3/4 merinohose eingepackt zum wechseln – genau da werden sie allerdings alle hindurchstechen.

der sommer ist so kurz, dass die natur sich beeilt, alles mit rundumdieuhr-licht auf die schnelle hinzukriegen: wachstum, vermehrung, tod. alles flimmert+schwirrt wie in ekstase tag+nacht, die sonne geht nicht mehr unter. ich wünsche mir, ich könnte 24 h am tag nur gehen, aber der körper sagt nein. es ist ein bisschen schade am ende des tages, selbst wenn man 6–8 stunden unterwegs war, dass man die ganze helle nicht besser nutzen kann als zum ausruhen. man wird ein bisschen verrückt.

über moos, moor + more

der weg nach abiskojaure ist abwechselnd 1 spießrutenlauf über tief in der erde wurzelnde felsbrocken + 1 spaziergang mit breiten bohlenwegen + geländer zum abstüRtzen. viele leute kommen hier auf tagesausflüge her + gehen 1 runde um den abiskojaure. die schneeschmelze ist noch im gange, daher schäumt der fluss + rauscht laut beständig wie die autobahnen, die in brandenburg meine wege begleiten.

neben der perfekten ausschilderung sind auch die wege durch myr+mosse + more (göl+kärr+tjärn+träsk)1 (moor+tümpel+sumpf+sumpf+moos) gut präpariert. wenn man schon keinen schotter aufhäufen + 1 spazierweg draus machen kann, kann man wenigstens mit den schneemobilen bohlen herbeischaffen, die mittlerweile in der 2. oder 3. generation übereinandergehauen sind. manche wurden nur schon mal hergeschleift+abgeworfen, noch nicht verbaut.

allefrusrätten

zelten kann man nach dem allemansrätten (jedermannsrecht) überall für 1 tag in der wildnis. die stugas verlangen 200 kronen fürs zelt + benutzen von spis (herd), (ute)dass (draußen-toiletten) + (falls vorhanden) bastu (sauna). viele schwed*innen wachsen mit dem fjäll auf: draußen auf sich gestellt sein, bei jedem wetter rausgehen + überall feuer machen können, ohne was anzuzündeln. den müll wieder mitnehmen. überall schimmert die selbstverantwortung durch + 1 gemeinschaftsgefühl, dass auf gegenseitigem respekt+an/abstand beruht. es gibt viel land für wenig menschen. dabei lebt 90% der bevölkerung im untersten süden, wos auch mal länger hell+warm bleibt.

nicht weit von abisko haben manche gleich neben dem weg ihr zelt aufgeschlagen, aber sie erinnern mich weniger an die reisegefährt*innen, die hier unterwegs sind, als an die aussteiger*innen damals am strand irgendwo in der pampa in spanien, welche leben nach ihrer fasson.

ich stelle mir vor, wies in deutschland wäre, 1 allemansrätten zu haben. wie betrunkene großstädter*innen als camper*innen nachts grölend durch die brandenburger wälder ziehen + holz fürs lagerfeuer sammeln. 1 großteil der kungsleden-gänger*innen kommt aus deutschland. wenn mir schwed*innen begegnen, bin ich ganz gerührt, sie aber nicken: ja, viele deutsche hier. ich komme mir vor wie 1 eindringling + gebe zu: 80 millionen deutsche (aktuell 84,4), die müssen irgendwohin im urlaub. die 9 millionen schwed*innen ziehen die augenbrauen hoch + ich muss aufpassen, dass mein witz nicht zu ernst genommen wird. es ist ein wenig, als hätten wir früher die welt mit kriegen versucht zu erobern, jetzt haben wir uns so vermehrt + immer mehr geld aufm konto angehäuft, dass wir die nachbarländer als urlauber*innen überrennen. auch von demher ists schön, den schwed*innen sagen zu können: ja, jag vet. förlåt! (ja, ich weiß, sorry.)

schwein_furt

es gibt hier so viele flüsse+bäche+seen, dass man sich schwer vorstellen kann, wies vor der eisenbrückenzeit war. man siehts aber an den überbleibseln von alten, morschen holzstegen + der einführung ins furten im reiseführer, welchen begriff ich erst im nach_gang mit diesem podcast als bestandteil auch von deutschen ortsnamen erkenne (und anhöre, obwohl ich mit diesem moderator sonst nichts anfangen kann).

(c) kaschpar

wenn ich jetzt noch die flachen strudel mittels steinzustein überhüpfe, werde ich am ende durchs tiefe tal, wo die schneeschmelze bis zum wintereinbruch nicht aufhört, keinen schuh mehr heben für 1 fließendes gewässer. ich werde mich freuen + beim durchschlurfen die kaputte plantarfaszie im eisschmelz kühlen.

wo 1 furt mehr als nasse füße machen würde wie z.b. die gefahr des davongespültwerdens hervorrufen könnte, hängen jetzt riesige metallbrücken von schweren ketten, die an seilen+pfeilen befestigt in den stein geschlagen. selbst langsames schreiten bringt die konstruktionen so in schwung, dass sie den mageninhalt aufwühlen.

cool!

nach nur wenigen stunden, weil ich auch kaum pausen mache, lasse ich den rucksack liegen + schwinge schon erleichtert über die hängebrücke zur abiskojaurestuga. 1 frau sitzt draußen in der sonne + liest. als sie aufsieht, spreche ich sie auf schwedisch an, ob sie die hüttenwirtin sei + der shop aufhabe. hauptsache, ich kann was kompensieren kaufen. im heißesten juni, der jemals gemessen wurde, läuft der gaskühlschrank auf hochtouren, der das dosenbier in hektolitern fasst. es ist noch anfang der saison, aber an den gestapelten paletten ringsum kann man absehen, was in den nächsten 2 monaten los sein wird.

ich kaufe zum bier, das im schwedischen passenderweise öl heißt, das die kehle uns alkis wie ebendieses sanft hinabfließt, speiseröhrenschreddernde spitzscharfkantige salznüsse weil ich denke, dass sie besser sind für den magen als chips + plaudere kurz übers wetter + über kebnekaise. als sie mich fragt, wo ich übernachten wolle, habe ich kurz das gefühl, sie möchte herausfinden, ob ich mich unsachgemäß ins naturschutzgebiet zu legen gewillt sei, auf das sie mich hinweist. kurz hinter der nsg-grenze ist aber 1 brücke mit utedass, wo 1 guter zeltplatz sein soll – es ist 1 mischung aus sicherheit (offiziell ausgewiesen) + freier natur. sie findet, das sei 1 gute idee.

how to pitch a tent

ich passiere noch 1 rentierzaun + komme nach 1 beredskapsminne, die ich erst jetzt beim schreiben lese, kurze zeit später schon am platz an.

Beredskapsminne 
Abiskojaure (Abiskujávri)
Im Morgengrauen des 9. April 1940 griff Deutschland Narvik an. Generalmajor Douglas befahl den Bewachungstruppen, die in der Nähe von Gällivare waren, sich sofort nach Riksgränsen zu begeben. Um die Erzbahn zu schützen, gruppierte man schnell an jeder Eisenbahnbrücke zehn Mann vom Landsturm. Am 10. April traf das Ski-Bataillon von der finnischen Grenze ein und kurz darauf ein Bataillon von 14 von ihrem Winterübungsplatz bei Råneå.
Während des zweiten Weltkrieges wurden innerhalb der Gemeinde Kiruna eine grosse Anzahl Befestigungen gebaut, um einem eventuellen Anfall der Deutschen von der norwegischen Grenze vorzubeugen. Entlang der Erzbahn entstanden mehrere Verteidigungslinien. Während der Jahre 2003-2005 wurde ein Abbau der Anlagen in Gang gesetzt, wobei für historisch Interessierte bestimmte Denkmäler bewahrt wurden.
Eine kleinere Verteidigungsgruppe wurde in der STF-Hütte am Abiskojaure einquartiert, um Angriffen auf die Erzbahn entgegenzutreten. Südlich des Sees wurden Schutzräume und Mauern gebaut. Truppen hatten u.a. die Aufgabe, die Gegend Richtung Unna Allakas zu bewahren, da man vom norwegischen Fjellbo feindliche Angriffe erwarten konnte. Ein möglichter Einfallsweg war auch längs Håikamajokk von Hundalen.
Die Verteidigung am Abiskojaure bestand aus einem größeren und meheren kleineren Schutzräumen, zwei Maschinengewehren, einem leichten Maschinengewehr und einem Granatwerfer. Die etwa 20 Mann starke Gruppe hatte einerseits Wachdienst, andererseits Erkundigungsaufträge in den
Tälern.
Als Transportweg benutzte man Teile des alten Grubenweges zwischen Abisko und Sjangeli. Der Aufseher im Nationalpark „Park-Nisse" Johan Nilsson half beim Bau und bekam dafür Holzmaterial, aus dem er sich ein kleines Haus an der südlichen Parkgrenze baute.
Man kann auch heute den großen Schutzraum besuchen.
Quelle: Schild FORTIFIKATIONSVERKET

bis auf die touris in abisko, die zeltlager*innen daneben + die frau in der stuga habe ich kaum jemanden getroffen aufm gesamten weg. auch hier gibt es noch zahlreiche gute plätze + nur 1 mann, den ich in den nächsten tagen noch häufiger treffe, weil wir dieselbe losgehenszeit haben: 5 uhr früh.

für den zeltaufbau rekapituliere ich die weisheiten übers lagern in freier wildnis aus den lektüren:

(c) kaschpar
  • in wassernähe wegen trinkwasser, aber
  • nicht zu nah am wasser wegen kälte
  • weiter oben ists wärmer
  • von büschen eingesäumt ist guter windschutz
  • auf die ebene achten wegen regen: keine mulde!

ich denke, dass ich den besten platz gefunden habe + lerne später, was man noch alles besser machen kann:

  • je weiter unten im gelände, desto mehr mücken + wenn man pech hat (wie hier) auch bremsen!
  • ausgetretene trampelpfade bedeuten, da war mal jemand unterwegs (und kommt vielleicht nachts wieder)
  • es gibt 1 guten grund, warum die klos meist recht weit vom lagerplatz entfernt sind (geruch+fliegen)

stand by

obwohls noch früh ist, kann ich nicht viel mehr machen, außer mein lager herrichten + mich versorgen. ich muss das zelt aufbauen (klappt), wasser holen am fluss (vorsicht, nicht stolpern ohne kontaktlinsen), mich waschen (oh kalt!), die wäsche waschen (reicht morgen, nur lüften), die suppe kochen (ok), ruhen.

ich liege im hellen im zelt + lausche den geräuschen, die hitze dringt durch die hellen zeltwände wie 1 zähflüssige schmiere, die mich von unten bis oben einölt. ich schlafe schnell ein + wie tag+nacht fließen traum+wach ineinander bis ich hochschrecke – draußen ists hell! wie spät ists schon? aha, 22 uhr. derselbe tag.

der handyakku steht noch auf über 90%, weil ich im flugmodus unterwegs bin + kaum fotos gemacht habe. wo ich sonst alle 2 tage nachlade + beim kauf des neuen handys befürchtete, es wäre keine akkuverbesserung gewesen, muss ich erstaunt feststellen, dass der grundumsatz für die elektrik selbst sehr gering ist.

ich lese nichts, höre nichts, suche nichts, schreibe nichts. ich tue nichts, was man mitm handy tun kann außer die strecke überprüfen + fotografieren, selten 1 sprachaufnahme oder ganz selten: 1 video. mit der großen powerbank im rucksack kann ich dann morgen auch mal 2-3 mal mehr aufn auslöser drücken. später werde ich sogar mal den empfang einschalten + aufm berg 1 nachricht versenden. und zuletzt werde ich das handy im dauerbetrieb haben als kompagnon, der mich das letzte stück trägt.

vor+rück+umsicht

als ich später rausgehe, stelle ich noch 1 weiteren tipp für den zeltaufbau fest, den ich bisher nicht berücksichtigt habe:

  • wenn du nur 1 kleines 1-person-zelt hast, nimm nicht den größten zeltplatz für 4–5 leute

und morgen früh bzw. in 2–3 tagen, wenn ich sie suche:

  • wenn du 1 wäscheleine aufhängst, vergiss nicht, sie am nächsten tag wieder mitzunehmen
  • überhaupt: schau auf, dass du alles wieder einpackst, was du ausm rucksack geholt
(c) kaschpar

mitten in der nacht dreht motorenlärm auf + rauscht direkt an meinem zelt vorbei, es wackelt + springt, dass ich auffahre + lausche + für 1 moment nicht weiß, obs klug ist, nachzusehen, was ist oder ob ich lieber liegenbleiben soll. ich kann aber nicht anders, die wut treibt mich raus + ich sehe 1 mopedfahrer keine 20 m weiter am ende des trampelpfades, der an meinem zelt vorbeiläuft, an 1 steineren stufe hängend hoch+runterrollen. wieder weiß ich nicht, obs klüger ist, ihm nachzulaufen + ihn zu schelten, ob ich ihm laut was schlimmes nachrufen soll oder mitm bösen blick des vaters bewaffnet ihm den fluch meiner genetisch deprivierten+deprimierten generationen anheften soll.

ich bleibe bei letzterem, schon mit 1 rest von mitleid, weil das moped absäuft + der fahrer schon fast verzweifelt versucht, davonzukommen. er schaffts auch + fährt im schneckentempo über die hängebrücke + dahinter den berg hinauf, während wir, die umstehenden zeltlagernden wie ich, ihm noch einige zeit kopfschüttelnd nachsehen. wahrscheinlich, denke ich, ist er daheim hier + regt sich regelmäßig auf über all die tourist*innen, die überall hier ihre zelte aufschlagen. ich beruhige das laue flaue gefühl im magen mit 1 stück schokolade + lege mich wieder hin. was soll schon passieren?


  1. nicht zu verwechseln:
    – kär + kärr = lieb/verliebt + sumpf
    – mosse + mossa + mössa = moor + moos + mütze ↩︎

god tur!

viel glück! („gute tour“)