runde um gransee
runde um gransee, 9 km
2023/09
mit gransee, stadtmauer, kuno, st. marien-kirche, ruppiner tor, wachturm, laufpark stechlin
was bleibt:
- das aufstehen um 3:17 uhr + schlummer, um das päckchen noch zu packen, das ich gestern aus müdigkeit/faulheit oder erschöpfung nicht mehr geschafft habe – und in dieser beschreibung liegt schon die ganze sozialisiation verborgen in der erinnerung an die mutter, wie sie todmüde von der gastwirtschaft auf dem sofa im wohnzimmer weint, weil sie es nicht in die karsamstagsmesse zum segnen des osterfrühstücks schafft + wies ihr nicht hilft, als ich sie trösten will: das würde doch keine*r merken, ob das gesegnet sei oder nicht (gehen tu auch ich nicht)
- der zugausfall wegen personalausfalls, was wir erst kurz vor 5 beim umsteigen merken + die umplanung der tour: statt nieplitzquelle in treuenbrietzen mit der stele im wald, die wir zu kennen glauben, aber keine aufzeichnung davon besitzen – als obs 1 lücke im kartengedächtnis wäre, die das gesamtwerk zum einsturz bringen kann wie der verschenkte 5. band des bernhardsgesamtwerks, den wir uns wieder beschaffen mussten, bevor wir anfingen, die gelesenen bände zu verkaufen, weil frasier in konfrontation mit dem zwanghaften sammler auch die lücke in seiner tape-kollektion offen lässt – nun weiter im laufpark stechlin ab gransee
- die panikattacke, als wir gesundbrunnen denken, wir wären in die falsche richtung gefahren + hätten die sbahn verpasst nach oranienburg zum r5, der gerade wegen bauarbeiten nicht in die stadt hineinfährt + das abprallenlassen 1 fremden frau, die nach dem weg nach spandau fragt, was uns sogleich leid tut, als wir auf 1 schild, unter dem wir hinweghetzen, bln-spandau lesen, was wir ihr noch zurufen, bevor wir nach erreichen des gleises + des checkens der verbindung erleichtert feststellen: wir haben alles richtig gemacht + noch 10 min. zeit vor abfahrt
- die jugendlichen in der sbahn, die hinten auf der ablage sitzen+liegen, obwohls genug freie plätze gibt, und wie wir, obwohl wir die sprache nicht erkennen können, uns wünschen, es wäre 1 art kleinebisgroße selbstermächtigung junger geflüchteter ukrainer*innen in 1 ohnmächtigen zeit
- die erinnerung an die alte frau auf dem bahnsteig, die mit ihrem mann händchen hielt, beide in ausgehuniform, er, die weißen flusensträhnen mit pommade nach hinten gekämmt, in verblichenem, schief hängendem karojackett + zu weiten bundfaltenhosen, sie wie 1 kleiderschrank, den ihr spitz-bh aufstellt, mit lackierten zehennägeln in keilsandaletten + 1 festgesprayten dünnhaarhelmfrisur, die mittig luftballonknallrot gefärbt von seitlichen schwarzen zacken eingerahmt wird – und die frage, wer ihr*e friseur*in sein mag + über was sie sprechen beim frisieren
- die tauben finger beim halten des buches zum lesen + das einsetzen der kopfhörer, als wir die genervtheit des mannes, der mit seinen beiden kindern an die ostsee fährt, nicht mehr hören können
- der nebel überm fließgrabenland, der trotz des 2. oder 3. sommers dieses jahres den herbst ankündigt, weshalb wir beim aussteigen, wos überraschend frisch, das dünne fließjäckchen anlassen, das uns durch schweden gebracht hat + 1 buff übern kopf ziehen, womit wir alles langärmlige+warme anhaben, was wir mitgebracht (der vollgestopfte rucksack mit dem riesenhandtuch für die sauna später: das müssen wir brauchen, wir wollen doch nichts umsonst mitschleppen)
- der vogelbauer im park mit dem frischen gelben kanariküken, das noch nicht weiß, was ihm hier blüht + die sittsamen sittiche auf ihren zweigen mit den aufgespießten abgeknabberten äpfeln: 1 käfigleben
- die trauerarbeit, die wir seit jahren verrichten, um all das, was wir nicht mehr können, zu verdauen + wie wir jedesmal wieder dran scheitern, weil wirs nicht wahrhaben wollen, das wir nicht mehr laufen können – und wie wir uns jetzt wünschten, wir hättens geschafft (wieder: geschafft), weils jetzt so aussieht, als ob wir nicht mal mehr gehen können: trauer trauma trautmannshofen – wie viele km/stunden müssen wir uns bewegen draußen, um die gps-karte mit farbigen linien zu durchkreuzen, die uns lang genug erscheinen, um erfüllt zu sein? und was könnte es stattdessen geben?
- das leere gefühl im magen, der gewöhnlich in der grimmigen personifikation erscheint, weil er knurrt, brummt oder grummelt – und das u in all diesen beschreibungen
- das frühstück mit dem togoodtogo müsli, das wir gestern beim koro-laden abholten, wo 2 hipster das mädchen, das den boden wischte, bequatschten + lachten: togoodtogo?!, “oben” am wart-berg am wachturm, auf den man nicht raufkommt, weil er 1 denkmal, wo wir den heiß pochenden linken fuß ausstrecken + den abbruch der tour beschließen, die wir noch 5 mal geändert, um auch nichts doppelt zu gehen richtung lindow (obwohls so schön wär rund ums “malerische meseberg”)
- das aufstützen auf die stöcke + das meditative hineinhorchen in den brennenden plantarfasziitisschmerz + die erinnerung an die letzten tage aufm kungsleden, wo längst klar war, dass uns das mit etwas pech chronisch bleibt: non, je ne regrette rien – und die frage, ob wir wie édith piaf, walter benjamin, sigmund freud u.s.v.a. auch einst zum morphium greifen müssen, das der vater im endstadium seines vermutlich medikamenteninduzierten nierenkrebses über 1 druckknopf selbst dosieren konnte, wovon er reichlich gebrauch machte: das hab ich mir verdient
- die erinnerung, wie der vater mit den großen plastiktüten aus dem apothekeneinkauf kam + den großen schub der vitrine mit weiteren päckchen + blistern füllte, wie er sich noch 1 insulinspritze setzte, wenn er noch 1 marmeladenbrot aß, wie die mutter noch 1 magentablette nimmt vor der torte oder 1 aspirin nach dem aufstehen, damit die glieder rollen, wie ich den widerstand gegen die cholesterinhemmer künstlich aufbaue, um die kette zu durchbrechen, als ob ich nicht längst eingehakt mit meinem whiskey am abend zur zigarette, was ich mir als genuss verkaufe, damit ich nicht nachdenke darüber, was wäre, wenn ichs nicht täte
- das zweitfrühstück, das ich mir nicht verdient, auf der bank an der bushaltestelle, wo ich eigentlich erst nur kurz sitzen + was trinken wollte, mir aber beim rucksacköffnen das schlemmerbrot in die quere kommt, das ich verschlinge, während ich feststelle, dass der mohver nach 90-minütiger vorbestellung nur mo-fr fährt
- die 2 möglichkeiten für die rückfahrt: a) sofort zum bahnhof über die südtangente/kurve/mauer mit dem zug um 10:25 uhr oder das bummeln über das franziskanerkloster + die nordtangente zum zug 1 std. später + die entscheidung für das sofort mit anschließendem fitnessstudiobesuch, wo wir eigentlich nur schwimmen wollen wegen der hitze + der müdigkeit, aber 1 nicht im app-kursplan verzeichnete externe kinderschwimmgruppe das becken blockiert, weshalb wir 1 lust+kraftlose geräterunde drehen, wo jeder krafttest uns 1 schwächere konstitution als vor 2 wochen bescheinigt
- die frau auf dem elektrischen seniorenmobil, die mir in der engen stadtmauerpassage entgegentuckert, weshalb ich aufs kopfsteinpflaster ausweiche, während ich weiter angestrengt die geschwindigkeit zu erhumpeln versuche, die ich brauche, um den zug zu erwischen + wie sie stehenbleibt plötzlich an 1 einbuchtung, bis ich vorbei + das gefühl zurückbleibt mit ihrem harten gesicht, dass ich jetzt hätte zurück aufs pflaster gehen sollen, wo sie extra platz gemacht hat + die erinnerung an den kollegen, bei dem jede dankende wertschätzung für 1 vergangene tätigkeit wie 1 zukünftig zu erfüllende aufgabe erscheint: danke, jetzt musst du aber zeigen, dass du das wert bist (+ der anflug von verstehen des konzepts “bedinungsloser liebe”, was nichts im arbeitskontext verloren hat)
- die schwimmrunde am ende im bad, die nicht gehetzt wie am vortag, wo wir, weil wir so sind: warteten, bis 1 platz im becken frei wurde, woraufhin wir nach 5 min. gefragt wurden, ob wir auch zirkel schwimmen würden, weshalb wir, anstatt zu sagen: nein, das hier ist die sportbahn, sagen: yes, I go out + das becken verlassen + die 5-10 min. saunaeinheiten jeweils danach, wo wir etwas runterkommen von diesen emotionen + die frage, ob wir nur warten, weil wirs so gelernt, aber eigentlich in uns auch gern die frau wären, die einfach hingeht + fragt, ob sie mitschwimmen kann, anstatt ängstlich am beckenrand zu sitzen, dass jemand ihrem platz in der warteschlange, die nicht offensichtlich, wenn man sich auf den liegen räkelt, zuvorkommt (das nervöse spielen mit der schwimmbrille in den händen nach dem übersprungsaufspringen zwischendurch mit dem ziellosen wandeln zwischen den umkleideräumen, weil man die tasche mit allem hat liegen lassen + das verschämte zurückkehren)
- der schlaf, der wohl verdient + die lebenskoordinatenworte: schaffen – genießen, scheitern – büßen
- der sänger in der u-bahn abends auf dem weg zur ratchetparty, wo der
kollegefreund auflegt, + ich nach 1 schmerzmittel 4 stunden = 4 pils die nacht durchtanze, was erstaunlicherweise ganz gut geht – besser als gehen – der in der vollbesetzten bahn unerwartet 1 arie schmettert, die – 1 seltenheit – von vielen honoriert wird, + die wir noch am nächsten tage nach 4 std. clubsound im ohr haben, deren namen wir mittels youtuben der ganzen berühmten opernarien erfolglos so lange suchen, bis wir merken, dass uns die melodie mit all den anderen tönen im ohr plötzlich entfallen ist