st. olavsleden 2022 (tvärtom) – epilog

st. olavsleden

trondheim – sundsvall, 650 km

epilog

ich befrage d. internetdoktor*in nach den roten brennenden flecken auf meiner zunge. sind es anzeichen 1 effekts oder ists sress oder schlafmangel? passt alles, sagt die hüfte.

ich bin etwas verloren ohne den plan weiterzugehen. ich mache nur pro forma ein paar standübungen + gehe zum frühstück früher als geplant, weil ich glaube, verstanden zu haben, statt um 9:00 erst um 9:30 uhr gehen zu sollen, weil es sehr voll sein könnte. um 8:00 uhr ist auch alles belegt. 

ich esse+esse + der tellerberg würde wachsen, wenn nicht ab+an jemand vorbeikäme, das geschirr abzuräumen. ich muss den tisch nochmal wechseln, weil 1 familie neben mir, die ihr kind 1 computerspiel auf dem handy üben lässt, das kann ich leider nicht gerade. oder überhaupt. die nachrichten über leichen muss ich ausschalten. fin de siecle. wir drängen+laben uns alle am wahnsinnsbuffet, während die welt da draußen untergeht. ich will nicht zurück. ich will weitergehen. 

der körper freut sich, dass wir 1 pause machen. er reinigt sich gründlich. ich mache 1 stadtspaziergang, weil ich beschlossen habe, dass 1/2 stunde hin+zurück zum einkaufszentrum, wos salomon-schuhe gäbe, übertrieben wäre. die alten sind zwar jetzt wirklich durchgelaufen, aber bis nach hause halten sie noch. sie werden sogar noch 1 kurze tour mitmachen, bevor sie in brandenburg im mülleimer landen. 

die rentenversicherung hat das übergangsgeld für die 1 woche reha überwiesen; das komplette geld + noch mehr werde ich kurz darauf wieder für das tagegeld der 7 wochen reha zurücküberweisen. mein widerspruch wegen kosenminderung wird nicht durchgehen. entweder ich hab mich verrechnet oder ich war zu spät dran. ich checks einfach nicht. wozu all das studium, wenn man keinen amtsbrief lesen kann? (auch gar keine lust.)

ich weiß nicht, wohin

die kirche ist verschlossen. es gibt kein sportgeschäft. alle geschäfte sind zu so früh. um 1 einkaufszentrum schleiche ich bis zur öffnung rum, dann gehe ich rein + wieder raus. auf dem torget 1 statue von „stadens grundläggare„, ich muss gustav ii adolf erst im internet nachschauen, er war zur zeit der gründung im krieg in russland + johan skytte musste unterschreiben, bekam aber keine statue. unter gIIa steht: „vi är stolta över år historia, men mest av allt nyfikna på vad som kommer härnäst“ – wir sind stolz auf unsere geschichte, aber vor allem neugierig, was hierauf folgt. ich auch. kaffe&bulle.

in 1 parkanlage gibt es 1 springklanginstallation, wo kinder gestern spielten. sie wurde in germany hergestellt + ich hüpfe darauf herum, ohne 1 rechte melodie zusammenzukriegen. als ich hochschaue, sehe ich 2 mädchen warten, dass ich fertig werde. 

vor 1 geschäft steht 1 mann an 1 der ortsüblichen drachen. er lacht mich an + ich weiß nicht, ob er da sauber macht oder geld sammelt oder rumsteht. ich kann gar nicht drauf eingehen. ich würde gerne weinen, weil abschied + alles vorbei ist, abers geht noch nicht. 

auf dem rückweg ins hotel gehe ich vorm bürgersteig, um 1 frau mit krücken den weg freizumachen. als ich hochsehe, trifft mich ihr blick im schaufenster, sie lächelt + nickt mir zu. das ist doch selbstverständlich, nicke ich zurück. 

vielleicht muss ich noch 1 zeitlang schreiben. mindestens, bis ich zurück in berlin bin. vielleicht auch länger. stattdessen werde ich nach ockelbo fahren + mir 1 netflix-abo holen. alles wird erstmal wieder anders. 

jag är ledsen

mit anne brontës wildfell hall bin ich noch ein paar stunden aufgehoben. mindestens für den weg nach ockelbo.

am bahnhof in sundsvall gibts 1 kurzfristigen gleiswechsel. ich steige trotzdem ein + sitze schon im zug, da läuft jemand hinter mir her, der schaffner holt mich wieder raus. es tut mir so leid, dass ich nicht aufgepasst habe. in gävle muss ich umsteigen, aber es gibt ersättningstrafik. ich warte an der bushaltestelle, bis die abfahrtszeit vorbei ist, bevor ich 2 frauen anspreche, die mir erklären, dass mein ersatzbus woanders abfährt. ich schreibe marika, dass ich später komme, sie fragt, ob sie mich vom bahnhof abholen soll: ja, gerne, tack tack!

ich überbrücke die 2 stunden wieder mit 1 stadtbummel + schieße fotos vom kasper, aber ich gehöre nicht richtig hierher. ich hätte hier nur umsteigen sollen + weiß nicht richtig, wo ich mich aufhalten soll. zurück am bahnhof brauche ich meine kreditkarte, um aufs klo gehen zu können. das mädchen, dem ich die tür aufhalte, damit sie so rein kann, lächelt.

schokolade chips lakritz

bahnhofsfood. ich kaufe 1 sandwich bei subway, das mädchen, das dort verkauft, fragt mich, woher ich komme. ich versuche mein bestes mit der schwedischen bestellung, sie hat verständnis. vielleicht musste sie auch 1x diese sprache lernen. 

2x im zug + 1x auf dem bahnsteig frage ich, ob es der richtige zug nach ockelbo ist. what+where the fuck is ockelbo? ich muss mich beruhigen. marika holt mich ab + bewundert mein schriftschwedisch. ich enttäusche sie mit dem dictionary. am nächsten tag gibts frühstück im hotel weiter oben im garten, danach macht sies. ich höre podcasts zum wurm als des wattes schlüsselfigur + kaufe das netflixabo, dann verschwinde ich in 1 fremden welt. ich tauche morgens zum frühstück auf + plaudere mit marika. ab dem 3. tag verbessert sie mein schwedisch. ich buche noch 1 nacht hinzu, auch wenn ich die dusche nicht richtig heiß kriege + auch nicht fragen kann, warum – nicht, nachdem ich 3 tage lang lauwarm geduscht + nichts gesagt + 1 nacht mehr gebucht habe. sie erzählt mir davon, wie sie von corona im aufbau des hotels überrascht worden sind + daher nur die hälfte fertiggestellt haben. sie hat schon mal jemandem geholfen, hierher zu ziehen. 

ich sehe mich im trädgården um + sitze im leeren häuschen von fröken frisk, wo infos zur naturheilkunde ausgestellt sind. marika sagt, es sei 1 freundin von ihr, sie hätte krebs nur mit kräutern besiegt. wir verstehen uns gut, auch, was unsere meinung von der heilkraft der natur anbelangt, aber ich kann ihr nicht sagen, dass man hiv nicht mit kräutern besiegen kann. zumindest sage ich, dass man nicht alles alternativ behandeln könne. wir sprechen über meine arbeit + mir fällt wieder auf, dass ich immer kurz davor bin, von meiner eigenen infektion zu reden, wenn die leute darauf abwinkend reagieren: das haben wir hier nicht, das spielt doch keine rolle mehr, die meisten kommen von woanders her. 

ich bleibe 1 tag im bett + schäme mich, davon zu erzählen, als wäre es 1 verlorener tag – jetzt, wo ich in schweden bin! im hotel! dass ich die letzten 30 tage toujours unterwegs war, spielt ja keine rolle. am nächsten gehe ich gleich wieder raus zum supermarkt. am 3. gehe ich 1 ganze runde bei schönstem sonnenschein. man kann den regen auch mal drinnen abwarten. es wird auch wieder schön danach.

ich verliere die notiz mit den lustigen schwedischen sätzen wie dem aus den fjällräven infoseiten zum kungsleden übers zelten: wenn eine*m kalt sei, soll man einfach noch ein bisschen ums zelt joggen. jetzt wo ich dauernd in herbergen + hotels übernachtet habe, habe ich gar keine lust mehr aufs zelt. aber muss ich den weg, den ich ausgelassen habe, denn nicht noch gehen?

als ich mich von marika verabschiede, ist es, als würde ich von 1 freundin fortgehen. wir haben jeden tag zusammen gefrühstückt. 1 tag bin ich nicht aus dem haus + ich habe mich geschämt, es ihr zu sagen: als hätte ich 1 tag in schweden verloren. dass ich die letzten 30 tage toujours unterwegs war, spielt ja keine rolle. 

am bahnhof frage ich jugendliche, was das bedeute: hela tåget är obokad. sie fragen, ob ich englisch könne, ich sage: yes + sie erklären mir, dass es nicht heißt, dass der zug nicht fährt, also abgebucht sei, sondern es kein reservierung benötige. kein restaurant gibts auch nicht. 

„du är lite specielt“

in stockholm mache ich 1 kurze tour + sitze viel in cafés. ich schieße 1 foto von blauem himmel mit gelben kränen, auf 1 fährt 1 lächelndes mädchen mit blonden haaren + blauer jacke vorbei, der inbegriff des schwedischen traums in blau-gelb: schau, wie schön, ich lächle auch bei kaltem gegenwind auf dem fahrrad, weil die sonne scheint + ich hier wohne.

am bahnhof spricht mich 1 frau an, die neben mir nach aufladesteckern sucht. ich verstehe ihr schwedisch kaum, sie hat 1 starken dialekt. sie erzählt mir von ihren kindern, dass sie in norwegen gelebt hat, wo sie jetzt hinfährt. sie fragt: „resar du ensam? har du ingen pojkvän?“ und als ich sage: ja, ich bin allein unterwegs + ich habe keinen freund + lache, meint sie: „du är lite specielt. du måste gå din egen väg“. ja, das muss ich. 

essen ist kein versagen sondern ernährung 

ich höre auf der heimreise podcastes wie über buchinger + das schleimfasten. über heautokratie, die herrschaft über sich selbst. über asthisthenis + die kyniker.

ich fahre mehr stunden zurück, als hinauf, gefühlt, der zug ist wieder komplett voll + ich bin ganz verspannt. in hamburg steigen wieder alle aus. kurz vor berlin schenke ich jemandem 1 maske.

als ich aus dem zug aussteige, kriege ich die krise. ich bin zurück. ich habe noch 2 wochen urlaub. ich habe kein sabbatical gemacht. ich habe keine lösung für mein leben. ich stehe wieder da, wo ich weggefahren bin. oder vielleicht nicht ganz. war tausende von km unterwegs. ich war weit weg. ich war auf dem weg. jetzt bin ich wieder hier. als ich weggefahren bin vor 3 monaten, war ich fertig mit dem leben. komplett k.o. jetzt bin ich wieder da. wenn mich leute fragen werden, wie es war, werde ich sagen:

ich habe mir 1 auszeit genommen. es war das beste, was ich in den letzten jahren gemacht habe. ich habe so viel gelernt. ich war so offen, so frei, so bei mir. ich habe gemerkt, wie es sein kann. wie ich sein kann. ohne druck+erwartung. und wie ich verantwortlich bin für die belastung, die ich mir zumute. für den druck, den ich mir selber mache. ich habe es in der hand. sobald ich zurück in berlin war, habe ich wieder zugemacht, weil ich hier kämpfen muss um meinen platz auf dem weg. weil ich hier die ellbogen brauche, um nicht von den anderen weggestoßen zu werden. die frage ist, was ich ändern muss in meinem leben, um dorthin zurückzukommen. 

ich möchte nicht mehr laufen auf meinem weg, ich möchte ruhig gehen, damit ich rechtzeitig die kurve, die kehre, die abbiegung sehe, wo mein schild mich auf den nächsten abschnitt weist. ich möchte zeit haben für 1 abstecher/umweg/pause. ich möchte runter von der hauptstraße, rauf auf den trail, den trampelpfad immergleicher singlebreite.

ich möchte nicht begegnungen ausweichen, aber aus dem weg gehen können, ohne was zu verlieren. ich möchte bei mir sein + nicht in den blicken+gesten der anderen. ich möchte mich spüren können + dem bedürfnis nachgehen, das sich im magen ausbreitet, ohnes mit zucker zu beruhigen. ich möchte die sicherheit, die in der zuversicht liegt, + mich einlassen können auf das, was vor mir steht. ich möchte loslassen können im moment, wo ich keinen halt mehr habe + nicht in panik verfallen, weils schmerzen könnte. ich möchte nachfragen + um was bitten können ohne die angst, 1 schuld nicht mehr abbezahlen zu können, + dankbar sein dürfen ohne not. ich möchte drauf vertrauen, dass noch was kommt, + es annehmen + gelassen bleiben, wenns anders ist, als. ich möchte mich kümmern um mich, ohne mir sorgen zu machen, + heilen in mir + mit mir. ich möchte warten können, wenn was noch nicht so weit, weil alles 1 prozess + den mut haben, zu gehen, wenns an der zeit.

ich weiß nicht, was wird + wies wird. aber ich habe mir 1 zukunft erlaufen. wie auch immer sie aussieht. es ist auch egal. es liegt alles in mir. es ist nicht so wichtig, was. es kommt darauf an, wie. + warum. 

und wenn ich immer nur ginge, wer verdachte es mir?