st. olavsleden 2022 (tvärtom) 11/27

st. olavsleden

trondheim – sundsvall, 650 km

tag 11: medstugan – tännforsen (31.8., 23,2 km)

huch! 

es ist plötzlich gefühlt arschkalt. während wir in deutschland in der sommerhitzewelle bei über 30 grad im rehazimmer im 2. stock die corona-qUaLrantäne aushielten + die ersten tage auf dem weg trotz regenvorhersage bei herrlichstem sonnenschein 1 nasensonnenbrand herumtrugen, wirkt die senkung des wetters auf 3 grad nachts plötzlich wie 1 ernüchterung. mit den sinkenden temperaturen aber erhoffen wir uns das klare kalte schöne strahlende sonnenwetter. heute noch nicht, aber. 

um 8:00 uhr klopfe ich an die familientür + frage lasses frau wegen bezahlung+transport zur medstugan. ich zahle 20 sek mehr, was 2 € sind – was für 1 trinkgeldniedergang – lasses frau sieht mich verwirrt an + versteht nicht, was ich damit will, aber ich nehme es nicht zurück. 

lasse ist schon unterwegs på jagten, daher fährt sie mich + fragt mich, woher ich so gut schwedisch spreche. haha. wir plaudern die paar minuten, es geht richtig gut. ich habe jetzt 1 antwort auf die frage, warum ich zurück will + sie versteht es: ich will nichts überspringen. inte hoppa över. da weiß ich noch nicht, dass es morgen ebenfalls auf dem highway, diesmal der e14, weitergehen wird, der mich die restlichen 300 km mehr oder weniger begleitet. ich denke noch, ich habe die hauptstraße nach heute hinter mir. 

sie erzählt, dass viele sommergäste aus deutschland+holland kommen, weniger autos jetzt fahren, weil die ferienhäusler*innen erst sonntag abends zurückkommen, viele hätten 1 sommerhaus in norwegen, men jag undrar varför? norge är så dyr!? sage es aber nicht, weil wir im gespräch weiter sind + ich jetzt was nicht mitgekriegt habe wegen 1 heli, da muss ich schon aussteigen. 

links unten im mundraum 1 schwellung – von der nussallergie? oder von 1 infekt? von den kratzwunden kaum spuren mehr, der sonnenbrand jetzt zwischen rot+rostbraun eingebrannt in die haut, die hexe zurückgelassen seit tagen nicht mehr auffindbar. 1 kleines zucken in der hüfte ab+an, aber sonst läuft sichs gut, der rucksack hat sich auch eingetragen + die schultern haben sich angepasst. 

vielleicht laufe ich schief, bei den kontrollbildern im spiegel neigt sich der rucksack stehts schräg um ein paar grad gegen die senkrechte, vielleicht ist es die hüfte, 1 zu langes bein, 1 krumme wirbelsäule oder 1 falsche einstellung. was solls, wir haben so viele stunden + tage in warte+sprechzimmern, metallröhren + auf massageliegen verbracht ohne ergebnis, dass es jetzt auch egal ist. wir (der körper + ich) halten schon durch.

über uns kreist 1 heli – das muss er sein, von der lasses frau gerade gesprochen hat, er sieht aber nicht nach krankentransport aus. entweder sind es waldarbeiter*innen oder er gehört zur jagd. vermutlich letzteres.

die gerade strecke kostet mehr kraft als das auf+ab der norwegischen bakker/hills. mehr gefühlswechsel + nicht/essen. sowie singen. weinen. die freundin 3x anrufen, die nicht antwortet. ich überlege, die schwester als 2. notfallkontakt einzuschalten + ihr zumindest die stationen mitzuteilen, wo ich grad bin. ich mache mir sorgen, aber soll nicht. ich soll mich auf meinen weg konzentrieren. 

linksrechts des highways spult sich das spinnerte landschafFtsbild ab. neben alten, bröckelnden brücken laufen wir auf dem neuen glatten asphalt über krachende flüsse, die hier 1x vor jahrhunderten 1 natürliche grenze markiert, die auf keiner landkarte steht. er gießt sich in 1 see, der am horizont von blauschimmernden bergen vom auslaufen bewahrt wird. 

ich verliere die trinkflasche + merke es – aber wann= wie lange ists her? gehe ich zurück? natürlich gehe ich zurück, ich könnte jederzeit 1 neue kaufen, aber ich weiß nicht, ob es jetzt auf dem kommenden abschnitt 1 quelle gibt, wo ich mir in die 2 anderen flaschden was nachfüllen kann. gefühlt laufe ich ewig zurück, während die autos an mir vorbeipreschen – so ist es also richtigrum. nach ein paar hundert meter liegt das blaue plastik kaum wahrnehmbar+unversehrt zu meinen füßen. danke! nicht lange später komme ich an 1 bank vorbei, die einwohner*innen im garten aufgestellt haben zusammen mit 1 kanister frischwasser. ich sage das dankgebet + falte die buddhahände, 1 verbeugung schadet nicht. nur buckeln darf man nicht.

livsnödvändighet

die karolinerkällan dagegen ist 1 nicht mehr zu findendes rinnsal beschrieben von verrosteten schildern: „att kunna tå friskt vatten att dricka när man befann sig på långfärd var en livsnödvändighet.“ (frisches wasser trinken zu können auf 1 langen reise war 1 lebensnotwendigkeit.) auf dem schild hält 1 gezeichnete hand 1 tasse in die höhe, wie ich sie daheim gelassen habe, weil sie 87 g, der grüne becher aber nur 27 g wiegt: lighterpack. so sind die talismenschen (pfeife, kugel, anker, lampe) mit 40 g gleich wieder drin.

karolinerkällan

quellen waren wichtig+wohlbekannt, es gibt zahlreiche sagen darüber, welche berühmten personen aus ihr tranken. z.b. könnten die schwedischen soldaten im herbst 1718 vorbeigekommen sein. sie waren gerade auf dem weg nach norwegen, um nach tröndelag zu gelangen, was misslyckades - und wenn die 10.000 soldaten hier versucht hätten, aus der quelle zu trinken, wäre es wohl auch missglückt, sagt die tafel. 

sogar die heilige birgitta soll hier getrunken haben auf ihrer pilgrimsreise nach trondheim - es sei gut vorstellbar, dass sie hier vorbeikam. wer weiß, ob nicht sogar eine*r von olavs leuten hier 1 schluck genommen habe im sommer 1030, oder sogar könig karl johan auf der einweihung des skalstugvägen 1835. 

kurz: man hat keine ahnung, was hier wirklich passiert ist + obs wasser gab, aber möglich ists + wenn nicht, haben die leute spätestens aus dem see bodsjönen klunk friskt vatten“ genommen.

jag är här. var är du?

anstatt noch 2 km straße weiterzulaufen, nehme ich nach tännforsen 1 abkürzung über 1 hügel unter stromleitungen durch + werde oben angekommen ganz ruhig. es herrscht viel verkehr auf dem vorplatz der anlage. 1 haufen leute sitzt auf bänken zusammen, laster stehen herum, wohnwagen haben sich elektrifiziert am servicehäuschen, besucher*innen des wasserfalls kreuzen quer. später erfahre ich, dass es 1 filmteam ist, das hier ronja rövardotter als serie verfilmt. 100 leute mischen hier mit. 

das café ist geschlossen + die hütte zu. ich hätte den türcode 1 tag früher besorgen sollen, stand im reiseführer, den ich heute morgen erst gelesen habe, wie ich jetzt jeden tag erst den weg auf dem weg lese. ich dachte: na gut, da kann ich das mit der zuversicht doch mal gleich anwenden: es wird schon klappen. und wenn nicht, schauen wir mal.

ich hab aber nicht damit gerechnet, dass es mich so aus der fassung hebt sprengt. 

ans telefon geht niemand ran. ich versuche es 2-3 mal, dann schlage ich mein lager vor der hütte auf, ziehe mich warm an. es wird schon gleich jemand kommen. ich könnte natürlich zum wasserfall runtergehen, aber das möchte ich wam: geduscht/gezogen/gegessen. ich schreibe noch 1 sms. vielleicht bin ich zu früh? niemand rechnet mit pilger*innen um 15 uhr. wahrscheinlich sind alle in åre, dem berühmten skiort, dem nächsten stopp. 

so oft haben leute mir auf der strecke von hier erzählt, zuletzt das mädchen vom fjäll, das so vom schönsten streckenabschnitt schwärmte. die leute seien toll, aber schwer zu erreichen. ich schreibe noch 1 mail. 1 weiterer wohnwagen schließt sich ans servicehäuschen an + ich inspiziere die umliegenden gebäude, während die filmcrew ihre abfahrt vorbereitet. das servicehäuschen ist offen, aber nur für gäste, drinnen ists warm. könnte ich hier notfalls schlafen?

avnjutar mina förmåninger

schließlich halte ichs nicht mehr aus + packe mein zeug, mache mich auf den 1 km rundweg zum wasserfall. das werde ich jetzt genießen. es ist 1 wundervolle anlage, zum späten nachmittag wenig besucht, 2 frauen balgen sich mit mir um die schönsten aussichtsplätze, wo man neben 1 paar spritzern 1 tolles foto schießen oder video drehen kann. erst als wir alle shots haben, grüßen wir uns flüchtig. 

auf dem goda hoppets bänkchen meditiere ich kurz + glaube dem weg 1 augenblick, dass er mich nicht im stich lassen wird. bis dahin habe ich alle optionen durchgespielt:

  • ich kann lars anrufen von gestern + fragen, ob die hütte für heute nochmal frei ist
  • in åre gibt es hotels, da würde ich hinkommen
    • 1 taxi bestellen
    • trampen
    • die filmleute fragen
  • im servicehäuschen schlafen
  • auf andere pilger*innen hoffen, die auch hier gebucht + den code besorgt haben

auf der guten hoffungsbank blase ich alle sorgen in den wind. ich lasse sie ziehen + denke an das fehlende urvertrauen. an menschen, die an fremde häuser klopfen. dann rufe ich noch 1x an. + noch 1x. noch 1x. 1x.

gegen 16 uhr erreiche ich jemanden. die besitzer*innen sind zuhause, sie wohnen überm café mit ausblick auf den tännforsen. achso? sie haben mein klingeln gehört, aber konnten nicht rangehen. vielleicht haben sie einfach 1 pause gebraucht. die erinnerung an die stete unruhe daheim, wo die wirtschaft im erdgeschoss, die wohn+schlaf+lebenszimmer im 1. stock, beim fernsehen/schreiben/schlafen/denken, dass plötzlich 1 motor aufheulend in die einfahrt kommt, 1 ruf erschallt, die türe klingelt: ob werk/feier/ruhetag oder zugesperrt: immer kommt jemand herein + will etwas. man hat nie seine ruhe. 

meine nervige anruferei tut mir so leid, dass ich mich für jeden anruf mindestens 1x entschuldige. 10x anrufen. wie peinlich kann man sein? ruth+knut habe ich auch 4x angerufen, nicht erreicht, 3 weitere herbergen durchtelefoniert, da meldet sich knut + hat 1 zimmer frei, was sich später als wohnwagen rausstellt. ich bin so froh, dass ich gar nicht wegen frühstück fragen kann. hauptsache 1 bett. mehr brauch ich nicht. 

ich habe keinen pilgerpass, den man hier eigentlich braucht, aber es fragt mich niemand. ich nehme mir 1 stempel mit in mein buch. die kosten sind so niedrig, dass ich mich in grund+boden schäme für meine stressertussiproblematik. in den frühstückskorb haben sie mir 1 cake für heute abend gelegt. weil es 1 elektrizitätsproblem gibt, koche ich zuerst das wasser für meine versorgung + stelle dann die waschmaschine an. ich wasche+schleudere all meine wäsche bis auf 1 hose + 1 shirt, das ich aus der trommel wieder rausgezogen habe, hoffentlich passiert nichts. 

neben dem fertigsuppentopf mit nudeln+couscous esse ich den cake + die tüte chips, die herumsteht, den rest der schokolade + etwas müsli von morgen. ich fühle mich besser, wenn ich mehr essen auf vorrat habe, als ich gerade brauche. ich bin noch sehr krank. 1 brownieproteinriegel habe ich gestern auf dem fjäll gegessen, wo ich mit dem bedauern kämpfte + wusste im selben augenblick, dass es die schlechteste konditionierung der welt ist: kombination negativer gefühle + mit hochkalorischen feelgoodfood. ich versuche pausen ohne essen zu planen, aber es klappt nicht. ich ertappe mich auf den langen etappen beim überspringen der pausen überhaupt, nur nicht hetzen, ich weiß ja alles, aber. 

es gibt wieder wifi: was ist wichtig? nachrichten, recherche, blog? alles ist ok. alles ist gut ausgegangen, besser, als gedacht. die leute sind wirklich prima, für 1 bruchteil von dem, was ich hier schon bezahlt bekomme ich 1 warme hütte für mich ganz allein – das ist 1 glück. aber jetzt wird es eher der standard werden, weil nicht mehr viel leute kommen, die ich treffen kann. ich bin am ende der saison. es ist september, alle gehen heim.

der weg sagt, alles wird gut oder zumindest geht alles aus. ins gästebuch würde ich gerne schreiben: bestens, es geht alles bestens aus. + ich sehe, ich habe 1 tendenz, im nachhinein alles zu 1 geschichte zu verflechten, die stimmig+schön ist. perfekt1.

12 monate später werd ich 1 podcast über daniel kahnemann hören, dem ich nicht ganz folgen kann, wenn er die intuition als falsch motivierte entscheidung ansieht, bin da mehr bei gigerenzer. aber jag håller med här: „ich erkannte, was menschen wirklich vom leben wollen: sie wollen lebenszufriedenheit. sie wollen gar nicht so sehr im augenblick glücklich sein. was sie wollen, ist 1 gute erzählung von ihrem leben. und die wollen sie wirklich. das ist es, was ihr handeln antreibt“. wobei ich glaube, dass 1 anhäufung der glücklichen momente genau das leisten kann. 

ich fühle die angst gar nicht mehr. sie arbeitet allein.
ihr name ist stressertussi.