st. olavsleden 2022 (tvärtom) 10/27
st. olavsleden
trondheim – sundsvall, 650 km
tag 10: sul – medstugan (30.8., 31,8 km)
zum frühstück bin ich schon fast fertig gepackt
thomas hat den esszimmertisch im wohnzimmer hergerichtet, es ist warm + voller indianer-stuff. nein, nicht native americans/indigenous peoples. karl-may-indianer. bilder, spielfiguren, schnitzereien, wandteppiche. 1 komplettes arsenal, seit kindertagen angesammelt, wie 1 loppis oder 1 katalog. es ist überraschend + erschlagend zugleich. die erinnerung an hafner, der von seinem zigarettenkauf in tschechien 1 riesige katzenporzellanstatue mitbrachte als geschenk. ist das dein geschmack?
wie das zimmer ist das frühstück. vor ankunft bekam ich 1 sms, was ich zum frühstück essen würde. ich zählte das komplette programm auf mit müsli, käse, brot. so ist der tisch gedeckt. es gibt 5 verschiedene yoghurts, 3 verschiedene müslis, marmelade, käse, brot. wir plaudern über familie + lassen die politischen themen beiseite, niemand redet sich in rage. ich nehme 1 yoghurt mit auf die reise + gebe trinkgeld. ich sage nichts über den geruch im bad. ich bedanke mich für alles + gehe.
es dauert nicht lange
- da treffe ich 1 mädchen, das mir sagt, gleich komme das schönste stück des weges. da hab ich noch 3 wochen vor mir.
- da komme ich ins fjäll.
- da werde ich wehmütig. so hättes sein können die ganze zeit. weit ab von den menschen, die natur rundherum, die raue, karge, gewaltige landschaft. ich raste oben auf der höhe, wo bereits jemand sitzt mit 1 buch, ich grüße, gehe aber vorbei, ich mag allein sein.
so viele tage
- mit so wundervollen begegnungen, da kann doch 1 nicht alles zunichte machen? ich idealisiere menschen + mache sie zu meinen ankern, sie sind meine rettungsringe, ich brauche sie, um den glauben nicht zu verlieren in der welt. die, die nicht ins bild passen, schneide ich raus. ich blocke sie weg + halte meine timeline sauber.
- mit so vielen schönen orten, da können doch 2 stunden im fjäll nicht alles verblassen lassen. balance halten zwischen gefühlen zulassen + weitergehen. ich will nicht bereuen, den anderen weg gegangen zu sein. ich will wachsen + lernen + in beziehung gehen, dass es 1x nicht gut funktioniert hat, soll mir nur 1 lehre sein, keine richtschnur. ich kann die negativen gefühle nicht wegessen, nicht auskotzen, nicht wegwischen. die welt ist voller schönheit+barbarei zugleich. das müssen wir aushalten.
oder.
sonst.
ob das nochmal anders wird?
an der grenze mache ich gleich nochmal rast + leere den rucksack vom schweren, frischen essen. auf den selfies sehe ich seit tagen zufrieden aus. gelassen. ohne furchTe in der stirn. als wäre die weggebügelt. auch keine schlafstreifen mehr. das wetter schlägt sich herum, die sonne streitet sich mit niesel+wolken ums licht + wirft glühende strahlen auf dunkelblaugraudrohenden hintergrund. überhaupt geht hier himmelmäßig die post ab + schweden kann den himmel schön.
thomas schreibt mir 1 sms mit dem gericht, das ihm gestern nicht eingefallen ist, was seine mutter so gut kochen konnte. „kannst du kochen? dann kannst du gleich da bleiben.“ nein. ich komme aus der wirtschaft, aber kochen hab ich nicht gelernt. ich stand immer am zapfhahn. ich sende liebe grüße aus der eu.
die straße bis medstuga ist so lang, wie 1 straße lang sein kann. ich schreibe lars, dass ich es bis 18 uhr schaffe. er antwortet sofort: ok. es ist so 1 erleichterung, ich kann in das neue gefühl schwappen, in die nächste unterkunft, die nächste begegnung. ich hinterlasse natascha 1 mail. mein notfallkontakt hat 1 notfall. und ich bin nicht da.
wie bin ich unterwegs?
was sind meine 7 nyckelorden?
jag går
- försiktig
- uthållig/ihållande/pågående
- uppmerksam
- glad
- långsamt
- lättrörd/känslig
- ensam
pilgern heißt auch nur, sich einlassen auf alles, was kommt.
das 1. telefongespräch führen mit 1 anwesenden person + 1 zimmer buchen auf schwedisch. det funkar! das nächste mal noch nach dem preis fragen. übernächste stufe: auf die preisantwort sagen, dass man sichs überlegt (überlebt) + wieder anruft.
es geht einfach 10 km gradaus auf der straße. auch das interessant, weil jetzt ists richtig 1 pilger*innenweg, man kann sich nur mit sich selbst beschäftigen. zum glück ist wenig verkehr.
im reiseführer immer wieder hinweise auf den todesmarsch der schwedischen truppen (karolinernas dödsmarsch), auf deren weg wir uns gerade befinden. wir machen uns keine vorstellung davon, wie die unbefestigte straße im winter ausgehungert+erschöpft mit unzureichender kleidung zu bewältigen wäre. zur gleichen zeit tobt ein paar tausend km weiter weg 1 krieg, zu dessen beginn wir dachten, 3 tage warten auf 1 friedensdemo sei zu lang. er nimmt aber kein ende. er ist auf direktem weg in 1 grausamen winter hinein. auf dem stück weg zwischen medstuga + stalltjärnstuga liegt das 1. karolinerdenkmal, es werden noch mehr kommen. lasse ich mich morgen von lasse (lars) zurückbringen zur medstuga + laufe ich dann tatsächlich 1 tag lang 20 km nur den dödsmarsch weiter entlang?
what a timing
lars + ich kommen zur selben zeit an der medstuga an. ich will schwedisch mit ihm reden, aber wir wechseln schnell ins englisch: „with english you get everywhere“, sagt lars + ich frage mich, warum ich 1 sprache lerne, die 9 millionen menschen sprechen, die früher oder später auch alle englisch können. sie denken, ich mache ihnen 1 freude, wenn ich mich vorstelle, jag är …, switchen dann aber schnell rüber. es ist zu anstrengend für die meisten. wenn ichs doch nur schon könnte, aber die worte stolpern humpelnd über meine lippen – man muss ich auch verständlich machen können, förstådd, nicht nur versuchen, was zu verstehen.
er fragt mich, ob ich morgen hier wieder anknüpfen will oder weitergehe von seiner hütte aus – es würden mit 10 km schnellstraße fehlen. ich weiß es nicht. „what is your goal?“, fragt lasse + ich weiß es nicht. ich weiß ja nicht, wie weit ich komme. soll ich schnell ein paar km auslassen, um möglichst weit zu kommen? gehe ich nicht an der karolinenquelle vobei? lasse ich die gelegenheit für die innenschau aus, die mir bei 20 km purer schnellstraße sicher sind?
am ende sage ich ja, ich würde gerne zurückgefahren werden. morgen bin ich in tännforsen, das sind sonst nur 10 km + ich hatte ja grad 1 pause. als ob das 1 hinreichender grund wäre.
there is poo + there is pee
der hof von lars gleicht 1 modellbaudorf: lauter kleine häuschen+hüttchen verstreut zwischen gärten+gewächshäusern. dazwischen 1 haupthaus, das sich zurückimmt. lars zeigt mir die anlage: 1) küche+wohnzimmer, 1a) abwaschraum, 2) schlafzimmer, 3) utedo, 4) dusch. so sieht nachhaltigkeit + wertschätzung von ressourcen aus. alles wasser kommt aus kanistern, die jemand abfüllen muss. bei jedem pumpstoß fragt man sich, obs schon reicht. die dusche ist auch ute + 1 gashahn muss aufgedreht werden. am ende des duschvorgangs geht das wasser aus + ich weiß nicht, was genau leer geworden ist: das wasser im tank, das gas in der flasche oder das feuer im gasofen. es hat auch gereicht.
im häuschen ist alles knuffig+warm + riecht gut – nach der eiskalten nacht 1 große erholung. trotzdem drehe ich die heizung leicht runter, ich spare mir den umzug später ins schlafhaus + mache es mir zwischen den kissen in dem kleinen bett gemütlich, das im wohnzimmer als couch dient.
mein essensvorrat im rucksack geht zur neige. aus ende schluss. je weniger da ist, desto hungriger werde ich. als ob ich die menge, die vorhanden ist + die, die ich vertilgen kann, gegeneinander aufwiege + auf die probe stelle: na? na? langts? am ende des 20-minuten-sättigungsslots setzt die angst ein, dass alles gleich vorbei ist: das schöne essen, der genuss, die er+ausfüllung.
heute wird mal nicht recherchiert. das wifi ist durchgestrichen, det funkar inte. man muss auch keine 5 tage vorbuchen. 4 reichen auch. oder 3. bald sind wir soweit, dass wir sagen können: heute hier, morgen dort. übermorgen schau ich mal. es wird nicht anhalten. aber für die zeit, die es dauert, ist es 1 gutes gefühl. ein bisschen aufregend, aber + gut.
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