st. olavsleden 2022 (tvärtom) 8/27
st. olavsleden
trondheim – sundsvall, 650 km
tag 8: stiklestad – vuku (28.8., 11,6 km)
be who you are in stiklestad
beim frühstück alles abfrühstücken + 1 angemessenheit rausholen. wie isst man so viel, dass es nicht gierig aussieht? es nicht tun + sich trotzdem komisch fühlen. nicht dazugehörig. der neid auf die leute, die das immer = es nicht nötig haben wie der alte mann mit der enkelin: selbstverständlich scandic. deshalb lernen wir die sprache: damit wir nicht nur tourist*innen sind, sondern dazugehörige. tillhörande.
ich lese seit langer zeit mal wieder nachrichten + 1 frau ist in bremerhaven, von dem birgit mir später erzählen wird, dass es 1 furchtbar dreckige stadt sei, dreckiger als berlin, was an sich schon kaum glaubhaft ist, auf 1 kirchturm geklettert, hat sich angeseilt + schrie unablässig. högt och hörande.
heute ist nur 1 halber kurzer tag, daher koste ich das späte auschecken aus + liege noch lange nach dem frühstück im bett, sortiere fotos, mache zum 1. mal was für den blog. warum mache ich den blog? für was? ich komme ans ende der 50 gigabyte + was kommt danach? die bilder schnappschüsse nur in geringer qualität importiert, alte beiträge gelöscht, trotzdem komme ich an die grenze. ich kann doch kein profiabo für 160,- € im jahr kaufen. oder doch? für was? ich gehe die aufzeichnungen an + finde sätze, die sich lohnen, mit bild unterlegt gepostet zu werden. hilft das? ich schreibe der freundin.
um halb 11 stehe ich auf, weil die unruhe beginnt. jetzt schnell packen. noch 2 yoghurt + 1 eiskaffe in der lobby gekauft + in den schweren rucksack gepackt. vorm hotel gibt es 1 auflauf, alle haben regenkleidung an, es ist nass, aber regnet nicht. ist das der lauf, von dem ich gehört habe? aber der ist doch schon vorbei. ah: es ist der sagamarsjen. ist deswegen alles ausgebucht in skalstuga? wo auch immer all die leute die nächsten tage sind: ich sehe sie nicht mehr.
der wetterdienst sagt …
erstmal ohne regenklamotten losgehen, nur um kurze zeit später unter freiem himmel die ausrüstung checken zu können. regenhose schnell drüber mit schuhe an oder aus? regenjacke = wanderjacke. regenhülle für den rucksack. check! als ich fertig bin, ist der schauer vorbei. und ich muss kurze zeit später wieder alles ausziehen, weil es zu warm wird. dann wieder an, weil es regnet. and so on + so on + so.
ich beeile mich, ohne zu wissen, warum. vielleicht habe ich mehr ruhe, wenn ich angekommen bin. ich brauche noch ein bisschen mehr pause vor dem nächsten tag, wo es 30 km nach sul geht. obwohl mir der weg sagt, dass ich vertrauen haben soll, spiele ich im kopf die möglichen widerfahrnisse durch: katja who? which hytte? what buchung? wird schon alles klappen. tännforsen antwortet nicht auf die mail, schreibe ich 1 sms?
lars meldet sich + sagt, er kann mich erst abends nach 18 uhr abholen am 30.8., weil er vorher unterwegs ist. ich bin so erleichtert. ohne nochmal nachfragen, hat sich alles erklärt. ich bin aufgeräumt.
am verdalsraset mache ich 1 pause + lese die geschichte vom erdrutsch am 19.05.1893, dem größten in der norwegischen geschichte, wo 3 qmkm erde rutschten, 55 millionen kubikkmeter masse, die 9 qmkm gebiet zerstört haben + 33 hester/pferde, 202 storfe/rinder, 345 småfe/schafen+ziegen, 45 griser/schweine. die leute wurden im schlaf überrascht + viele glaubten, es sei dommedag (das jüngste gericht). 112 menschen kamen bei der katJastrophe ums leben. es schickt sich nicht, 1 yoghurt zu essen, wenn man nachrichten liest. aber es regnet + hier ist der einzige rastplatz. trotzdem schmeckt er nicht mehr so gut wie gestern.
kan du hjälpa mig?
auf dem campingplatz stelle ich mich 2 männern vor, die kurz vorher mit einem 3. im gespräch waren, dessen abgang ich abgewartet habe in der irrigen annahme, es handele sich um die rezeption. schon beim vorstellen + ihren gesichtern wird mir klar, dass es nicht stimmt. jag är katja. jag är pilgrim. damit ist es jetzt offiziell. ich frage gleich, ob sie wissen, wo die rezeption ist. der jüngere von beiden holt sein telefon + ruft für mich an, geht nach hinten, spricht weiter, kommt zurück. ich solle die hütte 5 nehmen, der besitzer käme nachher vorbei. verkligen? I just take it? der schlüssel steckt.
die hütte ist prächtig mit kaminofen als heizung. das wasser steht in 1 kanister in der küchenzeile. wo ist das klo? wo ist das neue wasser, wenn ich das alte aufgebraucht? ich packe aus + weiß nicht, ob ich duschen soll gleich, weil ja der besitzer nachher kommt. was hast du nur dauernd mit deinem duschen? mit der wechselkleidung für abends, den langen unterwäschteilen, sehe ich einfach nicht nach rausgehen/empfang aus. sondern schlafen.
die hütte 5 liegt neben der der beiden männer, wo der ältere gerade anfängt, was ins auto zu räumen. ich ziehe die vorhänge zu + mache es mir auf der couch gemütlich, die ich erstmal putzen muss, weil die blaubeeren in der tüte zermatscht + ausgelaufen sind, als ich den inhalt des rucksacks hier schön verteilt habe. na prima, die schöne couch. zum glück ist es dunkel. es gibt aber strom. aufladen aufladen aufladen. uhr, handy, tablet. mikrowelle+wasserkocher sind da, erstmal tee. kaffee.
ich maches mir gemütlich
+ esse die tuc, die eigentlich als salzige ergänzungsnahrung das abendessen komplettieren sollen. ich esse alle. ich esse 1 bananenbrot. noch 1 tee. bald muss ich aufs klo. sind die anderen draußen schon weg? frage ich sie, wo die sanitäranlagen sind?
als es an der tür klopft wie 1 hammerschlag, zucke ich zusammen + denke, oh, der owner steht da, aber es ist der ältere von den beiden nebenan. ob ich feuerholz brauche für den kamin? ich drehe mich um zu dem kleinen ofen + schaue ihn misstrauisch an: I think I don’t light a fire.
die erinnerung an den zimmerbrand, als ich gerade 2 wochen in berlin. die umgefallene kerze + das feuer, von dem ich erwacht. der gesammelte rauch + die fenster, die ich öffnete, um luft zu bekommen, um löschen zu können. das feuer überall: die vorhänge, die tücher, die pappkartons vom umzug = meine möbel, der teppich, der gerade erst geschlagene mauerdurchbruch, um 2 zimmer zu verbinden, wodurch das feuer jetzt in 2 räumen wüten kann, der schock, die überforderung, das wecken der mitbewohner*innen, das schütten von kübeln von wasser, das anrufen der polizei: “da sind Sie falsch, da müssen Sie die feuerwehr anrufen”, das anrufen der feuerwehr, das klingeln bei den nachbarn des vierstöckigen mehrfamilienhauses, das retten der meerschweinchen, die evakuierung aller mietparteien, die polizei, das warten, der nervenzusammenbruch, die feuerwehr endlich nach 1 ewigkeit, was bei der verhandlung nach jugendstrafrecht, weil ich erst 20 jahre, wegen fahrlässiger gefährlicher brandstiftung (was haben sie bei der polizei aus meiner zeugenaussage gemacht?) zu meinen gunsten ausgelegt wird, die abnahme der fingerabdrücke + vernehmung ohne anwält*in bei der polizei, der aufenthalt in der klinik, die verwarnung. vad skulle du rädda om huset brann? ich trüge 1 brille auf der nase, mit der ich eingeschlafen bin, ich trüge 1 tshirt ohne bh, weil ich schon auszogen zum schlafen war, ich zöge 1 jeans an, die mir 1 mitbewohner reicht. alles andere ginge ging in den flammen unter. mein ganzes leben. ich bin meine dinge. alles ist verbrannt. wer bin ich jetzt? (die diskussion mit der postbeamtin, die mir das einschreiben meiner mutter, in dem meine geburtskurkunde liegt, mit dem ich 1 neuen ausweis beantragen will, nicht aushändigen kann ohne ausweis … und vielleicht, weil ich die haara abrasiert habe + etwas blass aussehe, gibt sie mir den umschlag schließlich doch rüber.)
das kann ich natürlich nicht erzählen. er zeigt auf den kamin + meint, es würde kalt heute nacht, er hätte übriges holz, das er mir geben könnte, sie würden gerade packen + fahren. achso, ja, dann. ja gerne.
tack ska du ha!
als er wiederkommt, trägt er 1 riesigen bottich gehacktes holz auf den armen + schleppt es in meine hütte. ich schlage die hände zusammen: ja wahnsinn! det blir mysigt! ob ich 1 feuerzeug habe? ja, er gibt mir noch 1 feueranzünder dazu. wir plaudern kurz + er erzählt, dass er in der gegend auf arbeit war, jetzt mit seinem kollegen übers wochenende hier zum angeln + jetzt fährt er zurück auf arbeit. in meinem kopf war der andere sein sohn. ich vergesse nach seinem namen zu fragen. das tut mir leid. ich fange 1 liste an mit den leuten, die ich getroffen habe + für was ich dankbar bin. ich habe nicht nur mehr eingebildete dialoge.
als ich zur küchenzeile gehe, sehe ich 1 komplette box feueranzünder. 1 stecke ich in meine tasche, falls es mal not tut. ich leere die asche aus dem ofen + packe mein hygienesäckchen, draußen kehrt der fremde freund das haus aus, sein kollege ist schon weg. ich frage ihn, ob er weiß, wo ich die asche hinwerfen kann + er zeigt mir den weg zum sanitärshäuschen, da gibt es auch frischwasser draußen vom schlauch. als er fährt, winken wir uns zum abschied. ich habe ihm nicht genug gedankt.
- lessons learned: du musst nicht alles abbezahlen, du darfst auch mal was annehmen. wir werden nicht schuldig geboren + müssen uns von unseren sünden nicht freikaufen. lass ab davon.
ich liege viel + faul herum, bis der owner kommt, dem ich 600 nok für die hütte zahle. alles ist unterschiedlich. wer was verlangt. was man für was bekommt. ich trinke heiße schokolade, esse viel + nehme 1 magenmittel, damit mirs nicht im magen liegt. auch das gehört zur essstörung: artischocke für die leber, lefax für die verdauung, abführkapseln, wenn man sich gemästet wie 1 gans. erst wenn du das alles hinter dir gelassen, darfst du dich frei fühlen. aber nicht sicher. nie sicher. hm. naja, wer weiß.
dommedag
ich recherchiere die facebookgruppe, finde aber nur diejenige vom st. olavsleden + blättere die bilder der pilger*innen durch, denen das pilgrimshus in sundsvall gute reise wünscht. alle, die dort anfangen + es wollen, können sich so auch virtuell auf den weg machen. schade, dass ich in trondheim angefangen habe. das wanderheim dort hat auf meine anfrage wegen 1 betts nur gesagt: für die übernachtung brauche ich 1 vollen pilgerpass mit lauter stempeln vom weg – ich fange aber doch erst an? dann müsste ich 1 normales bett bezahlen. ich mach eh nicht mit beim pilgerpass. andrea hat ihren aus 2 heften zusammengeklepten pass ausgepackt + bram hat die stempel ganz vorurteilsfrei betrachten + ihre mühe schätzen können, aus ihrer perspektive machte das sinn. das bildet deinen weg ab.
in stjørdal sehe ich die gruppe, die ich auf dem weg nach troset getroffen habe, zusammen am abendessenstisch in der unterkunft sitzen, die sich auf meine mail nicht gemeldet hat. auch in sul habe ich 1 andere angefragt als die, wo alle übernachten, weil sie mir zu teuer erschien. das werde ich bereuen.
“just knock on a door“, sagte bram auf die frage, was er mache, wenn er nichts finde zum übernachten. ich musste lachen. ich stelle mir vor, wie ich auf die aussage der traumatherapeutin hin in berlin pilgere im wedding, nach reinickendorf, runter nach neukölln hinaus richtung schöneweide. und wie ich, wenn ich keine herberge finde, irgendwo an der tür klingle. ich lache, weil ich mirs nicht vorstellen kann, dass man wo hingeht + wo klopft, weil es den glauben in das gute im menschen voraussetzt: dass wir alle im grunde gut sind + gutes wollen. ich aber habe zu viel schlechte erfahrung gemacht, dass ich es glauben kann + halte mich an hobbes: der mensch ist des menschen wolf. vielleicht aber stimmt es nicht. vielleicht hat rousseau recht. vielleicht sind die menschen einfach nur leute wie der nachbar, der klopft + fragt, ob ich feuerholz brauche. someone knocked on my door. und er wollte nichts, er brachte mir was.