st. olavsleden 2022 (tvärtom) 6/27

st. olavsleden

trondheim – sundsvall, 650 km

tag 6: troset – munkeby (26.8., 19,4 km)

jetzt habe ich angst wegen des frühstücks 

um 6:13 uhr geburtszeit aufstehen. meine. deine ist heute abend erst, liebe naila, alles gute zum 1.! letztes jahr, war ich da, als du kamst. und habe mit deiner schwester selma auf euch gewartet. jetzt seid ihr komplett. schön, dass es euch gibt. Ia föats ma.

kommt jetzt die person oder wann? was hat heidi nochmal gesagt? kommt noch was zum frühstück oder wars das? im kühlschrank finden sich 3 körbchen eier, bisschen brot+käse + verschiedene, selbstgemachte aufstriche. kaputte mandelmilch, wie ich feststelle, als ich sie mir in den kaffee schütte, den ich mir zum müsli gemacht habe. ich fange mal mit kleinem frühstück an + lege dann nach. kommen die beiden anderen? sind die eierkörbchen für sie?

ich habe so hunger. der erhöhte kalorienbedarf bei der erhöhten innerlichen aufregung+anspannung. die entwicklung der theorie des teuflischen engery circles, den knut+rut später auf schwedisch mir übersetzen: je mehr man arbeitet/geht/trägt, desto mehr energie braucht man, desto mehr muss man mitnehmen, desto schwerer wird das gepäck, desto mehr energie …

was ist passiert? waren wir gerade nicht noch ganz ruhig+gelassen unterwegs? lastet das elternhaus als gespeicherte kalte schwersteinige erfahrung uns <kalk> in den knochen + bröckelt unter unserem festen stand in der welt? jetzt habe ich angst, ich esse jemanden was weg. ich habe frühstück bestellt, aber weiß nicht, was mir gehört. teilen natürlich, wir teilen alles. aber mit wem? und kommt jetzt noch was?

stückweise frukost

ich leere den kühlschrank + schmiere brote. 1 für jetzt, 1 für später, 1 noch mit selbstgemachtem schokoaufstrich. jummy! 6 slices waren das jetzt. langsam wirds schon egal. so viele eier kann keine*r gebrauchen. ich will auch nicht die riesige küche vollschmieren, muss ja alles nachher wieder putzen. ich brutzele nichts, ich koche nichts. habe noch eier von gestern oder vorgestern, mein cholesterin ist zu hoch. kurz nach 7 habe ich fast alles verspisen/verpackt/verputzt. 1 apfel noch, weil der rucksack nicht schwer genug ist.

da klopfts an der tür + sean+carol kommen zum frühstück. schlechtes gewissen wegen brot. ich zeige auf die 3 kisten eier: left over. ich lüge, I took some bread. ich habe die halbe packung verbraucht. mit dem kaffee verschwinde ich ins offene wohnzimmer nebenan + recherchiere wegen unterkünften, rufe jemanden an + spreche schwedisch aufs band. ich muss ja zuschließen hinter ihnen – ihr angebot, sie könnten hier auch alles fertig machen, lehne ich ab. ich habe den auftrag erhalten, ich bin zuständig, ich muss das machen. das ich alles auf andere abwälzen könnte, fällt mir nicht ein. auch nicht, dass ich sie stören könnte, wenn ich so hier hocke + 1 druck ausstrahlen könnte mit meiner fertigheit+wartung.

abla con ellos

am ende sitzen wir doch noch zusammen + plaudern über den weg. sie geben mir tipps wegen buchungen + sind die ersten, die sagen, ich muss in tännforsen einkehren, es wäre traumhauft. sie haben sich auch über 1 stück des weges, das nur an der e10 entlang geht, drüberfahren lassen (hoppa över) – auch nur wegen carols ankels, sonst nicht, ist klar. aber damit hab ich noch gar nicht gerechnet: dass man jemanden fragen kann, ob er*sie eine*n abholt, wenn man nicht mehr weiterkommt. das mache ich.

sie berichten von der facebookseite, die ich noch nicht kenne, verstehe erst später, was sie meinen. die geschichten der anderen pilger*innen: die frau mit der angst vor dem bären, die mir claudia erzählte: sie kennen sie. ist sie jetzt weitergegangen oder zurück? ich sage, sie hätte abgebrochen, weil anja es wusste, aber ich habe keine ahnung, von wem wir reden.

we all have our fears, sagt carol + ich stimme ihr zu, wir haben beide die angst, das essen gehe aus. vor ihnen liegt 1 ganzer laib brot + ich frage mich, warum ich angst hatte, ihnen was wegzuessen. die geschichte vom veganer in spanien mit dem 5-liter-kanister voller ? – vermutlich nüsse oder bohnen, ich habs nicht verstanden: the only thing he can eat. alle waren schon auf dem camino.

„alle sind schon was gegangen“

wie claudia sagte. die beiden wollten auf den kungsleden (wie ich), sind aber zu früh angekommen im juni + hatten zu viel schnee, daher sind sie hinunter nach sundsvall auf den olavsleden, bis zur hälfte, dann zurück zum kungsleden, von oben bis unten durch, auch an die 500 km, zurück olavsleden, der rest, bald sind sie fertig. sie berichten von 1 deutschen, die sie getroffen haben, die keine pause machen wollte, der sie aber zugeredet hätten. sie sei allein unterwegs + out of spirits, ich würde sie noch treffen, sie ist 1 tag hinter ihnen.

es klingt wie 1 drohung, obwohl sies nicht aussprechen. den ganzen tag geht sie mir nach. überall denke ich dran, ob sie jetzt kommt, wie ich ihr ausweichen kann, als wäre sie der schatten, der mir vorausgeht von meinem eigenen weg. ich bin vemutlich auch längst 1 story: did you meet the old tattoolady, whos going the other way around? am ende bin ich vielleicht diese frau, die deutsche, out of spirits. allein+vergessen auf dem camino. wenn ich überhaupt so weit komme.

wir alle brechen auf. sean+carol machen sich in ihrer hütte fertig, ich kehre noch das haus aus. als ich losgehe, vergesse ich die stöcke + muss zurück, winke carol nochmal zum abschied. what a relief! was ist nur los mit all der angst? warum braucht sie ständig was, woran sie sich krallt? ich fühle sie gar nicht mehr, sie lebt in mir ihr eigenes leben, holt sich futter, wenn sies braucht.

ich sammle aufträge

in der reha hatte ich jede woche 1 neuen auftrag, so weiß ich, warum ich da bin, wo ich bin:

  1. woche: hiv aus dem weg schaffen, in der gruppe besprechen, im patien*innenheft streichen durch chronische infektion ersetzen lassen
  2. grußsituation beim essen mit dem nachbartisch: aushalten, dass man allein am tisch sitzt + an den anderen nur vorbeigeht + (nicht) grüßt
  3. gesprächssituation beim essen am eigenen tisch: mit tischnachbarn auskommen, die sich zu einem setzen oder die klinik verlassen, nachdem man sich gerade geoutet hat
  4. corona-infektion: 3 tage fieber + schwäche + vergessenes vegetarisches essen + was ich kann ich noch kontrollieren außer 2 scheiben brot + 1 stück streichkäse?
  5. 9 tage quarantäne + die frage, sind wir 1 gruppe in der therapie auch wenn die person, von der ich am meisten erwarte, nicht an meiner tür klopft?
  6. aufgeben des plans, der seit 1/2 jahr vorbereitet stückfürstück: karten, kompass, rucksack, schlafsack, zelt – alles, was wir gekauft, in der versenkung verschwinden lassen + aushalten, dass wir nicht wissen, was kommt
  7. abschied von menschen+ankern + reaktivierung, neuorientierung, konfrontatation mit der realität

dazwischen viel therapie, am besten: die traumatherapie. „Sie können überall pilgern, auch in berlin“ + doris, der anker: das ist Ihr gutes recht!

I wonder why what I have to do by wandering hiking

  • loslassen: man kann nicht alles vorplanen, man weiß nicht, was kommt
  • einlassen: keine angst vor den menschen, es sind auch nur lebewesen wie du
  • fragen: nachfragen, wenn man nicht weiterkommt + bitten, wenn man etwas braucht, z.b. 1 transport ab medstuga, wenn man nicht weiterkommt
  • there’s more to come …

„pain, uncertainty, constant work“

wie wird es sein, wenn ich zurückkomme? warum denke ich jetzt schon dran? wie an die lächerlichkeit der dankbarkeit+demut, die mich der weg lehrt, angesichts des toughen alltags in berlin. verändert der weg in mir etwas + führt er weiter, was die reha angestoßen hat: ich muss mich um mich selbst kümmern. und es klingt lächerlich, weil ich allein bin + nur für mich sorge, aber ich sorge nicht gut genug für mich.

die essstörungen seit der kindheit als emotionsregulation, weil wir sonst nicht zurechtkommen in der welt – damit gibt es keine zukunft. zukunft gibt es nur in 1 welt, wo wir auch anders umgehen können mit dem schmerz, den gefühle auslösen + sie nicht versenken in 1 schlund aus scham. aber müssen wir nicht hinein in den schmerz + ihn aushalten + dehnen, wenn wir 1 veränderung wollen? bauen die sensiblen menschen die mauern deshalb so dick+hoch, weil sie hoffen, sie halten allen schmerz ab von ihrer welt? there are 3 things in life you can’t overcome: „pain, uncertainty, constant work“. es wird immer weh tun, es ist niemals sicher, es kostet kraft.

es = das leben.

blaubeerensatt + gebirgsbachtrunken. 1x gehe ich neben dem weg auf dem weg: ausschilderung + gpx stimmen nicht überein. 1 der wenigen male, wo ich mehr auf den weg als auf mein inneres achte – gäbe es mehr regen+schlamm, wäre es anders, so bin ich in mir. tauche nur auf, wenn ich nicht weiter weiß wie über das gatter, hinter dem die kuhherde grast. kor är nyfiken. aber gewohnt an den verkehr wie die schafe im wald, die aber wachsamer + mit dem mümmeln innehalten, bis ich förbi.

außerhalb der tannen+fichtenwälder die wege wieder oft breit + in langen schlangenlinien durchs land gemalt wie 1 pinselstrich, der ab+an die kurve kriegt. im winter fahren sie ski hier. wie lang noch, bis der 1. schnee fällt? auf dem höchsten punkt des heutigen abschnittes anmutungen von fjäll: moos, gestrüpp + krüppelkiefern.

am ende des weges, nach viel ruminieren, in schweiß gebadet + zweidrei tränen + 1 mantra, weil ich zu weit in der ferne von mir selber bin:

jag är här. nu.

in munkeby treffe ich die „lonely german woman„, die andrea heißt + mit bram, eigentlich abraham, aus holland vor der stuga sitzt. da ist sie also. andrea ist sehr erfahren + viele wege gegangen, macht sonst nie pausen, und damit der weg nicht endet, läuft sie den ytter weg zusätzlich über das kloster. sie ist streng+kalt nach außen hin, aber es ist auch kalt rundherum + regnerisch, sie ist über die dielen gefallen + legt zum 1. mal pausen ein, es ist vielleicht ihr letzter langer weg, den sie geht.

bram teilt seinen mini-cookie + 1 muffin vom scandic-buffet durch 3, es sind tiny pieces + ich frage ihn, warum er das macht. so ist er. wir kommen schnell ins gespräch, wie es ist, unterwegs zu sein, bram plant nicht vor, er schaut was passiert. er hat 10 tage zeit, davon 7 mit wanderung, 3 als puffer. er macht das, was ich gerne täte:

andrea meint, bei nur 10 tagen sei das auch kein wunder, aber 4-5 wochen, da muss man schon anders damit umgehen. vielleicht ja, vielleicht nein. bram ist mitte 20 + war schon in indien+nepal. vielleicht ist er einfach so. vielleicht sind wir anders. ich wäre gerne wie bram. etwas lockerer. andrea kritzelt in ihr notizbuch nebenbei, vermutlich schreibt sie alles auf wie ich.

„I am a pilgrim“

mit dem wirt ist schwedisch/norwegisch schwierig, wir wechseln bald auf englisch + ich kaufe 1 vanilleschnecke, die von vor 3 tagen ist + tunke sie in den kaffee. er bietet mir 1 zimmer im weißen haus, während die anderen im roten schlafen, es kostet 500 nok, ich nehme es. er hat vergessen, das laken abzuziehen + es ist ihm unangenehm, dass ich es sehe, er fragt, ob ich es auch so nehmen würde. es wäre nur 1x benutzt. die kissen+decken sind frisch überzogen. ich sage: ja, natürlich. „I am a pilgrim.“ – „I thought so.“ wo ich nicht überall schon geschlafen habe + noch werde …

er ist vollkommen überarbeitet, sie haben 1 riesige gesellschaft zu versorgen, nebenbei hier die zimmer, die pilger*innen, den verkauf im laden. ich bin nicht gast, ich bin wirt wie er, fällt mir auf, als ich zwischendurch im größten stress rübergehe + nach dem wlan code frage, den er nicht finden kann. ich winke ab, im haupthaus ist wlan ohne code, aber hier kann ich nicht bleiben, draußen sitzt andrea. die katze sitzt vorm haus.

ich koche mir tee + suppe auf, stelle 1 benutzten teller, den jemand in den schrank gestellt hat, vorne auf 1 tisch + will es mir gemütlich machen, da kommt bram, um mich zum abendessen zu holen. hab ich das bestellt? der wirt warte auf mich, er habe nach mir gefragt. auf dem hof sei er mit 1 kiste voll suppe + brot + extras gestolpert, da habe bram gesagt, er würde mich holen.

ich führe bram noch durch alle zimmer, inklusive dem tollen bad, aber er wird unruhig, ohne es zu sagen, weil unten die suppe dampft. ich habe schon gegessen, aber es hilft nichts, ich muss hinunter. im restaurant sitzt andrea an 1 tisch mit 3 tellern, der wirt steht da, die töpfe dampfen, er freut sich + erklärt uns das gericht sodd. es ist 1 spezialität, am besten hier in diesem distrikt: zuerst die kartoffeln in den teller, gerne smashen, dann karotten, darüber suppe mit fleisch+klößen. dazu gibt es süßes tünnbröt + 1 spezialgetränk, 1 art alkohlfreie brause, von der wir nicht rauskriegen, was es ist. es schmeckt nach ginger.

man kann kein solches essen ablehnen, auch wenn man vegetarisch lebt. das ist der buddha-way, sage ich mir: nichts ablehnen, was dir angeboten wird. der wirt steht da + plaudert, während ich mir 3 klöße in den teller hieve + nach dem 1. bissen nachhole: meine güte, das ist aber die ausnahme heute! bram sieht den topf schon als lunchpaket, aber die wirtin, die abräumt, meint, das schmecke nur heiß, es werde hier aber auch nichts weggeworfen, keine angst. beide sind etwas gelöster, weil die gesellschaft nun abgereist ist.

jetzt sitzen wir hier + reden weiter über den weg. bram erzählt von indien+nepal + seinem studium, ich erzähle ihm von hartmut rosa + dass er der sein könnte, der macht, was bram will: 1 weg der resonanz aufzeigen, der die verbindung schaffen könnte, brücken bauen, zwischen individuellem + gesamtgesellschafltichem, spirituellem + materiellem. der 1 weg hinaus sein könnte aus dem rad.

ich gebe mir mühe

andrea versucht englisch zu reden, als ich sie auffordere, es zu probieren, aber bram versteht ein bisschen deutsch, daher macht sie sich nicht die mühe. englisch fällt ihr nicht leicht. aber sie kommt so auch gut durch, es sprechen viele ein paar brocken deutsch. ich mit meinen zig sprachen, die ich nicht mehr spreche, aber wollte, verstehe es nicht. nicht, dass man etwas nicht kann oder hinkriegt, aber dass man sich keine mühe macht.

ich mache mir hingegen sogar mühe mit menschen, die ich eigentlich nicht mag. hinausgeworfene liebesmüh. ich lasse mich anstecken von bram + überdenke meine herangehensweise an die buchungen, bram lässt sich anstecken von mir + ich gebe ihm tipps für die nächsten tage. er sagt, die dinge brauchen zeit, sich zu entwickeln + ich rede mit buddha, nicht bram. es gehe um den middle way und vielleicht sei der meine: 4-5 tage planung, der rest sei offen.

viel leicht

vielleicht ändert sich das aber auch noch + ich wiederhole, was ich mir vor beginn der reise sagte, jetzt auf englisch: it’s not that important, where you go or where you’re headed, but how you go. vielleicht ist es auch die konsequenz, weil ich nicht bereuen mag, den kungsleden jetzt nicht gegangen zu sein. oder es ist meine starke resilienz. vielleicht ist es aber auch wahr in dem sinn, wenn es gerade passt + es gilt für alles: es ist nicht so wichtig, was du machst, sondern wie dus tust, und vielleicht noch, warum. (vorausgesetzt: das, was du tust, schadet niemandem. vielleicht muss man das wie kant dazusagen.)

ich lasse ihn bernt von mir grüßen, andrea will auch. bernt wird sich jetzt schon nicht mehr erinnern oder genervt sein. wer weiß, wie viele ich noch treffe? wer weiß, wie weit ich komme?

  • es ist mein weg, ich gehe für mich, ich muss niemandem etwas beweisen
  • ich brauche keine lösung, der weg ist die lösung: to go + to live + to make experiences
  • heilen: ich muss mich heilen, in der essstörung, in der beziehung zu menschen, in den gefühlen, in der depression, in der vergangenheit, in 1 zukunft schauen – was ist mit hiv?
  • alles ist 1 prozess: not just material

es passieren so viele dinge, die ich nicht erwartet habe. wie die diskussion beim einzigen essen, das ich in der reha außerhalb des geschützten reharaumes eingenommen habe in 1 gesellschaft: die diskussion über corona, die ich nicht erwartet habe, ich war nicht vorbereitet + bin mit meiner „20 jahre mache ich prävention“ hiv-erfahrung ausgetickt. ich hätte mir die gruppenregeln da draußen gewünscht: respekt, stopp, rausgehen. die reha: aber Sie haben es doch in der hand, Sie können doch überall 1 stoppzeichen setzen?! achso?

heute vor 1 woche saß ich um diese zeit in berlin am bahnhof nach 1 halben absturznacht nach der reha daheim. überfordert. wartete auf den zug nach malmö. ich habe noch über 1 monat – was? zeit? frei? urlaub? was habe ich?

zeit habe ich mein leben lang.
die frage ist, für was.

https://www.kaschpar.de/2022/12/09/zeit-habe-ich-mein-leben-lang/