st. olavsleden 2022 (tvärtom) 5/27

st. olavsleden

trondheim – sundsvall, 650 km

tag 5: borås – troset (25.8., 23,9 km)

sonnenfrieden

ich verabschiede mich bei guris bruder auf gut glück, indem ich in weitem abstand am fenster vorbei ins haus hineinwinke + sehe dann, dass er dort steht + zurückwinkt, er kommt kurz heraus, aber sagt nicht viel mehr als: ja, ja, ja. es ist noch früh. guris mutter sehe ich nicht mehr, sie heißt solfrid.

zu den katzenkratzspuren, dem sonnenbrand, 1 halbheilen hexenschuss sind jetzt wanzenbisse dazugekommen. ich bin lädiert. der todestag des vaters jährt sich heute zum 16. mal. 16 jahre alt war ich, als er zum letzten mal mit der erhobenen hand auf mich zukam, ich aber stehenblieb + rief, er solle ruhig zuschlagen + erledigen, was er so oft drohte, als ich eingeschlossen im dunklen klo zitterte, ob die tür halte („I daschlogs!“). da ließ er die hand sinken + ging + nach seinem abschiedsgruß „arschloch“ sprach er 2 jahre nicht mit mir.

als ich vom hof gehe + 1 selfi mache, sehe ich, dass ich 1 tiefen schlafstreifen auf der stirne habe. als wäre ich nachts auf den kopf gefallen + nicht mehr aufgestanden. er hat mühe, sich von meiner haut zu lösen. am hals baumelt mir nataschas anker, den ich die tour über nur zum waschen ablege. er hält mich fest an den notfallkontakt, so kann mir nichts geschehen. vergelts gott!

herbergsmama oder hüttenwirt*in

was will ich werden? was ist wichtig? doch keine doktorarbeit!?

der weg ist kein matsch. es geht immer gradaus mit sonne satt. vielleicht …

ohne vorkommnisse die strecke, außer der person mit dem autobus, die mich überholt + mir zum offenen fenster hinaus winkt. sind die pilger*innen die glücksbot*innen? wie man den schornsteinfeger*innen die hand drückt, winkt man ihnen von weitem?

what a_way

der himmel hängt voller unschlüssiger wolken, die nicht wissen, ob sie sich nicht besser auflösen sollen. die straßen sind glatt + ohne umstände. die seen so rein + weit + klar, dass sie nur durch den horizont vom himmel getrennt werden. ich möchte hineingeklebt werden ins bild + nicht mehr heraus. am see doch nochmal 5 minuten meditation. don’t worry. why should you? It’s going to be (great). det blir som det blir wird mir später jemand sagen, der mir den marsch bläst.

im naturreservat liaberga könnte man 1 abstecher machen. aber ich hab das nicht eingeplant. ich bin froh, wenn ich mit den 2 schüssen im rücken heute die hütte erreiche. mehr brauch ich gar nicht.

es gibt nur 1 straße für alle. fußgänger*innen, radfahrer*innen + motorisierte. man kann hier auch nicht mehr straßen ins land schlagen. links+rechts beginnt die wildnis, breitet sich 1 gigantische landschaft aus. durchzogen von wäldern, gerahmt von felsen, von denen das wasser fällt, das sich in flächendeckende seen füllt, die alles umspülen.

menschen sind kaum unterwegs, zumindest nicht ohne auto. erst auf 1 gebührenpflichtigen abschnitt begegnen mir wander*innen pilger*innen, denen man die letzten 20-25 tage ansieht. sie staksen entweder schwerfällig linksrechts sich auf den hüften ausruhend, an ihren stöcken festhaltend, den rucksack auf dem rücken schaukelnd wie kamele voran. oder halten sich im gruppenschritt aneinander fest, laufen im windschatten der anderen, bis 1 zu langsam wird, überholen, starren auf ihre uhren. manche erkenne ich später auf der facebookseite wieder, wenn sie ihre ankunftsbilder mit dem pilgerstein am dom schießen, den ich verpasst habe wegen der menge – und weil ich nichts davon wusste. es hätte sich auch nicht gehört, am anfang der strecke das bild vom ende zu machen.

das wasser im rücken, das ich extra aufgeladen habe nach der durststrecke gestern, brauche ich heute gar nicht. überall sind ausgezeichnete quellen. die wege nicht wie bei uns oft freigeholzt, sondern zuugewachsen, also trotz der höhe kein ausblick. so kann man sich auf sich selbst konzentrieren. oder trees like me zählen, die wie moos auf den steinen wachsen + sich mit ihren wurzeln an den abhängen festkrallen. hauptsache: leben.

wo niemand unterwegs ist, sitzt auf jeden fall auf der einzigen aussichtsbank weit+breit, wo die fantastische aussicht gewesen wäre, 1 person, die wir grüßen, weil sie sich umdreht, aber keinesfalls von ihrem sitz scheuchen. trotzdem proben wir sätze: ursäkta, är här den spektalurära utsikten? ein paar meter weiter sitzen 2 auf 1 stein. wir schlagen uns an den wegesrand in den schatten.

die kirche in markabygda würde auch wander*innen aufnehmen. 2 kommen mir kurz danach entgegen, vermutlich kehren sie dort ein. der mann ist seiner frau ein paar meter voraus. sie hinkt. wir aber gehen 1 stück weiter den hügel wieder hinauf. überall liegen die gemähten strohballen in weiße plastiksäcke eingebunden herum wie weißer kandis auf 1 riesigen pistazienkuchen. was für 1 müll! ich kriege hunger.

1 traum von 1 hof

troset ist 1 traum. 1 großes arreal voller alter, halbrenovierter gebäude. neben dem haupthaus steht 1 zur galerie + maler*innenwerkstatt umgebauter alter stall mit klo+küchen-lofts. ich habe 1 platz in der grillhütte gemietet, weil es am günstigsten war. im mormorhuset, was bei uns vermutlich das austragshäuschen gewesen wäre, gäbe es zwar waschmaschine + alle bequemlichkeiten, aber wir müssen ja auch mal sparen. jetzt nach der nacht bei guri erst weiß ich eigentlich genau, was das heißt: grillhytte.

als ich heidi, mit der ich schwedisch/norwegisch geschrieben habe, anrufe, muss ich gleich ins englische wechseln, weil ich nichts verstehe: sie sitzt im auto + fährt zu 1 fußballspiel. sie lotst mich langsam über den hof zum schlüsselversteck, das ich ewig nicht finde, weil ich wie 1 aufgeregtes huhn auf dem hof herumspringe. als ich drinnen bin, lotst sie mich weiter in den stall zu den klos. ich schiele zum mutterhaus hinüber + frage, ob es noch frei sei. ja, aber teurer. ich schwenke zurück zur hütte + bleibe abrupt stehen, als sie sagt: es kämen heute noch 2 wander*innen. in die hütte. ich kriege 1 kleine panikattacke, als ich die um 1 gillplatz herumgebaute hexagonbänke betrachte: wir da zu dritt?

wie viel mehr kostet denn das mormorhus? 112 nok. geschenkt – ich will ins haus! heidi ist nicht begeistert, als sie mit dem schlüsselfinden nochmal von vorne anfangen muss, und ich muss ihr versprechen, dass ich morgen alles blitzeblank hinterlasse, weil da schon die nächsten kommen. als ich die tür aufsperre, falle ich fast in das riesige haus + darf mir oben 1 bett aussuchen. waschmaschine ist da + küche da + fernseher + schaukelstuhl + brauch ich alles gar nicht. ich bin so erleichtert, dass heidi sagt: „I hear it in your voice.“

ich vereinbare noch mit ihr, dass ich den beiden anderen später noch klo/dusche/küche im stall zeige + höre nicht genau zu, was sie wegen des frühstücks sagt, wo jemand kommen soll. das werde ich später bereuen. jag ångrar mig.

das haus ist liebevoll eingerichtet + voller bilder von ihr, 1 malzimmer oben, alte betten + truhen + kommoden + schalen. mit dem eintritt aber beginnt die angst. gleich kommen die anderen. zuerst duschen. oder noch warten? wäsche waschen. oder noch warten? ausziehen. kommen sie? was aber ist, wenn ich unter der dusche stehe + die pilger*innen kommen wie guris bruder, dessen namen ich nicht weiß, kam, als ich unter der dusche stand + sie können nicht rein. ich schnelldusche + hastigtrockne + wischwasche. zackzackzack.

what is it, that you’re afraid of?

als ich mich nach vorne bücke + das haar kämme, kommt die hexe zurück + zwickt mich. krumm + verrenkt hinke ich aus dem bad + dehne mich im wohnzimmer. hoffentlich kommen sie jetzt nicht. wie sieht das aus? wanderin mit hexenschuss. bis hierher kam ich. weiter nicht. schnell 3 übungen, abendessen, sie kommen ja gleich.

ich weiß ja nicht, was mich erwartet. ich bin in 1 fremden haus allein. die sicherheit des ganzen anwesens lastet plötzlich auf mir. ich trage die verantwortung für diesen hof. ob es johanna daheim so geht? all die generationen, die vor uns da gewesen gelebt geschlafen gestorben, stehen mit der dämmerung aus ihren gräbern auf + reihen sich um unseren tisch. warst du auch brav? hast du das verdient? hältst du die sache zusammen? hast dus im griff?

als ich natascha 1 sprachnachricht aufnehmen will, höre ich stimmen. ich erwarte sie. sie kommen aber nicht. ich gehe nicht hin.

hofherr*in

als ich mich sicher fühle, stehen sie an der tür. sean+carol aus canada. sie sind nett + freundlich + müde + hungrig wie alle wander*innen. sie stehen schon im flur + freuen sich über die tolle küche, carol will schon in die dusche, da frage ich nochmal nach, ob heidi nicht gesagt habe, dass die grillhütte eigene räume hat. ich bin diesmal lotse + gehe mit ihnen hinunter zum stall. draußen ists kalt.

sean bewundert meine gamaschen, als wir über den hof gehen – hab ich grad erst gekauft. beide beteuern, dass sie mich nicht stören wollen – als wären sie in meine privatssphäre eingedrungen. sind sie ja auch. ich bin daheim, das ist mein haus, mein anwesen, ihr müsst in den stall.

zurück im haus halte ich mich aufrecht + versuche auf der couch sitzend möglichst den rücken zu schonen + neue unterkünfte zu recherchieren. nach der grenze geht es nicht weiter. alles ist ausgebucht. ich schlafe kurz ein, hole dann die alumatte statt 1 lakens heraus + schlafe kurz weiter. mitten in der nacht wache ich auf + glaube, es ist sonnenaufgang. es ist aber abends halb elf. ich recherchiere weiter: kann ich auf dem fjäll in der hütte schlafen wie maxi + anke? brauch ich 1 notbiwak? wie viel essen muss ich einpacken? fährt wo 1 bus? breche ich die reise ab?

sean+carol kommen diesen abend nicht wieder.

um 1 geh ich ins bett.

ich lade mir alle verantwortung auf.
aber tragen kann ich sie nicht.