wittenberge – groß pankow
wittenberge – groß pankow, 33,7 km
2022/06
mit stepenitz, rieselwiesen, perleberg
was bleibt:
- das umplanen von premnitz nach wittenberge, weil der zug so früh fährt + man mit dem 9 € ticket doch auch was fahren soll, wo man richtig was spart
- das aufstehen um kurz nach 3 aus dem traum gerissen + fast sofort wieder eingeschlafen
- das hektische restpacken
- die 100 m sprint, weil der bus schon anfährt, der nette busfahrer “moin!”
- der überfüllte zug um 4:20 uhr richtung wismar: “unglaublich so viele leute hier so früh” – und: “mit der schaffnerin hab ich mich mal angelegt, bin ich total besoffen gefahren, als sie kam, ich so: schnell weg, ich hab keinen fahrschein – sagt sie zu mir: ‘kriegst gleich eins in die fresse'”
- dämmern+dösen bis wittenberge
- die gascontainer diesmal zu beginn am bahnhof
- die neue handykamera
- der raubvogel im 3fach zoom
- der gedämpfte himmel
- die kühe + pferde beim frühstücksgrasen
- der tiefe trockene sand
- das auto, das mich überholt, den fahrer sehe ich nicht, ich weiß nicht, ob er lächelt oder nicht
- die wunderschönen rieselfelder
- der kranich im 3fach zoom, der nicht flieht, nur schreit
- das auto, das mich zum 2. mal überholt und vor mir stehenbleibt
- es ist der förster – meine frage: “wollen Sie mit mir sprechen?” sagt schon alles über meinen zustand – ich habe ihm den morgen versaut mit meinem lauf, weil alles vor mir flüchtet und nach mir nichts mehr zum schießen bleibt, er würde auch nicht alles schießen, was eben gerade erlaubt ist und “schweinepest, schon mal was gehört von?” und jetzt ist der morgen für ihn verdorben – “machen Sie das öfter?” – all die neuen hobbies – die kraniche hinter mir schreien: “kraniche, kennen Sie das? – sie haben hier alles “biber, …” – aber ich renne hier rum und verderbe dem förster das revier – so früh um diese zeit – ich reagiere mit allen emotionen, die man haben kann, wenn man seit 3 uhr wach ist – “seit 3 uhr sitze ich schon auf der pirsch” und “die rehe strecken die nase in die höhe: wissen Sie was das heißt? wölfe, die wittern wölfe – das kriegen Sie gar nicht mit – ich habs auf meinem handy, kann ich Ihnen zeigen”): wut, trauer, verzweiflung, ich versuche mich zu verteidigen “es ist die schönste zeit”, “ich mache keinen müll, ich halte abstand, ich weiche aus” – “ja Sie machen alles richtig, hätte ich mal nichts gesagt” – ich fange an zu schreien und laufe davon: “ich komme nie wieder!” – das stimmt ja auch, ich laufe jede strecke nur 1x – der förster fährt mir hinterher, ich muss ihn vorbeilassen, aber er bleibt wieder stehen, jetzt versucht er es mit erziehung und heimatkunde: “da war früher 1 schlachthof in der ddr, die haben alle abwässer hier ablaufen lassen, das hat gestunken! aber viele vögel – künstlich, aber viele. wir haben hier alles! Sie können mich besuchen – da vorne im forsthaus” ich versuche verständnis für den förster zu entwickeln und sage ihm, dass es mir leid tut, dass ich ihm seinen morgen versaut habe – dabei sagt er keine 2 sätze später, dass jetzt die zeit ist, wo sich das wild zurückzieht – woher ich komme? ich traue mich kaum sagen: berlin – aber er hat es auf die perleberger*innen abgesehen: “die fahren hier mit ihrem auto und lassen die hunde vorlaufen” – verstehe ich nicht – “und die hunde laufen überall hin” – ich versuche mich mit ihm zu einigen: wir haben halt verschiedene interessen und müssen sehen, wie wir damit auskommen – ich komme nie mehr wieder! “es ist schön hier!” ja, deswegen bin ich da – wo mein auto stehe? ich bin mit dem zug da – von wittenberg – “wittenberge!” – wittenberge laufe ich nach groß pankow – “haben Sie wasser dabei? oder soll ich Ihnen was mitgeben?”
- die nächsten 10 km laufe ich noch, dann kann ich nicht mehr, ich muss dauernd an den förster denken und was ich ihm nicht gesagt habe: dass es um mein leben geht, dass ich nichts habe als nachts aufstehen, 2-3 stunden mit dem zug raus und dann in der natur mit den tieren sein – ich tue niemand was zu leide – ich töte kein tier – ich mache keinen müll, manchmal nehme ich sogar welchen mit – ich mache keinen lärm, manchmal singe ich ein wenig – ich laufe oder gehe überall nur schnell oder langsam durch – ich trage in meiner kamera 1 stück welt mit nach hause – ich sammle weltstücke, brandenburgstücke, weiter komm ich meist nicht – das darf er mir doch nicht nehmen!
- es hat keinen sinn, er hat auch mir den tag versaut, ich ärgere mich gar nicht, dass er mich angesprochen hat oder verärgert war, weil er nichts geschossen hat – ich ärgere mich über mich selbst, wie unprofessionell ich reagiert habe, wie ich
fastweinen musste, wie ich mich emotional instabil entschuldige (“durchhalten!”) – und was lerne ich jetzt daraus? dass sie mich jederzeit wieder kriegen können? 1 alter mann schimpft mit mir + ich bin völlig aus der fassung? - die nächsten begegnungen werden zu prüfsteinen: sagen sie was, sagen sie nichts? schimpfen sie?
- ich wusste, dass 1x 1 förster kommen würde, ich hätte mich drauf vorbereiten können – ich könnte es auch jetzt – aber 1 spaziergänger*inneninteresse wird 1 jäger*inneninteresse immer unterliegen
- toll die neue kamera, kann mich gar nicht freuen
- die 2 munteren wanderer mit den stöcken zielgerichtet+beschwingt, während ich durch den sand schleufere+schlurfe: “hallo guten morgen!”
- die langen hauptstraßen mit leitplanken, warum gibts wieder keinen fahrradweg? wir wollen nicht noch jemandem im weg sein + ducken uns ans geländer bei jedem auto – es sind viele unterwegs
- das auto von ferne – wieder 1 jäger? 1 förster? 2 männer im wald – “moin! … allein im wald?!” – was? “… allein im wald?!” – ich verstehe nichts, die motorsäge ist so laut, aber es kann ja nur heißen: “sind Sie/bist du ganz allein im wald?” oder “man ist nie allein im wald” – ich versuche es mit: ” ihr seid ja auch da!” – 1 lachende, abwehrende handbewegung, entweder falsche antwort oder auch nicht verstanden
- bleistiftknickbäume
- das auto, das mir entgegenkommt, vor dem ich meilenweit ausweiche, bis ich merke, das es abgebogen ist, es sind 2 ranger*innen, die die straße überqueren in den wald hinein, sie rufen von weitem “hallo, guten morgen!”, die frau winkt
- das pärchen beim frühstück am haus an der lauten straße, wo ich 2x hinblicke und dann vorbeihusche, sie sagt leise: “guten morgen” – ich drehe mich um, sie lächeln beide, ich winke: “morgen, hallo!”
- ab jetzt sammle ich positive begegnungen, die ich dem förster entegegen halten kann – aber es ist ja auch schon spät und es ging ja nur darum, so früh zu tagesanbruch dort hindurchzulaufen, wo die jäger auf der pirsch sitzen – ich sags noch 1x: was hab ich sonst vom leben, wenn keinen sonnenaufgang?
- die grüßende geherin, der winkende junge in der haustür, die 2 im garten, die ich so lange anstarre, bis er kommt + hallo sagt
- die hunde + das beweisvideo für die kollegin, die mir nicht glauben kann, das man angst haben kann vor hunden hinter zäunen
- die letzte fahrstraße zurück zum bahnhof, jetzt wärs genug
- der tote vogel am straßenrand, wir betten ihm 1 gras
- die heimfahrt mit der leeren bahn, die nicht an die ostsee fährt
- 1 stück pizza,
12 eis + automaten-chips - nächste woche fahren wir gleich nochmal hin